Wahlprogramme: Zu viel Kauderwelsch

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler, Uni Hohenheim

Der Wahlkampf: Was macht Sinn? Was kommt an? Wissenschaftler der Uni Hohenheim  beobachten das Zusammenspiel von Parteien, Kandidaten und Wählern. Frank Brettschneider beleuchtet für M bis zum Wahltag am 24. September fünf Themen. Heute: die Verständlichkeit von Wahlprogrammen. Am unverständlichsten ist die AfD.

Parteien bieten zahlreiche Versionen ihrer Wahlprogramme an: Lang-, Kurz- und Audiofassungen, Videos in Gebärdensprache sowie Übersetzungen in andere Sprachen. Sie sind ein Mittel, um die eigenen Positionen darzulegen. Damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahlentscheidung treffen können, sollten Parteien ihre Positionen jedoch auch klar und verständlich formulieren.

Wie verständlich die Sprache der Parteien in den Langfassungen ist, analysieren wir seit Jahren mit Hilfe einer speziellen Software. Sie sucht unter anderem nach zu langen Sätzen, Fachbegriffen und zusammengesetzten Wörtern. Anhand solcher Merkmale berechnet sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er reicht von 0 (sprachlich völlig unverständlich) bis 20 (sprachlich sehr verständlich).

Im Durchschnitt erreicht die sprachliche Verständlichkeit der Programme einen Wert von 9,1 Punkten. Das ist mehr als bei der letzten Bundestagswahl (7,7 Punkte). Aber es ist immer noch enttäuschend. Denn alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben. Mit ihren teilweise schwer verdaulichen Wahlprogrammen schließen sie jedoch einen erheblichen Teil der Wähler aus.

Insgesamt schneidet das Programm von CDU/CSU mit einem Wert von 10,8 noch am besten ab. Die Grünen (10,0) landen wie bei der letzten Bundestagswahl auf Rang 2. Auf dem dritten Platz liegt die Linke mit 9,3. Es folgen die FDP (9,1) und die SPD (8,4). Am unverständlichsten ist das Programm der AfD (7,3). Die vermeintliche Volksnähe, die die AfD für sich beansprucht, pflegt sie in ihrer Sprache jedenfalls überhaupt nicht.

Zum Vergleich: Doktorarbeiten in der Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt, der Süddeutschen Zeitung oder der taz kommen auf Werte zwischen 11 und 14.

Fluch des Wissens und taktische Unverständlichkeit

Dabei können alle Parteien verständlicher formulieren. Das beweisen sprachlich gelungene Passagen in den Einleitungen und im Schlussteil. Die Themenkapitel sind hingegen das Ergebnis innerparteilicher Expertenrunden. Diesen ist meist nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wähler ihren Fachjargon nicht versteht. Wir nennen das den „Fluch des Wissens“. Parteien nutzen abstraktes Verwaltungsdeutsch auch, um unklare oder unpopuläre Positionen zu verschleiern. In diesem Fall sprechen wir von „taktischer Unverständlichkeit“.

Hürden stellen unter anderem Bandwurmsätze mit bis zu 90 Wörtern (FDP) dar. Aber auch Wortungetüme wie „Gebärdensprachdolmetschung“ (Grüne) und „Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung“ (FDP) erschweren das Verstehen. Zudem enthalten die Programme zahlreiche Fremd- oder Fachwörter: „CO2 Carbon Capture and Storage“ (Die Linke), „Race to the Top“ (Die Grünen), „Failed States“ (AfD), „Economic Partnership Agreements“ (SPD), „Genome-Editing“ (FDP), „Small Banking Box“ (FDP), „Share Deals“ (Die Linke) oder „‘one-in, one-out‘-Regel“ (CDU/CSU).

Aber: Die von uns gemessene sprachliche Verständlichkeit ist natürlich nicht das einzige Kriterium, von dem die Güte eines Wahlprogramms abhängt. Deutlich wichtiger ist der Inhalt. Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist. Und unverständliche Formulierungen bedeuten nicht, dass der Inhalt falsch ist.

Den größten Raum nehmen übrigens Themen der Sozial- und der Außenpolitik ein. Sie rangieren bei allen Parteien auf einem der ersten drei Plätze. Lediglich bei den Grünen steht die Umweltpolitik an erster Stelle. Begrifflich stehen die „Menschen“ und „Deutschland“ in allen Programmen im Vordergrund. Die Oppositionsparteien verwenden außerdem besonders häufig die Wörter „müssen“, „sollen“ und „mehr“. Auffällig ist, dass auch die Regierungspartei SPD in ihrer Wortwahl eher dem Oppositionsmuster folgt.

Prof. Dr. Frank Brettschneider ist Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim


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