Linke Blätter in der Nische

Berlin Alexanderplatz 1973: Jahrzehntelang stand "Neues Deutschland"an der S-Bahn-Brücke
Foto: SZ Photo/Peter Probst

Immer wieder im Krisenmodus und der Blick auf junge Leser*innen

Zeitungen mit ostdeutscher Geschichte sind den Krisenmodus gewohnt. In der DDR millionenfach gedruckt, verloren das Neue Deutschland und die Junge Welt nach der Wende massiv an Auflage und kämpfen bis heute ums Überleben. Wie ernst ist die Lage? Und kann man mit linker Ideologie überhaupt noch neue Leser*innen gewinnen?

Der Chefredakteur des Neuen Deutschland ist nicht bekannt dafür, die Situation seiner Zeitung zu beschönigen. „Schon existenziell“, antwortet Wolfgang Hübner auf die Frage, wie schlimm die Lage denn nun sei. Die verkaufte Auflage der „sozialistischen Tageszeitung“ liegt aktuell bei unter 24.000 Exemplaren.

Anfang 1990 hatte das frühere SED-Zentralorgan noch über eine Million Leser*innen. Deren Zahl sank bis zum Ende des Jahres auf etwa 100.000. In der Nachwendezeit stand die Zeitung kurzzeitig unter Verwaltung der Treuhand. Ende 1991 sorgte eine große Spendenaktion für finanzielle Erleichterung, Leser*innen gaben etwa eine Million D-Mark. Schlagzeilen machte die Zeitung zuletzt, als sie Ende 2017 kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Die Linkspartei, die eine der Gesellschafter*innen der Zeitung ist, sprang ein. Inwiefern die Partei weiterhin bereit ist, die kriselnde Zeitung zu unterstützen, ist unklar. Zweiter Gesellschafter neben der Linken ist zu 50 Prozent die Communio Beteiligungsgenossenschaft eG mit Vorstand Matthias Schindler, gleichzeitig ND-Geschäftsführer. Immer wieder wird darüber berichtet, dass die Gesellschafter dem ND das wertvolle Grundstück am Ber-liner Ostbahnhof, auf dem das Verlagsgebäude steht, entziehen wollen. Eine Drohung, die ein Redakteur gegenüber dem NDR einmal als „Vertrauensentzug“ bewertete und die das Verhältnis zwischen Verlag und Gesellschaftern belaste.

Über Genossenschaft diskutiert

Man blicke schon etwas neidisch auf taz und Junge Welt, räumt Hübner ein. Beide Zeitungen haben eine Genossenschaft im Rücken. Auch beim ND wird dieses Modell rege diskutiert. „Das wird unsere finanziellen Probleme aber kurzfristig nicht lösen“, sagt Hübner. Er ist seit Ende 2017 ND-Chefredakteur. Nur kommissarisch, wie er betont. Er wünscht sich für die Position jemanden, der jünger ist und Erfahrung damit hat, Online-Inhalte zu vermarkten. Online – das ist in diesen Tagen ein wichtiges Stichwort auch beim ND. Gerade erst gab es eine große Redaktionskonferenz, bei der es um die Zukunft der Zeitung und eine künftige Online-Strategie ging. Klar sei: Man müsse „massiv sparen“, so Hübner. Da scheint es reizvoll, ganz auf digitale Inhalte umzusatteln – ohne Kosten für Vertrieb und Druckerei.

Die taz macht es vor: Dort wird man voraussichtlich ab 2022 den Druck der Tageszeitung einstellen und wochentags nur noch digital erscheinen – so zumindest sieht es das „Szenario 2022“ des früheren taz-Geschäftsführers Karl-Heinz Ruch vor. Doch diesen Schritt wird das ND aus Rücksicht auf seine Leserschaft, die im Schnitt über 60 Jahre alt ist, wohl nicht so schnell gehen. Immerhin als Arbeitgeber ist das ND bei jungen Leuten beliebt, obwohl auch hier Gehälter und Honorare wie bei taz und Junge Welt weit unter Tarif liegen. Der Altersdurchschnitt der Redaktion liegt laut Hübner bei unter 40 Jahren. Er sieht es als seine Aufgabe an, zu vermitteln: zwischen der jungen Redaktion und jenen Leser*innen, die dem Blatt seit DDR-Zeiten die Treue halten – und entsprechende Inhalte erwarten.

Im vergangenen Jahr gingen zwei Formate an den Start, mit denen der Verlag neue, jüngere Lesergruppen ansprechen möchte: die Wochenendausgabe nd.DieWoche, bei der das Wort „sozialistisch“ nicht mehr im Untertitel auftaucht. Und das Online-Magazin Supernova, dessen Autor*innen über Clubkultur und offene Beziehungen schreiben und darüber, dass auch überzeugte Linke Lippenstift tragen können.

Mehr Augenmerk auf Qualität

„Supernova ist eines der interessantesten linken Medienprojekte“, sagt Jörg Staude, Journalist und Vorstand der Linken Medienakademie, im Gespräch mit M. Das Magazin richte sich an eine junge Zielgruppe, „die sich von Ideologie eher abgestoßen fühlt“. Geht es nach Staude, sollte es im linken Journalismus generell „weniger Ideologie“, dafür mehr „journalistische Tugenden“ geben – das forderte er in einem Kommentar, der im ND erschienen ist. Für ihn liegt die Krise des ND auch darin begründet, dass die Redaktion mehr Wert auf die „richtige Position“ einer Autorin oder eines Autors lege als auf die Qualität des Artikels. Ein Problem sei zudem, dass das ND als „Nischenprodukt“ keine bundesweite Aufmerksamkeit bekomme, sagt Staude. Anders als etwa die taz, die im Mediensystem akzeptiert sei, gelte das ND nicht als seriöse Quelle. Die linke Bewegung habe ihren Anteil an diesem Nischendasein, denn selbst die wolle ihre Themen lieber in den bürgerlichen Medien platzieren. „Ich habe noch keine wirklich große Exklusiv-Geschichte von den Linken im Neuen Deutschland gelesen“, so Staude.

In ihrer ganz eigenen Nische scheint die Junge Welt sich wohl zu fühlen. Spricht man mit Dietmar Koschmieder, seit 1995 Geschäftsführer der „linken, marxistisch orientierten“ Tageszeitung, scheint zunächst alles in bester Ordnung: Der Altersdurchschnitt der Leser*innen sei vergleichsweise niedrig, die verkaufte Auflage einigermaßen stabil. Einen wichtigen Teil der Einnahmen bestreite die Zeitung mit Online-Abos. Statt Personal abzubauen, habe man neue Mitarbeiter*innen eingestellt.

Doch auch Koschmieders Blatt kämpft ums Überleben. „Die Junge Welt in Gefahr!“ schrieb die Zeitung – mal wieder – im vergangenen November. Im Schnitt komme man auf knapp unter 19.000 verkaufte Exemplare. Mindestens 20.000 müssten es sein, um kostendeckend arbeiten zu können, sagt Koschmieder. Das Blatt hat mit einer saftigen Erhöhung der Zustellpreise durch die Deutsche Post zu kämpfen. Auf der Junge-Welt-Website wird das Unternehmen scharf dafür kritisiert.

Die Junge Welt, 1947 gegründet, war als Zentralorgan der FDJ zeitweise die auflagenstärkste Zeitung der DDR. Wie das Neue Deutschland verlor sie nach der Wende Millionen Leser*innen. Das Blatt erlebte mehrere Führungs- und Eigentümerwechsel. 1995 hatte es noch etwa 17.500 Abonnent*innen. Die damaligen Eigentümer stellten im Frühjahr 1995 den Betrieb der Zeitung ein. Daraufhin gründeten Mitarbeiter*innen den Verlag 8. Mai GmbH und die Genossenschaft LPG Junge Welt – nach dem Vorbild der taz. 2016 startete die LPG ein Sanierungsprogramm, nachdem sich Schulden von fast einer Million Euro angesammelt hatten. Sie verzeichnet derzeit rund 2.200 Genoss*innen.

In der Grafik-Abteilung der Jungen Welt im Mai 1994 noch in Berlin-Treptow
Foto: Toni Nemes

Den Grund für den Niedergang der Jungen Welt in den 90er Jahren sieht Koschmieder auch darin, dass die Zeitung keine klare Kante mehr gezeigt habe. „Sehr sozialdemokratisch, sehr brav“ sei sie gewesen. Das sei heute anders: Man habe eine „marxistischen Grundposition, die von der Existenz von Klassen ausgeht“ und davon, „dass alles, was geschieht, irgendjemandem nützt und irgendjemandem schadet“. – Marxismus, Klassengesellschaft: Was wohl insbesondere für jüngere Ohren nach längst vergangenen Zeiten klingt, ist für Koschmieder ein Alleinstellungsmerkmal auf dem deutschen Zeitungsmarkt, mit dem man neue Leser*innen jeden Alters gewinnen kann. „Wir müssen Leute finden, die das Produkt lesen, und dann überzeugt das Produkt selber.“ Jörg Staude von der Linken Medienakademie sagt: „Für mich ist die Junge Welt keine Zeitung mehr, das ist ein politisches Kampfblatt.“

Politische Kämpfe erlebte die Junge Welt auch intern: 1997 kommt es zum Streit, nachdem Koschmieder den Chefredakteur Klaus Behnken abgesetzt hatte. Mitarbeiter*innen besetzten die Redaktionsräume und gründeten kurz darauf eine neue Zeitung: Die jungle world versteht sich als undogmatisch links und betont ihre Ablehnung von Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus.

Der Begriff „Nische“ fällt ebenfalls, wenn es um die Geschichte einer anderen linken Zeitung mit ostdeutschem Hintergrund geht: den Freitag. Nach der Wende ging das Blatt aus einer Fusion der westdeutschen Volkszeitung und dem Ost-Berliner Sonntag hervor. Die „Ost-West-Wochenzeitung“ erschien zum ersten Mal am 9. November 1990 mit einer Startauflage von 55.000 Exemplaren. Angekündigt als „linke Wochenzeitung für Politik und Kultur“ war man bemüht, bisherige Leser*innen in Ost und West gleichermaßen zu erreichen, was nicht immer gelang: Bis November 1991 hatte rund die Hälfte der früheren Sonntag-Leser*innen den Freitag abbestellt. Die verkaufte Auflage lag in diesem Jahr noch bei 25.000.

Das „Meinungsmedium“ Freitag

Die wirtschaftliche Lage des Blattes blieb unsicher. 1996 ging der Freitag an eine Eigentümergruppe, der es gelang, von Unterstützern Gelder aufzutreiben, kostendeckend zu arbeiten und den Freitag als „Nischenprodukt“ zu etablieren, wie sich Wilhelm Brüggen, Sprecher der damaligen Eigentümergruppe, in einem Artikel erinnert.

2008 übernahm Jakob Augstein den Freitag. Die Zeitung bekam eine neue Redaktionsstruktur und ein neues Layout, der bisherige Untertitel wurde durch „Das Meinungsmedium“ ersetzt. Eine Besonderheit des Freitag ist die Online-Community, die ein eigenes Ressort auf der Website bildet. Die Zeitung beschreibt sich als „linksliberal“. Auch unter Augstein, der Verleger und Chefredakteur ist, gab es jahrelang wirtschaftliche Schwierigkeiten. Vor zwei Jahren sagte er in einem Interview, dass das Blatt mittlerweile keine Verluste mehr mache. Die verkaufte Auflage liegt aktuell bei knapp 24.000 Exemplaren – eine Steigerung von über 90 Prozent im Vergleich zu 2008. Es kann also auch bergauf gehen. Auf dem Zeitungsmarkt ist das eine außerordentlich gute Nachricht.

 

 

 

 

 

 

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