Starker Journalismus in Zeiten der Krise

34. Journalismustag der dju in ver.di am 23. Januar 2021 weitgehend digital - nur wenige Menschen, dafür viel Technik im großen Saal des Berliner ver.di-Hauses. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz eröffnet die Veranstaltung.
Foto: Kay Herschelmann

Mit einem klaren Ja konnte der 34. Journalismustag der dju in ver.di die Frage beantworten, ob der Journalismus auch in Zeiten der Corona-Pandemie seine Funktion als Gatekeeper erfüllt. In der digitalen Konferenz hielten sich Wertschätzung und Forderungen nach noch mehr Qualität – etwa durch konsequentes Hinterfragen bei Politik und Wissenschaft oder auch mehr Publikumsnähe – dennoch die Waage. Besonderheit 2021: Nur wenige Referent*innen waren am 23. Januar im Berliner ver.di-Haus vor Ort. Doch konnte sich per Livestream jede*r Interessierte zuschalten. Bis zu 500 nutzten diese Gelegenheit, dabei zu sein.  

Foto: Kay Herschelmann

„Medien müssen den gesellschaftlichen Diskurs mitgestalten. Um diese Rolle ausfüllen zu können, braucht es Vertrauen auf Seiten des Publikums sowie eine finanzielle Ausstattung, die gute Arbeitsbedingungen und damit Qualitätsjournalismus möglich macht“, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz zur Eröffnung der traditionellen Veranstaltung der Medienschaffenden in ver.di.

Während der Pandemie sei deutlich geworden, wie groß die Nachfrage nach zuverlässigen und seriösen Informationen sei. Trotz des dadurch gestiegenen Arbeitsaufwandes hätten viele Verlage auch in ihren Redaktionen Kurzarbeit angemeldet. „Ob dies gerechtfertigt und notwendig war, können wir nicht nachprüfen, denn der Tendenzschutz ermöglicht es den Unternehmen, ihre wirtschaftlichen Kennzahlen unter Verschluss zu halten“, so Schmitz. Die entsprechende Ausnahme im Betriebsverfassungsgesetz wirke immer mehr wie aus der Zeit gefallen. „Welche Tendenz wird da geschützt, außer der, Renditen zu steigern, notfalls zulasten journalistischer Vielfalt und Qualität?“ Schmitz warb um Unterstützung für die einmalige Chance, die längst überholte Regelung mit dem geplanten Betriebsrätestärkungsgesetz endlich abzuschaffen.

Besonders hart habe die Corona-Krise die vielen freien Journalistinnen und Journalisten getroffen, auch weil Medienunternehmen bei ihnen als erstes den Rotstift ansetzten. Schmitz forderte deshalb dringende Nachbesserungen bei den Hilfen für Solo-Selbstständige.

Während die gestiegene Nachfrage nach den Angeboten der etablierten Medien von einem Vertrauenszuwachs zeuge, gebe es zugleich eine Minderheit, die sich von diesen abgewandt habe und mit der Verbreitung von Desinformation und sogenannten Verschwörungstheorien weiter zur gesellschaftlichen Spaltung beitrage. „Gewaltauswüchse, wie wir sie auf der Querdenken-Demonstration Anfang November in Leipzig erlebt haben, sind das Symptom eines aggressiven Klimas, das dieses – zu einem großen Teil vom rechten Rand stammende – Milieu auch gegenüber Medien schürt.“ Schmitz appellierte an die Innenministerien, Maßnahmen zu ergreifen, damit Journalistinnen und Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit besser geschützt würden.

Weniger negativ, mehr konstruktiv berichten

„Wir sind immer noch Gatekeeper“, konstatierte Prof. Alexandra Borchardt, Professorin für Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste, in ihrer Keynote zu „Medien zwischen Politik, Wissenschaft und Verschwörungsmythen“. Zwar meinten einige, Journalist*innen biederten sich in der Corona-Krise der Regierung an, berichteten unkritisch, zu viel und nicht das Richtige, sodass man lieber gleich auf die Websites der Expert*innen gehen könne. Doch andere meinten, der Journalismus sei „ganz wunderbar“ mit tollen neuen Formaten wie dem Drosten-Podcast, Visualisierungen der Pandemie und Kurzinfos von der Tagesschau auf Instagram. Redaktionen hauten Newsletter raus und die Abozahlen stiegen in der ersten Coronawelle. Zwischen diesen beiden „Lesarten der Krise“ positionierte Borchardt sich: „Der gute Journalismus war noch nie so gut, wie er jetzt ist!“

Journalistin und Buchautorin Alexandra Borchardt ist Professorin und Co-Leiterin des Master-Studiengangs Kulturjournalismus an der Universität der Künste in Berlin sowie Senior Research Associate am Reuters Institute for the Study of Journalism an der University of Oxford. Foto: Kay Herschelmann

Ihre These untermauerte sie mit wissenschaftlichen Befunden. Nach dem Reuters Digital News Report 2020 vertrauten 38 Prozent der Menschen den Medien, 31 Prozent den Suchmaschinen und nur 22 Prozent den sogenannten sozialen Medien. Borchardt: „Das sind Vertrauenswerte, mit denen wir arbeiten können. Also Leute macht was draus!“ Daten aus dem Report 2019 zeigten, dass die Medien im Aktuellen gut aufgestellt sind, hinsichtlich ihrer Erklärleistung meinen das noch 51 Prozent der Befragten und bei der Kontrollfunktion 42 Prozent. Schlechte Werte gibt es zu „richtige Themen raussuchen“ (29 Prozent) und „den richtigen Ton treffen“ (16 Prozent). Borchardt: „Wir predigen zu sehr von oben herab.“ Kritisiert wurde ebenfalls, dass Medien zu negativ und wenig konstruktiv berichteten, was unter anderem Ohnmacht auslöse. Deshalb sei konstruktiver Journalismus gefordert. Von der Informationsmenge überwältigt, schalte jeder Dritte ab: „Auch das muss uns zu denken geben.“

80 Prozent der Menschen – besonders in Ländern mit starkem öffentlichen Rundfunk – wollten Fakten und möglichst neutrale Nachrichten. Als „Fake News“ bezeichnete Falschinformationen müsse man ernst nehmen, dürfe aber nicht in Panik verfallen, so Borchardt. Es seien wenige, die viele „Fake News“ verbreiten. Man spreche auch von einem „Großvater-Phänomen“, d. h. vor allem Ältere teilten Falschinformationen, Jüngere seien skeptischer. Borchardt resümierte: traditionelle Medien setzten immer noch die Agenda und ihnen vertraue das Publikum stärker als den Netzwerken. Deshalb sollten sie „die Leute zu ihren News-Apps und die Kontrolle über die Algorithmen zurückholen“.

Checkliste um noch besser zu werden

Wie das geht, veranschaulichte Borchardt an einer „Checkliste für starken Journalismus“ mit zehn Punkten. Zuerst sollten Medienschaffende sich fragen, ob sie auch für weniger Gebildete „genug erklärt“ haben, indem sie etwa Visualisierungsmöglichkeiten nutzen. Unter „Setzen wir die Agenda“ sollte reflektiert werden: „Holen wir Gesprächspartner*innen ran oder laufen wir Politikerzitaten hinterher?“ Weitere wichtige Fragen sind: „Begeistern wir die Nutzer*innen mit Produkten, die ihnen helfen?“ und: „Bewegen wir sie mit Themen, die sie berühren?“ Als Beispiel für „andere zu Wort kommen lassen“ nannte Borchardt den Podcast mit dem Virologen Christian Drosten. In Punkt sechs und sieben geht es um die Vielfalt von Lebenswirklichkeiten und Perspektiven. Zum transparenten Umgang mit (Nicht)-Wissen, Quellen und Meinungen, meinte Borchardt, wenn es um die Reflexion eigener Vorurteile geht, „können Journalist*innen noch zulegen.“ Unter „Erheben wir Daten und lernen daraus?“ verstand sie nicht nur analytische Daten auszuwerten, sondern auch, den Leuten zuzuhören und schloss daran die letzte Frage an: „Begegnen wir den Menschen auf Augenhöhe?“

„Journalist*innen und ihr Publikum müssen (wieder) Verbündete werden“, forderte Borchardt, sich in ihre Bedürfnisse reindenken, ihre Probleme lösen helfen und so „die Gesellschaft und das Leben ein bisschen besser machen“. Aus dem Journalismustag-Publikum kam die Frage, wie ein solcher „guter Journalismus“ angesichts des Zeit- und Arbeitsdrucks verwirklicht werden könne. Eine Antwort: „Durch Weglassen und Fokussierung auf die Bedürfnisse des Publikums!“

Moderatorin Tina Groll, dju-Bundesvorstandsvorsitzende (links). Monique Hofmann, dju-Bundesgeschäftsführerin (re.), behält während des Journalismustages Twitter im Blick und gibt die Fragen der Teilnehmenden an die Referenten weiter Foto: Kay Herschelmann

Corona und der gesellschaftliche Diskurs

Der Anfangsbefund des ersten Panels fiel eher negativ aus: Rückzug in die Familie, Kontaktverluste, nicht nur wachsende soziale Distanz, sondern auch einen Rückgang des Meinungsaustausches konstatierte Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger auf die Frage, ob mit dem Wegfall zahlreicher Diskursräume die Menschen einander fremd werden. Für Shermin Langhoff, Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, war nach dem Bühnen-Shutdown zuletzt die Schließung der Theaterkantine eine der größten Zäsuren der letzten Zeit, ein „Akt sozialer Vernichtung“.

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (li.); Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters mit Moderator Klaus Schrage, Redakteur bei den Nürnberger Nachrichten Foto: Kay Herschelmann

„Lockdown, Shutdown, Breakdown – wie viel Corona verträgt der gesellschaftliche Diskurs?“, war Thema des ersten von Klaus Schrage aus Nürnberg moderierten Panels. Welche Utopie von Gesellschaft Multiplikatoren wie Medien, Theater oder Wissenschaft der Gesellschaft momentan vorleben könnten, fragte sich Langhoff und fand zunächst nur die eher rückwärtsgewandte Antwort: „Die Utopie ist der Status vor Corona.“ Gleichzeitig plädierte sie dafür, Themen, die schon vor der Pandemie nicht leicht zu setzen waren, weiter im Diskurs zu halten: Menschenrechte, Solidarität, Gleichberechtigung, Herkunft, Geschlecht… „Wie schaffen wir Mutmacher dafür in der Öffentlichkeit? Wie können wir Geschichten, die wir etwa mit dem ‚Exil Ensemble‘ mit Geflüchteten aufgegriffen haben, jetzt weitererzählen?“, fragte die Intendantin.

Schauen, wie das Wetter wirklich ist

Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), sah „enorme Anforderungen“, Wissenschaft möglichst niederschwellig nach draußen zu bringen. Dabei komme den Journalist*innen eine große Rolle zu, Vertrauen aufzubauen, sich „engagiert auch auf neue Wissensgebiete zu begeben“. Wissenschaftsjournalismus gewinne eine viel stärkere Bedeutung, so auch Langhoff. Sie riet den Medien mit Optimismus und Selbstvertrauen an ihre Aufgaben zu gehen, sich aber gleichzeitig energisch zu hinterfragen: „Wieviel Beachtung schenkt man – vielleicht auch in vorauseilendem Gehorsam – einer empirisch kleinen Gruppe von Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern?“ Nötig sei, „selbst rauszugehen und zu schauen, wie das Wetter wirklich ist“.

Die Medien, so ein Einwurf von Moderator Schrage, hätten in der Pandemie das Privileg, ihre Produkte weiter anbieten zu können. Welche Verpflichtung erwachse daraus? Wissenschaftskommunikation müsse weiter ausgebaut werden. Der zunehmende Reputationsgewinn verpflichte zu intensiverer Ausbildung von Wissenschaftsjournalist*innen, erklärte Allmendinger. Denn die Pandemie zeige auch, dass Wissenschaftler*innen sich von Medien treiben ließen, oft schnelle Antworten zu geben. Meist seien das vorläufige. Wissenschaft lebe von Falsifikation. Das müsse dem Publikum klargemacht werden. Selbst Virologen wie Drosten dürften ihre Haltung zu Masken begründet korrigieren.

„Glanz in die Herzen“ bringen

Der Kunst fehle momentan der Echoraum des Publikums und die Theaterkritik, so Shermin Langhoff. Die Medien dagegen erlebten beinahe „goldene Zeiten“ mit hohem Informationsanspruch und dem Bedarf nach Einordnung. Doch sehe sie für beide gesellschaftlichen Multiplikatoren eine gemeinsame Gefahr: Ein hoher finanzieller Druck mit der Folge, „dass weitere Ressourcen verloren gehen könnten“. Nur Plätze der Begegnung, Debatten, unterschiedliche Meinungen in Kultur, Wissenschaft und Journalismus schafften „Vertrauen als Schmiermittel der Gesellschaft“, so die Intendantin. Ihr fehle mehr „journalistischer Impetus im Bildungsbereich“ forderte Allmendinger. Medien sollten in diesen Zeiten „Lernbrücken“ sein.

Nach Wunschthemen und -funktionen für die mediale Corona-Berichterstattung befragt, listete die Sozialwissenschaftlerin Stichpunkte auf: den Wissenschaftsjournalismus stärken; dem Publikum die Datenbasis genau erklären; der Fokussierung auf politische Entscheidungen und Expertenwissen stets auch gesellschaftliche Fragen entgegensetzen und die Politik unter Druck setzen. Schließlich sah sie eine mediale Aufgabe auch darin, „Seelentröster“ zu sein und mit journalistischen Formaten „Glanz in die Herzen zu bringen“. „Genau hinzusehen, Blödsinn zu trennen von diskutablen Meinungen“, das brauche die Gesellschaft so dringend wie „Entdramatisierung“, meinte Intendantin Langhoff. Medien, Wissenschaft und Kunst als „vierte, fünfte und sechste Säule der Demokratie“ sollten sich bereitmachen „für die vorhersehbaren Verteilungskämpfe nach Corona“ und Wertschätzung einfordern.

Wie geht eigentlich guter Wissenschaftsjournalismus?

Dieser Frage gingen vier Schülerinnen der Abschlussklasse der Deutschen Journalistenschule aus München in einem Filmbeitrag nach. Die Zusammenarbeit der dju mit der DJS hat bereits eine langjährige Tradition. Und so brachte auch der neueste Film der angehenden Kolleginnen das Thema des diesjährigen Journalismustages erfrischend lebendig und überzeugend auf den Punkt. Tasnim Rödder führt durch den Film.

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Die drei Fimemacherinnen der DJS Victoria Kunzmann, Anne Baum und Lisanne Dehnbostel werden digital zugeschalten. Moderatorin Andrea Mavroidis (li.) hat einige Nachfragen. Foto: Kay Herschelmann

Mehr Wissenschaft ins Programm

Das Panel „Wissenschaftsjournalist*in: eine unterschätze Spezies?“ konnte sich nahtlos inhaltlich anschließen. Und Moderator Manfred Kloiber, selbst freier Technik-Redakteur beim Deutschlandradio, sah auch keinerlei Problem in der „Erklär-Bär-Funktion“ seiner Zunft.

Ob sich im Ressort durch Corona viel verändert habe, war seine erste Frage an Dr. Jeanne Rubner. Die Redaktionsleiterin Wissen und Bildung aktuell beim Bayerischen Rundfunk bestätigte: „Covid 19 hat deutlich gemacht, wie wichtig gute Berichterstattung über Wissenschaft ist. Das sollte dazu führen, noch mehr in diesen Bereich zu investieren.“ Zwar seien Themen zu Wissenschaft, Technik, Medizin und Umwelt bereits vorher im Aufwind gewesen, ein gewisser Boom habe sich vor allem auf digitalen Ausspielwegen ergeben. Doch die Pandemie habe ihrer Redaktion eine „Federführung für wissenschaftliche Aspekte“ gebracht, Fachredaktionen seien mehr gefragt. „Wo es politisch wird, kommen aber auch andere Ressorts in Spiel“, so die Redaktionsleiterin. Konflikte zwischen Wissenschaft und Politik in Sachen Corona sehe sie akut nicht, eher „einen großen Konsens, etwa zur Notwendigkeit des Impfens“ oder bestimmter Lockdown-Maßnahmen. In Zweifelsfällen gäbe es journalistisch ja immer auch das Format des Pro & Contra.

Übersetzungsarbeit und Betroffenheit

Mehr Aufmerksamkeit für wissenschaftliche Themen, dieses Plädoyer unterstützte Stefan Wirner auch im Lokalen. Nach seiner Einschätzung haben sich Lokalredaktionen „landauf, landab mit der Pandemie und ihren sozialen Folgen beschäftigt“. Als Redaktionsleiter der „drehscheibe“, des Lokaljournalistenprogramms der Bundeszentrale für politische Bildung, betonte er den Anspruch vor allem an Lokalzeitungen, auch globale Themen wie eine Pandemie „in die Region, in die Umwelt der Leser selbst zu übertragen“. Dieses „Alleinstellungsmerkmal des Lokaljournalismus“ bedeute oft „Übersetzungsarbeit“, den Aufwand, große Themen auf die regionale Ebene herunter zu brechen. Das sei bei Corona vielfach gut gemacht worden. So seien Lokaljournalist*innen Auswirkungen in der Region, aber auch Gerüchten nachgegangen, hätten lokale Faktenchecks angeboten. Die „Frankenpost“ in Hof habe sogar erfolgreich eine Klage angestrengt, als Ämter konkrete Zahlen über regionale Hotspots nicht herausgeben wollten. Ob genügend Know-how in den eigenen Lokalredaktionen vorhanden sei oder häufiger auf Zulieferungen von Agenturen zurückgegriffen werde, „hängt vom Medienhaus ab“, erklärte Wirner. Doch bei wichtigen übergreifenden Themen wie dem Klimawandel habe inzwischen wohl „jede Lokalredaktion jemanden, der das speziell bearbeitet“.

Noch viel mehr „Erklär-Bär“

Jeanne Ruber, Redaktionsleiterin „Wissen und Bildung aktuell“ beim Bayerischen Rundfunk mit Stefan Wirner von der „drehscheibe“ (li. unten) und Moderator Manfred Kloiber Foto: Kay Herschelmann

Von einer professionellen Spezialisierung auf spezielle Wissensgebiete konnte Jeanne Rubner für den Bayerischen Rundfunk berichten. Es sei „ein großes Plus, auf Kolleg*innen mit großem Wissen und vielen Kontakten“ auf Spezialgebieten zurückgreifen zu können. Dass zunehmend auch Wissenschaftler*innen selbst zu Moderatoren von Sendungen oder Podcasts werden, sah sie „nicht als Bedrohung oder Konkurrenz“, eher helfe das, „mehr Wissenschaft ins Programm zu bringen“. Bedrohlich sei vielmehr, dass viele Sender – der BR bilde da eine Ausnahme – das Thema Wissen und Bildung nicht ernst genug nähmen. „Trotz des eindeutigen Programmauftrags geben hier etliche Sender der ARD kein gutes Bild ab“, so Rubner. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könne und solle „mehr machen“.

Hinsichtlich von Themenanregungen und Quellen sprach die Redaktionsleiterin von Intermediären wie dem „Science Media Center Germany“ als „großartiger Einrichtung“. Sie wolle aber auch auf die eigenen Ressourcen setzen. „Zugeschnitten auf lokale Medien“ könnten solche Datenlabore das journalistische Angebot stärken, meinte Wirner. Eine ähnliche Funktion erfülle die „drehscheibe“ selbst, indem sie Tipps gebe, wie größere Themen im Lokalen zielgruppengerecht umgesetzt werden könnten, wo „ja immer von Dingen berichtet wird, von denen man selbst unmittelbar betroffen ist“.

Beide Gesprächspartner wollen den Wissenschaftsjournalismus künftig weiter stärken. Er behandle „Themen, die den Alltag prägen, die wichtig sind und spannend aufgeschrieben gehören“, so Stefan Wirner, der appellierte, das Ressort keinesfalls zu vernachlässigen.

Jeanne Rubner sah eine wichtige Aufgabe darin, den Rezipienten noch besser zu erklären, wie Wissenschaft funktioniert, wie Wissenschaftler*innen arbeiten und warum Streit in der Wissenschaft nötig ist. „Wir müssen kein Öl ins Feuer gießen, aber auch nicht aus Angst Kontroversen unter den Tisch fallen lassen.“ Überhaupt sei Wissenschaftsjournalismus prädestiniert, die „großen Zusammenhänge nicht aus dem Auge zu verlieren“. Zusätzlich sollten Möglichkeiten genutzt werden, sich stark im Netz zu repräsentieren. Für Zukunftsthemen wie künstliche Intelligenz oder klimagerechte Mobilität gäbe es bereits Podcast-Label, YouTube-Formate oder Plattform-Angebote. Sie sollten ausgebaut werden.

Klare Informationen als tägliche Nahrung im Lockdown

Medienjournalistin Ulrike Simon (li.) im Gespräch mit Cornelia Berger, Leiterin Kommunikation und Marketing bei ver.di, über die Chancen des Journalismus und der Medien nach der Corona-Krise.
Foto: Kay Herschelmann

Welche Chancen Journalismus und Medien nach der Corona-Krise haben, fragte Cornelia Berger, Leiterin Kommunikation und Marketing bei ver.di, im letzten Panel des Journalismustages. Medienjournalistin Ulrike Simon sah diese durchaus in steigenden Zugriffen und dem Vertrauensgewinn für journalistische Produkte, aber das müsse „sich monetarisieren“ – über die Reichweite, die zu mehr Werbeeinahmen führe oder über bezahlte Inhalte. Die meisten Zeitungen hätten inzwischen zwar eine Paywall, aber die Werbeeinnahmen „krachten nach unten“, da Anzeigen von Veranstaltungsbranche und Einzelhandel im Lockdown ausblieben und auch die Mehrwertsteuersenkung „nicht den erhofften Effekt“ hatte. Darunter litten insbesondere Lokalzeitungen oder Stadtmagazine. Die Berliner„Zitty gibt es nicht mehr, andere Redaktionen meldeten Kurzarbeit an. Das sei aber „kein gutes Instrument“, so Simon, denn journalistische Arbeit lasse sich nicht mit der Stechuhr erfassen, aber sie helfe, „Leute zu halten.“

Die Werbeeinbrüche waren mit 20 Prozent bei Zeitungen zwar nicht so hoch wie pessimistische Prognosen sie mit 60 Prozent erwarteten, aber „in so einer Situation expandiert eine Redaktion nicht“, auch wenn viele Verlage ihre „Angebote schmackhafter gemacht“ haben, Abos halten konnten und Zugriffe im Internet stiegen – weil Information „tägliche Nahrung im Lockdown war“, so Simon.

Medienwissenschaftlerin Dr. Christina Viehmann von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in der Diskussion mit Ulrike Simon und Cornelia Berger. Foto: Kay Herschelmann

Ob dieser Relevanzzuwachs auch mit mehr Vertrauen einherging, fragte Moderatorin Cornelia Berger die zweite Diskutantin, Medienwissenschaftlerin Christina Viehmann. Diese sah durchaus „Grund zur Hoffnung“, denn das Vertrauen in die Medien habe einen Schub nach oben bekommen, auch wenn journalistische Mediennutzung „stark von Gewohnheiten geprägt“ ist. Den Medienschaffenden riet sie, „Geduld zu haben und so weiter zu arbeiten wie in der Krise, denn die Berichterstattung wurde sehr wertgeschätzt.“ Nach der jüngsten Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen sei in der Coronakrise die kritische Kontrollfunktion der Medien weniger wichtig als sonst. Gefragt seien vielmehr Erklären, Trost spenden und Zusammenhalt fördern. „Die Vertrauens- und Relevanzwerte sind gut“, so Viehmann. Deshalb sollten Journalist*innen weiterhin Fakten berichten und sich nicht in eine Sensationsspirale ziehen lassen, auch wenn die Debatten auf dem politischen Parkett, etwa zu den Impfmaßnahmen, kontroverser werden.

Auch Ulrike Simon meinte, Informationsmedien wie Tageszeitungen, die oft als „alte Tanten“ verspottet würden, hätten im Moment recht gute Chancen, da sie die Leserschaft nicht mit der Vermischung von Redaktion und Werbung oder reißerischen Titeln zum Clickbaiting enttäuschten.

Zur geplanten staatlichen Digitalisierungsförderung äußerte Simon sich skeptisch. Ursprünglich hätten Verlage eine Zustellförderung verlangt, da 40 Prozent der Gemeinden 2025 nicht mehr wirtschaftlich mit Zeitungen belieferbar seien. Jetzt habe die Regierung ihre Förderung an Digitalisierungsmaßnahmen geknüpft und die Summe auf 220 Millionen Euro festgelegt. Die Vergabekriterien seien allerdings noch unklar. Zeitungen, Zeitschriften und Start-ups rissen sich um die Förderung und riskierten so ihre Unabhängigkeit, kritisierte Simon. Auf die Frage aus dem Chat, ob eine Digitalisierung aus Steuermitteln nicht besser sei als aus Geldern von Google und Co, antwortete sie: „Nein, besser aus eigener Kraft!“

Martha Richards, Koordinatorin der Arbeit von ver.di im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Foto: Kay Herschelmann

Gewerkschaftssekretärin Martha Richards verwies in ihrem Schlusswort auf das Vertrauen des überwiegenden Teils der Bürger*innen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als seriöse und verlässliche Informationsquelle. Das zeigten die Quoten des letzten Jahres einmal mehr. Zu verdanken sei dies ganz wesentlich denjenigen, die mit vollem Einsatz tagtäglich Programm machen. Dafür brauche es gute Arbeitsbedingungen, die es zu sichern und zu verteidigen gelte. Dafür werde ver.di kämpfen und gemeinsam mit allen „die Debatte um Auftrag, Inhalt und Struktur des Rundfunks führen und mitgestalten“.

Der Livestream des 34. Journalismustages von ver.di 2021

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