Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfolge einen regelrechten Masterplan zu Einschränkung von Menschenrechten in der Türkei wie Pressefreiheit, Frauenrechte oder Minderheitenschutz, so Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty International Deutschland. Wie er forderten Parlamentarier und Menschenrechtsaktivist*innen auf einer Veranstaltung des Kulturforums Türkei Deutschland vor dem EU-Gipfel deutliche Zeichen aus Brüssel und Berlin.
Die Staats- und Regierungschefs der EU diskutieren ab Donnerstag über die künftigen Beziehungen zur Türkei. Das Verhältnis müsse dringend geklärt werden, forderten die Vertreter*innen des Kulturforums am 23. März im Garten des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Zahlreiche Redner*innen kritisierten vor allem die Menschenrechtslage in der Türkei scharf. Sie verurteilten die Inhaftierung von Aktivist*innen und Journalist*innen und das eingeleitete Verbotsverfahren gegen die Oppositionspartei HDP.
Die türkische Generalstaatsanwaltschaft hatte kürzlich beim Verfassungsgericht eine Verbotsklage gegen die Partei eingereicht. Außerdem verlangt sie ein fünfjähriges Politikverbot für fast 700 Mitglieder. Auch den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen wurde bei der Veranstaltung als Rückschlag für die Menschenrechte im Land gewertet.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir forderte die Bundesregierung auf, in ihrem „Diplomatenkoffer künftig nicht mehr nur Wattebäuschchen“ zu haben. Man müsse vielmehr gezielte Wirtschaftssanktionen gegen Funktionäre der türkischen Regierungsparteien verhängen. Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, forderte einen sofortigen Stopp der Waffenexporte in die Türkei, ein Ende der privilegierten Partnerschaft und eine Aussetzung der Zollunion.
Besonders seit der Niederschlagung des Putschversuchs von 2016 geht die türkische Regierung auch hart gegen kritische Journalist*innen vor. Dutzende wurden aufgrund ihrer Berichterstattung zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Viele warten seit Jahren auf ihre Urteile. Andere sind ins Ausland geflohen.
Der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar warf den EU-Staats- und Regierungschefs vor, „Doppelstandards“ gegenüber der Türkei anzulegen. Sie seien „dankbar“ für die Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingspolitik und deshalb bereit, ihre Prinzipien zu opfern. Für das Gorki-Theater hat Dündar seine Zelle aus dem berüchtigten Gefängnis Silivri nachbauen lassen. „Prison of Thoughts“, Gefängnis der Gedanken, heißt seine Installation, vor der die Redner*innen sprachen.
Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, forderte Entschädigung aller zu Unrecht inhaftierten Medienschaffenden und deren Freilassung. Über 300 Journalist*innen seien in der Türkei seit 2016 eingesperrt worden. „Die EU soll sich nicht blenden lassen“, so Mihr. Man wolle von der Politik weniger tadelnde Worte und mehr konkrete Handlungen.
Angesprochen wurde neben der EU aber vor allem auch die Bundesregierung. Die hatte noch im Dezember Sanktionen gegen die Türkei verhindert und dafür gesorgt, dass die EU dem Land eine sogenannte Positivagenda in Aussicht stellte, wenn diese ihr Verhalten ändere.
Und auch im Inneren zögert die Bundesregierung. Seit November 2020 lässt sie die Möglichkeit eines Verbots der Grauen Wölfe in Deutschland prüfen, die als Auslandsvertretung der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) wirken. Auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linkspartei), wie weit die Verbotsprüfung gediehen ist, hat die Bundesregierung nur ausweichend geantwortet.