„Online First“ gilt inzwischen in vielen Medienhäusern. Nachrichten gelangen zuerst in elektronische Kanäle. Doch auch die klassischen Zeitungen und Zeitschriften spielen immer noch eine Rolle, gedruckt oder im Netz. Denn ihre Namen sind als Marke und Signal für Glaubwürdigkeit nicht zu unterschätzen, war Tenor im jüngsten „Berliner Mediensalon“. Um junge Leser*innen an guten Journalismus zu gewöhnen, sollten Zeitungs- und Zeitschriftenverlage überall präsent sein, wo junge Mediennutzer*innen unterwegs sind.
„Aufstieg und Fall der Digitalmedien“ war die provokante Überschrift der Online-Veranstaltung am 24. November, die zunächst mit den Tücken der digitalen Technik zu kämpfen hatte. Reine Digitalmedien wie BuzzFeed befänden sich auf dem Rückzug: „Eine Chance für den klassischen Journalismus?“, war die Ausgangsfrage für die Diskussion, die zeitweise ohne Moderator Johannes Altmeyer vom Newsletter „Business Insider“ auskommen musste. Doch der Gesprächsrunde tat dies keinen Abbruch, denn Carolina Drüten, Athen-Korrespondentin der „Welt“, Hannah Schwär vom Hauptstadtbüro von „Stern“ und „Capital“, Amelie-Marie Weber, Head of Social Media der Funke Zentralredaktion, und Felix Dachsel, Chefredakteur von „Vice“, tauschten sich neugierig über ihre Social-Media-Erfahrungen aus: „Wie macht ihr denn das mit Tik-Tok?“
Wo die Sympathien liegen
Drüten denkt bei Interviews nicht in erster Linie an den Text, sondern an das Video, an die Online-Kanäle, überlegt die Brauchbarkeit des Gesprächs für einen Podcast, freut sich aber dann doch, wenn sie die gedruckte Fassung in der „Welt“ sieht. Bei der „Welt am Sonntag“ gelte außerdem immer noch das Prinzip „Print first“, und zwar ziemlich erfolgreich. Bei Weber stehen TikTok und Instagram im Mittelpunkt, wenn aber, wie am Tag des „Mediensalons“, sich die Meldungen durch die Pressekonferenz der neuen „Ampel-Koalition“ überschlagen, dann füttert sie nicht nur TikTok mit Details aus dem Koalitionsvertrag, die für junge Leute interessant sind. Dann ist sie auch am Newsdesk der Funke Zentralredaktion im Einsatz, die 13 Regionalzeitungen mit Nachrichten aus der Hauptstadt und aller Welt beliefert.
Im Wahlkampf hat Weber für TikTok und Instagram Interviews mit den Kandidat*innen und Erklärstücke publiziert und deshalb schnell gemerkt, wo die Sympathien bei den jungen Leuten liegen. Der große Zuspruch für die FDP bei den Erstwählern hat sie daher wenig erstaunt, denn die Klickzahlen hatten dies angedeutet. Während Dachsel, dessen Magazin „Vice“ nicht auf TikTok unterwegs ist, im Gespräch bei Politiker*innen eher wenig Interesse an TikTok vermutete und Schwär mit Reserviertheit in den Regionalredaktionen gegenüber den Jugendkanälen rechnete, stimmt laut Weber beides nicht mit ihren Erfahrungen überein.
Generationenkonflikt und Verantwortung
Dass es bei der Einstellung von Jugend-Publikationen wie „Bento“ auch Schadenfreude gegeben habe, ist für Dachsel ein Zeichen für einen Generationenkonflikt, der in den Redaktionen ausgetragen werde. Sein Rezept für das Überleben klassischer Magazine sei aber nicht, junge Ableger zu gründen, sondern jungen Leuten in der Redaktion mehr Verantwortung zu geben. Schwär betonte, sie fände es bei „Capital“ interessant, mal die Jüngste in der Redaktion zu sein und von der Berufserfahrung der anderen profitieren zu können.
Magazine wie der „Stern“ setzten auf die Attraktivität großer Fotostrecken, betonte Schwär. Diese Vorteile könne sie sich bei den „kleinen Bildchen“ auf den mobilen Endgeräten kaum vorstellen. Das konterte Weber mit dem Verweis auf den Auftritt des „SZ Magazins“ bei Instagram. Der mache richtig Lust, das Magazin auch als Printprodukt zu genießen. Die jungen Kanäle nutzen, um junge Leser*innen an guten Journalismus zu gewöhnen, sei das richtige Rezept, um spätere Abonnent*innen zu gewinnen, so Weber. Journalist*innen würden die Rolle als Gatekeeper nicht mehr zurückgewinnen, sagte Drüten, dafür sind die Veröffentlichungsmöglichkeiten zu vielfältig geworden: „Diese Arroganz sollten wir ablegen, dass nur wir wissen, was tolle Themen sind.“ Aber Qualitätsmedien hätten die Chance, sich als Wahrer von Glaubwürdigkeit, als Rechercheure und Analysten zu profilieren, waren sich die Diskutant*innen einig.
Die Abhängigkeit der Online-Publikationen von Algorithmen, die – wie bei Google – plötzlich wechselten und vorher viel geklickte Themen auf einmal uninteressant erscheinen lassen, bedauerten alle. Doch dass man sich daran nicht orientieren könne, sondern die Schwerpunkte weiter selbst setzen müsse, sei sicherlich besser für den Journalismus, meinte Dachsel.
Ob sie Journalismus heute als „Traumjob“ jungen Menschen empfehlen würden, gab Altmeyer als letzte Frage in die digitale Runde. Nein, wenn die lange Reportage, die Work-Life-Balance oder die finanzielle Sicherheit im Mittelpunkt der Zukunftshoffnungen stehen, so die Antwort. Ja, wenn Neugier, Offenheit für Veränderungen und Hartnäckigkeit die Triebfedern sind. Carolina Drüten mit dem Fazit aus Athen: „Du musst den Job dann schon lieben.“
#Mediensalon ist eine Kooperation von Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, Deutschem Journalistenverband DJV Berlin – JVBB und meko factory, der gemeinnützigen Werkstatt für Medienkompetenz, unterstützt von der Otto Brenner Stiftung, Landau Media und der taz kantine.