Solidarische Hilfe für Medienschaffende im Ringen um freie Berichterstattung
Der Krieg in der Ukraine war von Anfang an auch ein Medienkrieg. Von der russischen Regierung wird die Invasion der russischen Armee von einer Lügenkampagne begleitet, die den Angriffskrieg als „Spezialoperation“ gegen „Nazis“ verkauft. Dagegen scheint es die bisherige Strategie des Westens zu sein, den ukrainischen Widerstand zu stärken und die Sanktionen aufrechtzuerhalten, bis Putin auch innenpolitisch so sehr unter Druck gerät, dass er den Krieg letztlich nicht gewinnen kann. Wir haben es also mit einem Krieg zu tun, der nicht nur mit militärisch-technologischen Mitteln geführt wird, sondern dessen Ausgang ganz wesentlich davon abhängt, welche Erzählung sich durchsetzt: Wie lange währt die Halbwertzeit von Putins Propagandalügen? Und welche Reichweite erhält in diesem Krieg freie Berichterstattung, die journalistischen Standards gerecht wird?
Im ständigen Schussfeuer stehen die Medienschaffenden, die innerhalb oder außerhalb der Ukraine versuchen, verlässliche Informationen zu liefern, und dafür ein hohes persönliches Risiko auf sich nehmen. Am 26. Februar, zwei Tage nach Beginn des Angriffskrieges, wird der Journalist Dilberbek Schakirow nahe der Stadt Cherson aus einem Fahrzeug heraus erschossen. Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa macht auf Facebook „russische Besatzer“ verantwortlich für die Ermordung des Bürger-Journalisten der Wochenzeitung „Vokrug Tebia“ („Around You“). Laut Reporter ohne Grenzen werden am gleichen Tag die zwei dänischen Kriegsreporter Stefan Weichert und Emil Filtenborg von Schüssen schwer verletzt, als sie mit dem Auto in der Gegend westlich von Charkiw unterwegs sind. Am 4. März gerät ein Team von Sky News auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet nördlich von Kiew unter Beschuss durch mutmaßliche russische Saboteure. „Stop! We are Journalists!“, hört man sie im vom britischen Sender veröffentlichen Video rufen, während aus dem Hinterhalt weitergefeuert wird. Nur mit Glück schaffen sie es zu entkommen – aber Kameramann Richie Mocker und Korrespondent Stuart Ramsay werden verletzt.
Die russische Armee geht aber noch weiter und greift gezielt mediale Infrastruktur an. Bei der direkten Bombardierung des Fernsehturms in Kiew am fünften Kriegstag verliert Ewgeni Sakun sein Leben, Kameramann für Kiev Live TV. Noch in drei weiteren Fällen kommt es zum Beschuss von Sendetürmen. Reporter ohne Grenzen (RSF) zählt „mindestens 32 Fernseh- und Dutzende Radiostationen“, die von gezielten russischen Angriffen in ihrer Berichterstattung be-ein-trächtigt seien. „Medieninfrastruktur bewusst anzugreifen ist ein Kriegsverbrechen“, urteilt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Im Krieg ist der Zugang zu Informationen lebenswichtig.“ Aus diesem Grund reicht die Organisation Beschwerde vor dem Internationalen Strafgerichtshof ein.
Wie kann aber der Schutz für diejenigen verbessert werden, die aus der Ukraine über den Krieg berichten? „Wenn ich mich im Hotel umschaue, schicken andere Sender Kerle in den 50ern, die trotz Schrankformat zu dritt oder viert unterwegs sind“, schreibt Rebecca Barth, freie Journalistin, die u.a. für die ARD-Tagesschau aus Kiew berichtet, auf ihrem Twitter-Account. „Ich dagegen bin alleine, hab weder Weste noch Helm und muss mich mit deutschen Print-Redaktionen um eine Versicherung prügeln, die eigentlich Mindestanforderung sein sollte. Es liegt nicht an den Reportern, es liegt an Strukturen.“ Insbesondere der finanzstarken ARD wird unter anderem vom Branchenmagazin Medieninsider vorgeworfen, keine eigenen Korrespondent*innen in die Ukraine zu senden. Auf eine Anfrage von Übermedien antwortet der öffentlich-rechtliche Sender: „Seit gestern (2.3.22) begleitet ein ARD-Korrespondent einen Hilfskonvoi in der Ukraine und berichtet über die Lage im Land. Wir bereiten zudem die Einreise weiterer Teams vor.“
Freie nicht ausreichend ausgerüstet
Das Netzwerk Recherche kritisiert hingegen, dass deutsche Auftraggeber Reporter*innen Honorare nicht zahlen, sie nicht versichern und nicht mit überlebenswichtiger Ausrüstung wie kugelsicheren Westen und Helmen ausstatten. „Diese mangelnde Unterstützung ist völlig inakzeptabel und gefährdet die Kolleg*innen vor Ort massiv“, kritisiert der Vorsitzende des Netzwerks, Daniel Drepper, im Zusammenhang mit einem Spendenaufruf für freie Journalist*innen, durch den am 5. März bereits Unterstützungsleistungen im Wert von 50.000 Euro an das neue Zentrum für Pressefreiheit im westukrainischen Lwiw weitergeleitet werden konnten. Das Projekt von Reporter ohne Grenzen und dem ukrainischen Institut für Masseninformation (IMI) soll als Anlaufstelle für Journalist*innen nicht nur physische, sondern auch psychische Hilfe gewährleisten, denn „der Bedarf an Unterstützung ist immens, es geht um so verschiedene Dinge wie Schutzausrüstung, medizinische Notfallpakete und huma-nitäre oder finanzielle Hilfe“, wirbt RSF-Geschäftsführer Mihr.
Das Greifswalder Magazin „Katapult“ geht sogar noch einen mutigen Schritt weiter: „Heute haben wir die ersten 15 ukrainischen Journalisten eingestellt“, verkündet Redakteur Benjamin Fredrich am 2. März: „14 der 15 sind Frauen. Vier fliehen derzeit nach Westen. Einige befinden sich in ruhigeren Regionen der Ukraine, andere in umkämpften Kriegsgebieten.“ Vor Unterstützungsangeboten sei ihnen der E-Mail-Server zusammengebrochen, berichtet die schnell wachsende deutsche Zeitschrift über den Start von „Katapult Ukraine“. Das neue Team solle nun um russische Journalist*innen erweitert werden: „Die Russen werden im Moment getäuscht. Sie müssen die Wahrheit erfahren. Freier Journalismus ist entscheidend dafür, dass dies geschehen kann. Deshalb stellen wir ab sofort russische Journalisten ein und werden ein gemeinsames ukrainisch-russisches Projekt!“, verkündet „Katapult“ euphorisch.
Haftstrafen bis zu 15 Jahre angedroht
Tatsächlich scheint bereits ein Exodus russischer Journalist*innen einzusetzen. Nachdem das russische Parlament einen Gesetzentwurf verabschiedet hat, der Haftstrafen von bis zu 15 Jahren für die Veröffentlichung von „Falschinformationen“ über die russischen Streitkräfte vorsieht, ist abzusehen, dass Journalist*innen im Grunde nur noch das Abschreiben von Regierungsverlautbarungen zum Krieg in der Ukraine bleibt, um nicht im Gefängnis zu landen. Gegen mindestens zehn Medien führt die Medienregulierungsbehörde Roskomnadsor Verfahren, darunter der Radiosender „Echo Moskwy“, der unabhängige Kanal „TV Doschd“ und die investigative Zeitung „Nowaja Gaseta“. Angesichts der Bedrohungssituation für Journalist*innen in Russland und der Zunahme von Verhaftungen fordert Reporter ohne Grenzen Asyl für russische Medienschaffende und appelliert an die Bundesregierung, „unbürokratische Aufnahmeverfahren zu ermöglichen, so wie sie es bereits für ukrainische Journalistinnen und Journalisten tut.“
Moskaus Repressionen gegen unabhängige Presse veranlassen auch ausländische Medien, ihre Korrespondent*innen aus Russland abzuziehen. Am 5. März verkünden CNN und BBC den Stopp jeglicher Berichterstattung aus der russischen Föderation: „Die Sicherheit unserer Mitarbeiter steht an erster Stelle und wir sind nicht bereit, sie dem Risiko von Strafverfolgung auszusetzen, nur weil sie ihren Job tun“, begründet BBC-Direktor Tim Davie die Reaktion auf Putins Fake-News-Gesetz auf Twitter. Zeitgleich setzen auch ARD und ZDF die Berichterstattung aus ihren Moskauer Studios aus. Damit kommen sie einem möglichen direkten Sendeverbot zuvor, das Roskomnadsor bereits der Deutschen Welle (DW) erteilt hatte.
Die Medienverantwortung der EU
Die European Federation of Journalists (EFJ), in der auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) Mitglied ist, ruft dazu auf, unabhängige russische Journalist*innen zu unterstützen und kritisiert gleichzeitig die Europäische Union für das Verbotsverfahren gegen russische Staatsmedien hierzulande, das eine Vorlage für Putins Vorgehen gegen ausländische Medien in Russland biete. „Die Europäische Union, die zu dieser neuen Welle der Repressionen mit dem Verbot von RT und Sputnik beigetragen hat, hat die Verantwortung, unabhängige russische Medien und Journalisten zu unterstützen“, äußert sich EFJ-Generalsekretär Anthony Bellanger. Bereits vor Eintreten des Verbots haben RT und Ruptly in Berlin schon erhebliche Probleme, weil Mitarbeiter*innen interne Zensur nicht akzeptieren und kündigen, wie Reuters vermeldete. Auch dju-Bundesvorstandsvorsitzende Tina Groll gibt in M Online zu bedenken, dass ein Verbot der Putinschen Propaganda und Desinformation in Europa nicht unbedingt die Pressefreiheit stärke und ergänzt mit Blick auf die Rolle von Elon Musks Satelliten-Internet und Amazon-Hilfen: „Unsere Verantwortung ist, in diesem Krieg nicht noch Medienhypes zu kreieren. Genau hinzuschauen gilt es auch auf die Rolle der Internet-Monopolisten und Tech-Konzerne.“
Während die Nachrichten zum Ukraine-Krieg sich überschlagen und der mediengewandte Präsident Wolodymyr Selenskyj in Videobotschaften Durchhalteparolen an die Bevölkerung richtet, zeigt die Arte-Mediathek die Serie „Diener des Volkes“ aus dem Jahr 2015. Darin nimmt der Schauspieler und Komiker Selenskyj die Realität vorweg und spielt sich selbst als Präsident. Im Kontrast zur ukrainischen Slapstik-Komödie erscheint der russische Invasionskrieg noch abgründiger und es lässt sich, wenn man kurz innehält, ahnen: Trotz Medienhypes und Heldengeschichten bleibt der Krieg schwer begreifbar – und er bleibt eine Katastrophe – vor allem für alle, die ihm direkt ausgesetzt sind.
Hilfe für Medienschaffende
Netzwerk Recherche:
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Reporter ohne Grenzen:
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/spenden/hilfe-fuer-die-ukraine
KATAPULT-Magazin:
https://kurzelinks.de/katapult-zahlt-gehaelter-ukraine
Ukraine Safety Fund – Europäischer Journalistenverband (europeanjournalists.org):
https://kurzelinks.de/efj-ukraine-fund
Spendenkonto der großen deutschen Gewerkschaften für die Menschen in der Ukraine:
https://kurzelinks.de/verdi-solidaritaet-ukraine