Filmtipp: „Ich bin! Margot Friedländer“

Dreharbeiten mit der Holocaustüberlebenden Margot Friedländer und Hauptdarstellerin Julia Anna Grob. Foto: ZDF/ Dirk Heuer

Es ist nicht zuletzt die Mitwirkung der mittlerweile über hundert Jahre alten Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, die diesen Film zu einem herausragenden Werk macht. Das Doku-Drama der Grimme-Preisträger Raymond und Hannah Ley erzählt von ihren 15 Monaten im Berliner Untergrund, bis sie schließlich nach Theresienstadt deportiert wurde.

Margot Friedländer ist geistig immer noch hellwach. Auch körperlich scheint sie bemerkenswert rüstig zu sein. Beides ist ein Phänomen. Das größere Wunder hat sich jedoch vor achtzig Jahren zugetragen: Sie ist Jüdin und hat den Holocaust überlebt, mit Glück natürlich, aber vor allem dank der Unterstützung von Menschen, die ihr eigenes Leben riskiert und sie versteckt haben. Wer wäre geeigneter als Raymond Ley, ihre Geschichte zu erzählen. Der vielfach ausgezeichnete Autor und Regisseur hat gemeinsam mit seiner Frau Hannah Ley 2014 den Grimme-Preis für das Doku-Drama „Eine mörderische Entscheidung“ (ARD) über die Rekonstruktion der Bombardierung von Kunduz (2009) bekommen. Dank Filmen wie zuletzt unter anderem „Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“ (2020) gehören die beiden seit vielen Jahren zu den wichtigsten filmischen Chronisten der jüngeren und älteren deutschen Zeitgeschichte. Eins der besten Werke des Ehepaars ist „Meine Tochter Anne Frank“ (2015) mit der damals praktisch unbekannten Mala Emde als Hauptdarstellerin. 

Die Grundzüge der Handlung von „Ich bin! Margot Friedländer“ sind gänzlich andere, aber natürlich gibt es angesichts von Margots Erlebnissen mit Anfang zwanzig einige Parallelen. Dass Ley für die zum Teil winzigen Rollen der Helferinnen und Helfer prominente Mitwirkende wie Iris Berben, Axel Prahl und Herbert Knaup gewinnen konnte, unterstreicht die Bedeutung des Themas. Ungleich entscheidender war jedoch die Besetzung der Titelrolle. Erneut hat sich Leys Gespür als goldrichtig erwiesen. Julia Anna Grob verkörpert sowohl die jugendliche Unbedarftheit wie auch das erzwungene Erwachsenwerden sehr glaubhaft. Als Margots Mutter (Hannah Ley) und der kleine Bruder deportiert werden, ist sie auf sich allein gestellt, um dem Vermächtnis ihrer Mutter gerecht zu werden: „Versuche, dein Leben zu machen“; so lautet auch der Titel von Margot Friedländers 2008 erschienener Autobiografie.

In anderen Produktionen dieser Art sind die Spielszenen oft nur Ergänzung des dokumentarischen Materials, bei Ley ist es andersrum. Regelrecht verblüffend ist die Kombination der beiden Ebenen, denn er nutzt seine Hauptdarstellerin buchstäblich als Projektionsfläche: Die zeitgenössischen Bilder spiegeln sich in Grobs Antlitz. Zwischendurch bedient sich Ley typischer Bühnenszenen, wenn Margot im Traum von einer verschlossenen Tür zur nächsten irrt. Auch das hat seine Bewandnis: Zu Beginn, 1939, arbeitet sie als Statistin und Kostümgehilfin am Theater des Jüdischen Kulturbunds. Die entsprechenden  Aufführungen bescheren Charly Hübner einige heitere Auftritte als Alfred Berliner, dem Star des Ensembles.

Im Theater ist Margot auch zum ersten Mal Stella Goldschlag (Luise von Finckh) begegnet. Die junge Frau wird in der irrigen Hoffnung, ihre Mutter retten zu können, Spitzel für einen Gestapo-Mann. Die Momente, in denen der Nazi ihr Gewalt antut, um ihren Widerstand zu brechen, gehören zu den bedrückendsten des Films und sind nur schwer auszuhalten. Während Ley keinen Hehl daraus macht, wie verabscheuungswürdig dieser Faschist ist, weckt er für die sogenannten Greifer zumindest ein gewisses Verständnis; die jüdischen Kollaborateure halfen der Gestapo, untergetauchte Juden ausfindig zu machen. Nach 15 Monaten im Untergrund wird Margot schließlich verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Auch dafür findet der Film starke Bilder: Anstatt Szenen aus dem Lager nachzustellen, lässt Ley seine Hauptdarstellerin durch die heutigen Ruinen wandern.

Bei allem Respekt für die einfallsreichen und auch handwerklich sehr gelungenen Verknüpfungen der verschiedenen Zeitebenen sowie die große Kinomusik (Hans P. Ströer): Es ist die Mitwirkung von Margot Friedländer, die den Film zu einem herausragenden Werk macht. Sie ergänzt die Handlung mit ihren Aussagen. Das Doku-Drama endet mit der Begegnung von Gegenwart und Vergangenheit, als die alte Dame auf die junge Frau trifft, die sie im Film verkörpert.

„Ich bin! Margot Friedländer“, D 2023. Drehbuch: Hannah und Raymond Ley, Regie: Raymond Ley. Ab 2.11. (15.00 Uhr) in der ZDF-Mediathek, am 7.11. (20.15 Uhr) im ZDF.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Neue Anlaufstelle: Erste Hilfe bei SLAPPs

Was tun, wenn man geslappt wird? Ab dem 16. Mai gibt es eine Anlaufstelle für SLAPP -Betroffene. SLAPPs sind unbegründete Einschüchterungsklagen oder missbräuchliche Gerichtsverfahren. Gegen die hat die EU eine Anti-SLAPP-Richtlinie verabschiedet. Binnen zwei Jahren müssen die Mitgliedsstaaten nun die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Hinter der von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten Anlaufstelle steht ein breites Bündnis; Ansprechpartner ist Philipp Wissing.
mehr »

Mehr Schutz für Journalisten in Gaza

Noch nie sind in einem internationalen Konflikt in so kurzer Zeit so viele Medienschaffende ums Leben gekommen wie im Gazastreifen. Reporter ohne Grenzen (RSF) beklagt Dutzende getötete Medienschaffende, die meisten starben durch israelisches Bombardement. Über die dortige Lage sprach M mit Christopher Resch, Pressereferent bei RSF und zuständig für die Palästinensischen Gebiete.
mehr »

KI-Film über düstere deutsche Zukunft

Das dreiminütiges Science-Fiction-Video „Oma, was war nochmal dieses Deutschland?“ hat ein enormes Medienecho ausgelöst. Darin zeigt der Produzent und Podcaster Andreas Loff eine Dystopie aus dem Jahr 2060: eine fiktive rechtsextreme Partei mit dem Namen „Die Blauen“ hat in Deutschland die Macht übernommen und das Land nach massenhaften Abschiebungen vollkommen ruiniert. Eine alte Frau, gesprochen von Anna Thalbach, erzählt ihrer Enkelin an einer fernen Küste, wie es einst mit ihrer deutschen Heimat abwärts ging. Wir sprachen mit dem Macher Andreas Loff über den Film und den Einsatz der KI.
mehr »

Über Rechtsextreme reden – aber wie?

Medien können eine schützende Rolle dabei spielen, rechtsextremen Tendenzen entgegenzuwirken und die Demokratie zu stärken. Handlungsempfehlungen dafür haben Pia Lamberty und Maheba Goedeke Tort im CeMAS-Policy-Brief „Über Rechtsextreme reden? Empfehlungen für die mediale Berichterstattung“ zusammengestellt. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass sich auf der einen Seite rechtsextreme Parteien radikalisieren. Gleichzeitig finde eine gesellschaftliche Normalisierung rechtsextremer Positionen und Erzählungen statt. 
mehr »