„Der Preis zeigt die Möglichkeiten hier“

Die Sendung mit der Maus Spezial: Marokko-Maus: Sommerreise mit Siham El-Maimouni in Marokko" / Foto: WDR

Die Kleinen kennen sie aus der „Sendung mit der Maus“, die Großen aus „Westart“ und „ttt“: Siham El-Maimouni, ein Kind des Ruhrgebiets, wird die 60. Grimme-Preis-Verleihung moderieren. Und sie darf sich dabei für die „Marokko-Maus“ selbst auszeichnen. Ihre Eltern sind einst aus dem nordafrikanischen Land eingewandert, und natürlich wird sie regelmäßig gefragt, wo sie eigentlich herkomme. Ein typisches Merkmal für alltäglichen Rassismus. Aber die gebürtige Duisburgerin zeigt sich im Gespräch mit M eher genervt, weil sie die Frage ständig hört. Als Bürgerin mit internationaler Familiengeschichte macht ihr die Entwicklung in Deutschland allerdings sehr große Angst.

M I Frau El-Maimouni, vor einigen Monaten bekamen Sie das Angebot, die Verleihung des 60. Grimme-Preises zu moderieren, und jetzt werden Sie auch noch selbst ausgezeichnet. Vom „Gastarbeiterkind“ zur Grimme-Preisträgerin: ein Traum?

Ein Traum auf jeden Fall. Aber ich würde es anders formulieren: von der Journalistin beim Düsseldorfer Lokalradio zum Grimme-Preis. Ich bin sehr stolz darauf, dass meine Arbeit gewürdigt wird, gerade für diese in Marokko entstandenen und sehr besonderen Ausgaben der „Sendung mit der Maus“, die mir sehr am Herzen liegen. Aber Ihre Frage ist natürlich berechtigt. Meine Geschwister und ich machen uns immer wieder bewusst, wie mutig es von unserem Vater war, Ende der Sechzigerjahre in ein Land zu kommen, das ihm völlig fremd war. Wir Kinder sind das beste Beispiel dafür, wie viel sich innerhalb einer Generation ändern kann. Der Grimme-Preis zeigt, was in Deutschland alles möglich ist.

Moderation beim Privatfunk, dann der Wechsel zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erst Jugendradio, dann „Westart“, schließlich „ttt – titel, thesen, temperamente“: Im Rückblick wirkt Ihr Werdegang wie eine Bilderbuchkarriere. War das alles so erhofft?

Im Gegenteil! Aber unsere Eltern haben uns mitgegeben, jede Chance zu nutzen und das Beste draus zu machen. Eigentlich wollte ich schreibende Journalistin werden. Als Mädchen aus Duisburg-Meiderich wollte ich außerdem in einer Weltstadt leben; und dann hat mich mein Weg zum SWR nach Baden-Baden geführt. Aber das Jugendradio DasDing hat mir tolle Möglichkeiten geboten, mich weiterzuentwickeln. Am stärksten hat mich allerdings die Arbeit für Funkhaus Europa geprägt. Das heutige WDR Cosmo war auch für meine Identität und Weltoffenheit ganz entscheidend.

Siham El-Maimouni (39)

wurde in Duisburg als Kind marokkanischer Eltern geboren und lebt heute in Düsseldorf. Sie hat Politik- und Verwaltungswissenschaft sowie Soziologie studiert. Ihr Volontariat absolvierte sie bei Antenne Düsseldorf. Nach einigen Moderationsjahren beim SWR-Jugendprogramm Das Ding arbeitet sie seit 2010 für den WDR. Den Anfang machte Funkhaus Europa (heute Cosmo). Seit 2014 gehört sie zum Moderationsteam der „Sendung mit der Maus“, außerdem präsentiert sie die Magazinsendungen „Westart“ und „Westpol“ sowie seit 2021 einmal im Monat „ttt – titel, thesen, temperamente“. 2015 wurde sie mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Die Grimme-Preise werden 26. April verliehen.

Keine dieser Stationen stand auf Ihrer Wunschliste?

Jedenfalls nicht ganz oben. Natürlich gehört auch Glück dazu: Durch den Radiopreis ist die Redaktion des WDR-Kulturmagazins „Westart“ auf mich aufmerksam geworden, dank „Westart“ bin ich zu „ttt“ eingeladen worden. Doch es war nie mein Ziel, den Deutschen Radiopreis oder den Grimme-Preis zu bekommen. Als ich mit dem Reportagemagazin „Neuneinhalb“ beim WDR-Kinderfernsehen angefangen habe, habe ich mir aber gedacht, wie toll es wäre, auch mal zum Team der „Sendung mit der Maus“ zu gehören, mit der ich aufgewachsen bin.

Wie ist die „Marokko-Maus“ entstanden?

Die Idee, im Rahmen einer „Sommerreise“ die ursprüngliche Heimat meiner Eltern und die Kultur der Berber vorzustellen, hatten die langjährige „Maus“-Autorin Birgit Quastenberg und ich schon vor vielen Jahren. Ich werde ständig gefragt, wo ich eigentlich herkomme. Ich antworte dann: „aus Düsseldorf“. Wenn es eine Nachfrage gibt, sage ich: „Geboren bin ich in Duisburg.“ Ich weiß natürlich, worauf die Leute hinauswollen, und wenn sie mir sympathisch sind, erzähle ich, dass meine Eltern aus Marokko stammen. Birgit hat das oft mitgekriegt  und deshalb vorgeschlagen, dass wir die Sendung mit dieser Frage beginnen. Wir wollten damit viele Menschen abholen, die wie ich eine internationale Familiengeschichte haben.

Es ist eine ganz einfache Frage und meist nicht böse gemeint, gilt aber als Merkmal für alltäglichen Rassismus, weil sie die Befragten auf ihr Äußeres und ihr Anderssein reduziert. Empfinden Sie das auch so?

Mit der Neugier an sich habe ich kein Problem. Aber wenn Menschen wie ich, die in den Augen vieler Leute nicht „deutsch“ aussehen, weil sie dunkle lockige Haare und eine dunklere Hautfarbe haben, täglich mehrmals gefragt werden, wo sie herkommen, setzt sich irgendwann unbewusst fest, dass man nicht dazugehört. Es ist daher sehr wichtig, die Leute dafür zu sensibilisieren, dass diese Frage verletzen kann. Im Ausland erlebe ich das anders. In den USA zum Beispiel wird nach den Wurzeln der Familie gefragt, aber in Deutschland heißt es immer: „Wo kommst du her?“

Wie war das in Ihrer Kindheit?

Überhaupt kein Thema. Wir sind sehr behütet aufgewachsen und waren alle im Schwimmverein, ich kann mich an keine diskriminierenden Erfahrungen erinnern. Auf meinem Meidericher Gymnasium gab es ohnehin viele Kinder mit internationaler Familiengeschichte, da hat niemanden interessiert, welche Wurzeln die Eltern haben.

Seit einigen Jahren ist Diversität vor der Kamera auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein wichtiges Thema. Tun die Sender in dieser Hinsicht genug?

Das Fernsehen kann wegen der digitalen Medien gar nicht anders, als sich breiter aufzustellen: Heutzutage ist niemand, der „irgendwas mit Medien“ machen will, auf einen Sender angewiesen. Davon abgesehen könnte Diversität auch hinter der Kamera noch viel selbstverständlicher werden. Bei Funkhaus Europa habe ich gelernt, wie bereichernd das für einen Sender sein kann. Entscheidend ist jedoch, dass alle die gleichen Chancen haben.

Es gibt Strömungen in der Gesellschaft, die Menschen wie Sie am liebsten zurück in ihre Heimat schicken wollen, und damit ist nicht Duisburg-Meiderich gemeint. Wie erleben Sie das?

Ich gehöre zu den wenigen Journalisten, die weder bei Facebook noch bei TikTok oder auf Instagram öffentlich aktiv sind. Von daher kann man mich dort auch nicht angreifen. Mir ist aber klar, dass ich als Moderatorin nicht in das Weltbild bestimmter Ideologien passe. Für diese Leute spielt es überhaupt keine Rolle, dass ich aus Duisburg stamme, akzentfrei deutsch spreche, pünktlich meine Steuern zahle und nun sogar den Grimme-Preis bekomme. Manchmal werde ich beleidigt, wenn ich für das Kinderfernsehen in der Fußgängerzone mit dem ARD-Mikro unterwegs bin. Die Lage für Journalisten ist in den letzten Jahren ohnehin immer dramatischer geworden, auch ohne besonderen familiären Hintergrund. 

Macht Ihnen die Entwicklung im Land Angst?

Als Bürgerin mit internationaler Familiengeschichte macht mir das in der Tat sehr große Angst. Viele aus meinem Freundeskreis fragen sich, was sie machen sollen, wenn sie sich hier nicht mehr sicher fühlen. Mein Vater ist damals nach Deutschland eingeladen worden, das Land hat Menschen wie ihn gebraucht. Die Nachkommen dieser sogenannten Gastarbeiter leben seit Jahrzehnten hier, sie fühlen sich als Deutsche, aber es wird ihnen immer wieder vermittelt: „Du gehörst hier nicht her, und wir wollen dich hier auch nicht haben.“ Es muss uns Medienschaffenden gelingen, alle Menschen zu erreichen und besser zu informieren.


Aus der Grimme-Preis-Begründung für „Maus-Spezial: Marokko-Maus“ (Preisträgerinnen: Siham El-Maimouni und Birgit Quastenberg): „Hier bereist nicht einfach jemand ein interessantes Land, sondern erzählt persönliche Geschichten, die für Deutschland als Einwanderungsgesellschaft bedeutsam sind. Es entsteht dadurch ein Einblick, der frei ist von touristischen oder ‚exotischen’ Perspektiven. Die handwerklichen, kulturellen und geografischen Aspekte werden nicht einfach nur dargestellt, sondern mit persönlichem Hintergrund verknüpft und somit nachvollziehbar und authentisch. (…) Siham El-Maimouni präsentiert die einzelnen Geschichten gut gelaunt und kenntnisreich. (…) Die Jury wünscht sich eine Fortsetzung der Reihe mit Reisen in andere so genannte ‚Herkunftsländer’, bei denen die Zusehenden Menschen begleiten, die dort familiäre Wurzeln haben, persönliche Einblicke gewähren und überraschende Geschichten erzählen.“ Die zweiteilige Sendung steht in der ARD-Mediathek.

 

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