Meinung
Der „Spiegel“, die „Zeit“ und die „FAZ“ – sie sind drei von insgesamt 81 europäischen Medien, deren Webseiten seit Mittwoch in Russland gesperrt sind. Mit der Maßnahme reagierte das Putin-Regime laut eigenen Aussagen auf die Sanktionen, die die EU im Mai gegen vier kremlnahe Medien verhängte. Sie wirft den betroffenen Medien zudem vor, systematisch „Falschinformationen“ über die „spezielle Militäroperationen“ – wie der Krieg gegen die Ukraine in Russland genannt wird – zu verbreiten. „Falschinformationen“ – das ist alles was nicht der Propaganda des Kremls entspricht.
In Russland dürfte die Entscheidung kaum wahrgenommen werden. Viele Russinnen und Russen glauben an die in den staatlich kontrollierten Medien – vor allem im Fernsehen – verbreiteten Propagandalügen. Oder reagieren zumindest gleichgültig auf sie. Wer kritisch ist, sitzt entweder im Gefängnis oder hat das Land verlassen. Und da für den Konsum westlicher Medien auch gewisse Sprachkenntnisse vonnöten sind, die viele Russ*innen nicht haben, dürfte deren Zielgruppe in Russland recht klein sein.
Freie Recherche wird in Russland immer schwieriger
Und so zeigt sich: Der Bann von 81 westlichen Medien in Russland ist vor allem ein symbolische Attacke im Werte- und Propagandakrieg gegen den Westen, der parallel zum Krieg gegen die Ukraine tobt. Konkrete Auswirkungen spüren dürften vor allem die wenigen westlichen Journalist*innen, die noch als Korrespondent*innen vor Ort sind. Unter schwierigsten Bedingungen versuchen sie aufzuzeigen, wie der Krieg auch die Menschen in Russland prägt.
Sie recherchieren, wie prekär die militärische und wirtschaftliche Lage für Russland im dritten Jahr des vollumfänglichen Krieges gegen die Ukraine wirklich ist. Wie ländliche Regionen ausbluten und ethnische Minderheiten im Krieg verheizt werden. Und wie die wenigen Mutigen, die protestieren, jahrelang in Straflagern verschwinden, während Vergewaltiger und Mörder auf freien Fuß kommen, wenn sie ein halbes Jahr an der Front in der Ukraine überlebt haben.
Dabei spüren Korrespondent*innen auch immer mehr das, was ihre russischen Kolleg*innen schon seit Jahren durchmachen und von denen viele entweder im Gefängnis sitzen oder im Exil leben. Der Moskauer „Zeit“-Korrespondent Michael Thumann berichtet von Verhören in dunklen Hinterzimmern bei der Einreise am Flughafen, Kolleg*innen von ARD und ZDF werden bei Dreharbeiten regelmäßig von der Polizei schikaniert und viele Gesprächspartner*innen fallen weg, weil sie sich aus Angst vor staatlichen Repressionen gegenüber westlichen Journalist*innen nicht mehr äußern wollen. Und über allem schwebt immer die Drohung, dass die russischen Behörden einem jederzeit die Akkreditierung entziehen können.
Das mussten die Kolleginnen des österreichischen Rundfunks ORF schon jetzt erfahren: Ebenfalls am Mittwoch entzog das russische Außenministerium der ORF-Studioleiterin Carola Schneider die Akkreditierung und verwies sie des Landes. Zwei Wochen zuvor hatte es bereits ihre Kollegin Maria Knips-Witting erwischt, sodass der ORF nun niemanden mehr in Moskau hat. Klar ist: Keiner der aus Russland berichtenden westlichen Journalisten ist bereit, vor dem Putin-Regime einzuknicken. Doch sowohl die Kolleg*innen persönlich, aber auch ihre Redaktionen werden sich nun gut überlegen, ob sie weiter von vor Ort berichten können.
Auch westliche Journalist*innen landen inzwischen im Gefängnis
Was im schlimmsten Fall droht, zeigt unter anderem der Fall Evan Gershkovich. Der Reporter des „Wall Street Journals“ war im März 2023 wegen des absurden Vorwurfs der „Spionage“ verhaftet worden. Es ist eine bittere Ironie, das fast zeitgleich mit dem Bann gegen europäische Medien der Prozess gegen Gershkovich begann. Dem amerikanischen Journalisten drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Und er ist nicht der einzige westliche Berichterstatter dem eine lange Haftstrafe droht: Die amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva, die für das tatarische Programm von Radio Free Europe/Radio Liberty arbeitet, sitzt seit Oktober 2023 in Haft. Der absurde Vorwurf: Sie soll vergessen haben, sich selbst als sogenannte „Ausländische Agentin“ zu registrieren. Ihr drohen bis zu fünf Jahre Haft.
Für die aus Russland verbannten 81 Medien, aber auch für alle anderen Redaktionen muss nun gelten: Jetzt erst Recht. Journalistinnen und Journalisten müssen ihre aus Russland geflohenen und im Exil lebenden Kolleg*innen unterstützen. Sowohl finanziell, als auch mit Veröffentlichungsmöglichkeiten, wie es etwa schon seit längerem die „taz“ mit ihren Osteuropa-Projekten tut. Zugleich gilt es, Inhalte über den Krieg gegen die Ukraine auch auf Russisch zu publizieren und damit den Menschen dort immerhin ein wenig kritischen Journalismus zu geben – denn trotz des Banns können die betroffenen Medien, wie auch russische Exilmedien, mittels VPN weiter gelesen werden. Und zugleich gilt es weiterhin politischen Druck auszuüben, dass alle in Russland inhaftierten Journalistinnen und Journalisten frei kommen. Denn es muss weiter gelten: #FreeThemAll und #JournalismIsNotACrime.