Filmtipp: In Liebe, eure Hilde

Paar auf Motorrad

In Liebe, eure Hilde. Foto: Frédéric Batier, Copyright: Pandora Film

Worte wie Mut oder Zivilcourage können nicht annähernd erfassen, was die jungen Mitglieder antifaschistischer Widerstandsgruppen wie „Weiße Rose“ oder „Rote Kapelle“ geleistet haben. Abgesehen von den Geschwistern Scholl sind ihre Namen größtenteils in Vergessenheit geraten. Geblieben ist meist bloß noch eine Straßenschildprominenz. Das gilt auch für Hilde Coppi, der Andreas Dresen mit „In Liebe, eure Hilde“ ein Denkmal gesetzt hat.

Porträts dieser Art sind fast zwangsläufig Filme mit Trauerflor, weil von Anfang an klar ist: Es wird kein Happy End geben; Hilde Coppi ist am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee zusammen mit einem Dutzend Mitstreiterinnen hingerichtet worden. Dresen und seine kongeniale Autorin Laila Stieler konterkarieren die entsprechende Tristesse mit einer im Grunde einfachen, aber wirkungsvollen dramaturgischen Umkehrung, indem sie das letzte Lebensjahr der Widerstandskämpferin auf zwei Ebenen schildern: Die finstere Gegenwart behandelt die Verhaftung der schwangeren Frau im September 1942 und die Zeit im Frauengefängnis, wo sie im November ihren Sohn zur Welt zu bringt. Die sonnendurchfluteten Rückblenden sind dagegen geprägt von der Liebesgeschichte zwischen Hilde (Liv Lisa Fries) und ihrem Mann Hans (Johannes Hegemann). Die Romanze wird jedoch von hinten nach vorn erzählt, sodass am Ende der Anfang steht.

Der Film beginnt im letzten schönen Sommer. Die Clique trifft sich regelmäßig an einem See. Dank der retrospektiven Konzeption werden diese Szenen immer ausgelassener; der Kontrast zur Düsternis der Rahmenhandlung könnte kaum größer sein. Diesen Bildern haben Dresen und Kamerafrau Judith Kaufmann in Zusammenarbeit mit Kostüm- und Szenenbild jegliche Farbigkeit ausgetrieben. Umso knalliger ist der Effekt, als Hilde im Gefängnis mal ein rotes Kleid trägt. Der Farbtupfer lässt eine Leerstelle des Films umso deutlicher werden: Rot ist in Filmen über diese Zeit in der Regel für Hakenkreuzfahnen reserviert; die kommen hier gar nicht vor. Dazu passt auch der Verzicht auf politische Diskussionen; abgesehen von ganz wenigen Aktionen haben die jungen Leute vor allem Spaß. Fast schon kühn wirkt zudem eine ziemlich erotische Szene. Wann gab es schon mal Sex in einem Film über den Widerstand?

Ambivalenzen erlaubt

Ähnlich groß ist der Gegensatz zwischen der eisigen Behandlung durch das Staatspersonal und den gelegentlichen Anflügen von Menschlichkeit. Das gilt bereits für die Verhaftung Hildes und die Gestapo-Befragungen, die nach dem Schema „Guter Bulle, böser Bulle“ ablaufen: Einer der beiden Vernehmer (Claudiu Mark Draghici) zeigt Mitgefühl und Verständnis, der andere (Thomas Lawinky) setzt auf typische Verhörmethoden. Für diese Ambivalenz steht auch eine Frau, die als Antagonistin eingeführt wird. Lisa Wagner versieht die Gefängnisaufseherin Kühn, die sich mehr und mehr zur zweitwichtigsten weiblichen Rolle entwickelt, mit steinerner Miene und ohne auch nur den Hauch von Empathie. Diese Wärterin, die anfangs das klassische Klischee der Aufseherin erfüllt, offenbart jedoch eine unerwartete Milde, die sich zunächst nur in kleinen Gesten äußert.

Am Schluss ist es ihr zu verdanken, dass der kleine Hans nicht in ein Kinderheim, sondern in die Obhut seiner Großmutter kommt. Zweiter Lichtblick in der Trostlosigkeit ist der authentische Seelsorger Harald Poelchau. Der Geistliche unterscheidet sich fundamental von den Rollen, für die Alexander Scheer in Dresens letzten Filmen „Gundermann“ (2018) und „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (2022, beide ebenfalls nach Drehbüchern Stielers) mit dem Deutschen Filmpreis geehrt wurde.

Prominente Nebenrollen

Trotzdem lebt der auch in den weiteren Nebenrollen prominent besetzte, insgesamt jedoch betont puristisch inszenierte Film von Liv Lisa Fries. Mit „In Liebe, eure Hilde“ fügt die Berlinerin, spätestens seit der ARD-Serie „Babylon Berlin“ ein Topstar, ihrer Filmografie eine weitere preiswürdige Facette hinzu. Die Titelfigur entspricht als eher stille Heldin überhaupt nicht dem Bild einer politischen Aktivistin, zumal sie in den Rückblenden fast fragil und schüchtern erscheint. Ausgerechnet im Gefängnis entwickelt sie jedoch nach der Geburt ihres Kindes eine enorme Kraft. Dank der langen Einstellungen kann Fries diese Momente in all’ ihrer Tiefe ausspielen. Manchmal wird der geduldige Blick der Kamera auch zur Zumutung, etwa bei der schwierigen Geburt oder gegen Ende beim Warten auf die Hinrichtung. Dass in dieser Hofszene die Sonne scheint, mutet zunächst wie Hohn an, weckt aber auch die Erinnerung an jene unbeschwerten Tage, die für Hilde der schönste Sommer ihres Lebens waren.

„In Liebe, eure Hilde“. D 2024. Buch: Laila Stieler, Regie: Andreas Dresen. Kinostart: 17. Oktober

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