Buchtipp: Vielfalt durch Non-Profit-Projekte

Unabhängige Mediengründungen, die sich am Gemeinwohl orientieren, füllen Lücken in der Lokalberichterstattung, bei der investigativen Recherche und im Wissenschaftsjournalismus – Lücken, die kommerzielle Medien und öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Krise hinterlassen. Thomas Schnedler vom Netzwerk Recherche leuchtet in seinem Report „Pioniere im gemeinnützigen Journalismus“ aus, wie innovativ diese Medienprojekte arbeiten und vor welchen Hürden sie stehen.

Schnedler, Projektleiter des Bereichs Gemeinnütziger Journalismus, zieht eine Zwischenbilanz der Grow-Stipendien, die das Netzwerk Recherche (NR) seit 2016 zusammen mit der Schöpflin-Stiftung vergibt. Die Grow-Projekte hätten den Journalismus vielfältiger und reicher gemacht, resümiert er in seiner übersichtlich strukturierten, mit Zeichnungen und Grafiken illustrierten Bestandsaufnahme. Sie hätten „die Gründung von gemeinnützigen Unternehmen vorangetrieben, investigativ recherchiert, Reportagen und Analysen veröffentlicht, marginalisierten Stimmen Gehör verschafft, Fortbildungsangebote für Journalist*innen geschaffen und Recherchewerkzeuge entwickelt“.

Schnedler nennt Beispiele: MedWatch habe die Gesundheitskommunikation bereichert, das kohero-Magazin mit seiner inklusiven Plattform für Migrant*innen für mehr Diversität gesorgt. Das Team Follow the Grant veröffentlichte auf BuzzFeed News eine umfangreiche datenjournalistische Recherche zu Interessenkonflikten in der Wissenschaft, eine geförderte Lernwerkstatt bietet kostenlose Materialien zum lösungsorientierten Journalismus und im Datenguide werden Statistiken zu Bundesländern, Landkreisen und Gemeinden allgemein verständlich erklärt.

Bis 2021 wurden 18 Medienprojekte gefördert, die „gemeinwohlorientiert arbeiten und einen klaren Recherche-Schwerpunkt haben“. Zehn von ihnen sind als gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung anerkannt, obwohl Journalismus immer noch nicht als Förderzweck gilt. Die meisten nennen „Förderung der Volks- und Berufsbildung“ als gemeinnütziges Ziel. Sechs der zehn als gemeinnützigen Medienprojekte sind als Verein organisiert.

Hoffen auf Versprechen der Ampel-Koalition

Laut einer Befragung standen die Gründer*innen mit ihren Projekten vor fünf Hürden. Da ist zunächst die Rechtsunsicherheit bei der steuerlichen Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit. Die Medien-Pionier*innen fragten sich, welche Zwecke der Abgabenordnung zu ihrem Projekt passen. Schnedler hofft auf die Ampel-Regierung, die in ihrem Koalitionsvertrag verspricht, Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus zu schaffen.

Professionalisierung, d.h. Verbindlichkeit bei Deadlines und bei redaktionellen Absprachen erwies sich etwa als größtes Problem in einem Projekt, das mit einer großen Zahl von Ehrenamtlichen arbeitet. Beim Projektmanagement standen Stipendiat*innen vor der Herausforderung, schnell Veröffentlichungen zu „generieren, um für uns selbst – aber auch nach außen hin – Projekterfolge zu schaffen“.

Mit der Frage einer nachhaltigen Finanzierung befassten sich alle: Stiftungsgelder, Crowdfunding, Membership-Modelle oder Dienstleistungen? Alle Varianten hätten Vor- und Nachteile und würden Zeit fressen, die dann für die inhaltliche Arbeit und Recherchen fehle, so Schnedler. Wegen des bürokratischen Aufwands habe sich ein Grow-Projekt entschieden, von der finanziellen Förderung ein zusätzliches Teammitglied zu bezahlen, das sich um den Papierkram kümmert.

„Wir setzen darauf, dass die mit den Grow-Stipendien geförderten Pioniere möglichst dauerhaft das journalistische Ökosystem bereichern“, so Schnedler. Er sieht die Zukunft der Projekte in der Vernetzung mit Medienmacher*innen aus dem europäischen Nonprofitjournalismus, „die oft vor ganz ähnlichen Herausforderungen stehen“. In dem Projekt „The New Sector“ wurden die neuen Public-Interest-Medien in Europa inzwischen kartiert und analysiert – mittels einer Online-Befragung, deren Ergebnisse im Mai erschienen.

Thomas Schnedler: Pioniere im gemeinnützigen Journalismus. Evaluationsreport: Wie die Grow-Stipendien Vielfalt schaffen. Netzwerk Recherche, Berlin 2022, 15 Seiten, hier kostenlos verfügbar

Zum Thema siehe auch: Frischer Wind dank Pionierjournalismus

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