Wie kommt der Journalismus aus der Krise? Die Autorinnen Ellen Heinrichs und Astrid Prange de Oliveira suchen in ihrem Buch „Journalismus auf der Couch“ in 15 Gesprächen Antworten auf diese Frage. Zu Wort kommen Journalist*innen, die für ganz unterschiedliche Medienformate tätig sind, darunter Isabel Schayani („WDR for you“), „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und Maren Urner, Mitgründerin von „Perspective Daily“. Zentrale Themen sind der konstruktive Journalismus und Diversität in den Medien.
Negativ-Nachrichten im Überfluss, sinkende Einnahmen und die Jagd nach Klicks: Dass der Journalismus sich in einer Krise befindet, ist die Grundannahme des Buches. Doch anders als der Titel erwarten lässt, halten sich die Journalistinnen Ellen Heinrichs und Astrid Prange de Oliveira mit einer Problembeschreibung nicht lange auf. Stattdessen möchte das Buch vor allem Lösungen und neue Perspektiven aufzeigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der konstruktive Journalismus. Das Geleitwort stammt von Ulrik Haagerup, Gründer des Constructive Institute an der Aarhus Universitet in Dänemark. Er schreibt: Wie in der Landwirtschaft sei auch im Journalismus die Zeit gekommen für eine Abkehr von „immer mehr, immer schneller, immer billiger“.
Wer die Debatten in der Branche einigermaßen aufmerksam verfolgt, dürfte von den meisten Konzepten und Ideen, die hier angesprochen werden, schon mal gehört haben. Dennoch gelingt ein frischer Blick auf viele Themen, nicht zuletzt, weil sich die Autorinnen die Ansätze, die sie vorstellen, selbst zu Herzen genommen haben: Der Optimismus, den viele der Gespräche vermitteln, ist erfreulich – etwa das Interview mit Dirk von Gehlen vom SZ-Institut der „Süddeutschen Zeitung“. Er sieht für den Journalismus nach wie vor große Chancen in der Digitalisierung und spricht sich dafür aus, stärker auf Inhalte zu setzen, die Tipps für den Alltag der Menschen geben.
„Sagen, was ist“ noch zeitgemäß?
Auch bei der „Zeit“ dreht sich nicht alles um politische Analysen und aktuelle News, wie Chefredakteur Giovanni di Lorenzo berichtet. Stattdessen sei man auf der Suche nach Themen, die eine „emotionale Aktualität“ haben. Christina Elmer, die beim „Spiegel“ das Ressort Datenjournalismus aufgebaut hat, berichtet, wie datengestützter Journalismus die Arbeit einer Redaktion bereichern kann. Sie stellt außerdem den berühmten „Spiegel“-Leitsatz „Sagen, was ist“ infrage – ebenso wie Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Mitgründerin von „Perspective Daily“: „Sagen, was ist“, so Urner, „ist unmöglich – ganz einfach, weil unser Gehirn nicht der objektive Informationsverarbeiter ist, für den es viele gern halten“. Uwe Vetterick, Chefredakteur der „Sächsischen Zeitung“ spricht im Interview darüber, wie ein konstruktiver Ansatz im Lokaljournalismus funktionieren kann.
Ein weiteres großes Thema, das sich durch dieses Buch zieht, ist Diversität. Journalistin und Autorin Hadija Haruna-Oelker sagt: „Diversitätsbewusstsein kann man lernen“ und rät zu divers besetzten Redaktionen und einer Berichterstattung, die auch die Interessen von „Frau Meier-Öztürk“ im Blick hat. „WDRforyou“-Leiterin Isabel Schayani berichtet, wie das mehrsprachige WDR-Format Journalismus für Geflüchtete macht. Zu Wort kommen außerdem Journalist*innen, die sich an ein junges Publikum wenden, etwa Edith Kimani, die für die Deutsche Welle die Sendung „The 77 Percent“ moderiert, die sich an junge Afrikaner*innen richtet. Oder Dennis Leffels, Gründer des Y-Kollektivs, der sagt: „Wir sind da, wo die jungen Menschen sind.“
„Journalismus auf der Couch“ ist Mitte März 2022 erschienen, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Die Berichterstattung über die Ukraine spielt dementsprechend keine Rolle in dem Buch – dabei wäre es interessant, zu hinterfragen, was der konstruktive Ansatz in Bezug auf einen Krieg leisten kann. Dennoch ist es ein lesenswertes Buch, das sich auf kurzweilige und eben auch konstruktive Art mit der Zukunft der Branche auseinandersetzt.
Ellen Hinrichs und Astrid Prange de Oliveira: „Journalismus auf der Couch. So kommen wir aus der Krise.“ Verlag Herder, 2022, 240 Seiten.