Partizipative Propaganda auf TikTok

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In den sozialen Medien zeigt die AfD viel Präsenz. Im Bundestag nutzt keine Partei TikTok intensiver als sie. Aber auch auf Landesebene und im Lokalen haben die Rechten viel Reichweite. Wie sie junge Zielgruppen ansprechen und weshalb sie damit mehr Erfolg haben als andere Parteien erklärt Politologe und Kommunikationswissenschaftler Marcus Bösch im Gespräch mit M.

In der Debatte über die aktuellen Wahlerfolge von Rechtsextremen und -populisten wird häufig behauptet, als einzige hätten sie verstanden, Soziale Medien erfolgreich für ihre Zwecke zu nutzen. Überzeugt Sie diese Argumentation?

Marcus Bösch

ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler. Er forscht, berät und publiziert zu Desinformationen, Propaganda und digitalen Kommunikationsstrategien. Bösch arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt HybriD an der HAW Hamburg und veröffentlicht den Newsletter „Understanding TikTok“.

Ich sehe da eher eine Moralpanik am Werk. Das überrascht aber nicht. Denn wie die Journalistin Kathrin Passig hat in ihrem Buch Standardsituationen der Technologiekritik gezeigt hat, läuft der Medien-Diskurs seit langem sehr ähnlich ab: Zunächst werden neue Medien und ihre Formate als lächerlich und oberflächlich dargestellt, dann als Gefahr verteufelt – und schlussendlich für eigene Zwecke benutzt. Das können wir etwa auch bei TikTok beobachten, das inzwischen auch Kanzler Scholz für sich entdeckt hat.

Dennoch stellt sich die Frage, ob bestimmte Medien besonders geeignet sind für demagogische Kommunikation.

Die Propaganda der Populisten funktioniert stets nach dem Muster: „die da oben“ sind „korrupt“, und „wir hier unten“ sind Teil eines „authentischen Volkes“, das sich gegen diese verschwörerische Elite richtet, sie sozusagen wegfegen will. Das gab es aber natürlich auch schon vor TikTok, Instagram oder X und hat auch ohne diese Plattformen erfolgreich funktioniert. Doch Rechtsextreme und Populisten haben viel früher als andere verstanden, dass sich mit diesen Plattformen ein neuer Kommunikationsweg entwickelt. Ich würde das als „partizipative Propaganda“ begreifen.

Marcus Bösch
Marcus Bösch. Foto: Katharina Poblotzki

Was genau verstehen Sie unter partizipativer Propaganda?

Eine Botschaft wird nun nicht mehr nach einem reinen Sender-Empfängerin-Prinzip verbreitet. Stattdessen geht es um ein partizipatives Gemeinschaftserlebnis. Abseits der offiziellen Partei-Accounts setzt zum Beispiel die AfD daher sehr stark auf ihre Fanarmeen. Diese sind nicht nur über Accounts von mutmaßlich realen Privatpersonen aktiv, sondern auch über Fake-Accounts. Im Wahlkampf 2021 gab es etwa einen Propaganda-Account der auf den ersten Blick täuschend echt suggerierte, es handele sich etwa um einen offiziellen Auftritt des Bundestages.

Die AfD scheint derzeit insbesondere das Potential von TikTok entdeckt zu haben. Würden Sie ihren Auftritt auf der Plattform als erfolgreich bewerten?

Größere empirische Studien zu diesem Thema gibt derzeit noch nicht. In jedem Fall aber ist die Reichweite der offiziellen und inoffiziellen AfD-Accounts bei TikTok viel höher als die der anderen Parteien und Politiker:innen. Das dürfte sicherlich eine Erklärung unter vielen sein für ihren aktuellen Erfolg bei jungen Wähler:innen. Eine Kausalität möchte ich da allerdings nicht suggerieren. Aber wenn 21 Millionen Deutsche TikTok täglich im Durchschnitt zwischen einer und anderthalb Stunden nutzen – und das nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch für Informationen zu Politik und Weltgeschehen –, dann wird sich das vermutlich auch auf ihr Wahlverhalten auswirken.

Was sind das Charakteristische des AfD-Auftritt auf TikTok?

Stilistisch fällt auf: Die AfD-Politiker:innen setzen auf eine sehr direkte, rohe Ansprache. Maximilian Krah zum Beispiel hat seine Zielgruppen sehr spezifisch definiert und in der Regel in einem appellativen, fordernden Ton mit „Du“ angesprochen. Anschließend hat Krah dann oft Feindbilder konstruiert und ein „Wir“ der AfD-Wähler:innen in Aussicht gestellt. Das hebt sich deutlich ab vom klassischen Politikersprech, der in der Regel sehr beliebig wirkt und ohne weitere Zielgruppenspezifizierung versucht, wirklich alle mitzunehmen. Anderen Parteien gelingt es in ihren Social-Media-Auftritten kaum, eine emotionale Sogwirkung zu erzeugen. Genau die wäre aber zentral, um Aufmerksamkeit und ein erstes Interesse der Viewer:innen zu schaffen.

Den Sozialen Medien sind inhaltliche Verkürzung, Emotionalität und Gruppendenken inhärent. Gleichzeitig zeichnet sich die AfD durch einen populistischen Politikstil aus, der ganz gezielt mit den  manipulativen Methoden der Demagogie operiert. Ist ein großer Teil ihres Erfolgs in den Sozialen Medien diesem Zusammenspiel aus Medium und Botschaft geschuldet?

Natürlich funktionieren die Plattformen vor allem über Verkürzung und Emotionalität. Doch Emotionalität ist nicht per se inhaltsleer oder demagogisch. Auch im klassischen Journalismus oder in der Dramaturgie gibt es Methoden des Storytelling, über die man eine erste, emotionale Aufmerksamkeit erzeugen möchte – um anschließend eine durchaus rationale, inhaltsgetriebene Argumentation zu präsentieren. Dieses Wissen müssen die anderen Parteien besser für ihre Auftritte auf TikTok und anderen Plattformen nutzen. Da sehe ich aktuell massiven Nachholbedarf.

Welche Bedeutung hat im TikTok-Auftritt der AfD die Schaffung von Feindbildern?

Die AfD bietet immer auch widerstreitende Narrative an: Es wird nach außen kommuniziert, aber auch nach innen. Das kann durchaus positive Dinge umfassen wie etwa konkrete, alltagsnahe Versprechungen, die stets zielgruppenspezifisch kommuniziert werden. So hat Krah in einem seiner TikTok-Videos in Aussicht gestellt, sich – im Gegensatz zur angeblich ignoranten Bundesregierung – um „stinkende Turnhallen“ zu kümmern. In anderen Videos richtet er sich ganz konkret an Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte, die Angst davor haben, dass ihre Kinder in der Schule von der ominösen „Queer-Ideologie“ manipuliert werden.

Eine Emotion schürt die AfD ganz besonders: Ressentiment. Wie schlägt sich das auf TikTok nieder?

Wo die AfD auf TikTok mit Ressentiments arbeitet, handelt es sich nicht immer um wutschäumende, harte Propaganda, die etwa ganz direkt den gesellschaftlichen Ausschluss von Minderheiten oder Andersdenkenden fordert. Die Botschaften werden deutlich subtiler gesetzt. So etwa über den Hashtag „Stolzmonat“ als Kampagne gegen den Pride Month für LGBTIQA. Oder über einen Post zur Europawahl mit dem Text „Wählst du Uschi. Dann bist du eine Muschi. Bist Du ein Star. Dann wählst Du Krah.“ Unterlegt war der vierteilige Post dann mit einem ironischen Kirmes-Techno-Song und Privatfotos von Krah bei den EU-Wahlen. Die AfD hat das populistische Propagandahandbuch sehr gut studiert und betreibt auf TikTok leichtfüßige Mainstream-taugliche Softpropaganda. Damit soll verdeckt, aber auch gezielt damit gespielt werden, dass die Theorien und die Politik hinter alldem zweifellos menschenverachtend sind.

 

 

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