TikTok: Mehrtägiger Streik gestartet

Cansel Kiziltepe (SPD) im Gespräch beim Townhall-Meeting zum ver.di TikTok-Streik - Big Tech, KI und die Zukunft der Arbeit in der Ver.di Bundesverwaltung. Foto: Christian von Polentz

Weil TikTok einen massiven Stellenabbau am Berliner Standort plant, reagieren die Beschäftigten und ver.di  mit mehrtägigen Warnstreiks. Sie wehren sich dagegen, dass 150 Beschäftigte  aus der Trust-and-Safety-Abteilung durch KI und externe Dienstleister ersetzt werden sollen. Zudem wurde einer Beschäftigten aus einem anderen Bereich gekündigt, weil sie sich solidarisiert und mitgestreikt hatte. Neben der arbeitsrechtlichen hat das Thema auch eine politische Dimension.

Seit heute befinden sich  TikTok-Beschäftigte am Berliner Standort in einem 4-tägigen Streik. Damit reagieren sie auf die Verweigerungshaltung des Unternehmens, das seit Juli Tarifverhandlungen blockiert. TikTok plant die Auflösung der Trust-and-Safety-Abteilung, in der die Content-Moderator*innen beschäftigt sind. Auch in der nicht-deutschsprachigen Live-Abteilung drohen Kündigungen. Sie betreut bislang die Beziehungspflege zu Content-Creator*innen auf TikTok.

Townhall-Meeting zum ver.di TikTok-Streik – Big Tech, KI und die Zukunft der Arbeit in der Ver.di Bundesverwaltung. Foto: Christian von Polentz

Dass Digitalplattformen an der Qualitätssicherung sparen, wirkt sich direkt auf die Beschäftigten aus; es ist aber auch ein Problem für demokratische Gesellschaften. Denn durch die Verquickung politischer, medialer und ökonomischer Macht sind die dominierenden, weltweit agierenden und einflussreichen Plattformen längst keine neutralen Kanäle mehr. Geschäftsinteressen und Einzelpersonen vermögen zu entscheiden, worüber man sich gesellschaftlich auseinandersetzt. Die Gefahr von Machtmissbrauch in Form politischer Einflussnahme oder Desinformationskampagnen ist immens.

ver.di fordert Sozialtarifvertrag

In Berlin fordert die Gewerkschaft ver.di indes seit Wochen einen Sozialtarifvertrag mit Abfindungen in Höhe von drei Jahresgehältern sowie eine Verlängerung der Kündigungsfristen auf zwölf Monate von TikTok. Die Gewerkschaft warnt, dass die Verlagerung an billigere Dienstleister nicht nur Arbeitsplätze kostet, sondern auch die Qualität und Sicherheit der Plattform gefährde. „In dieser Auseinandersetzung geht es um Grundsätzliches: Wir wollen, dass die Tech-Riesen Verantwortung übernehmen für die sozialen Folgen von Künstlicher Intelligenz“, sagt Lucas Krentel, stellvertretender Landesfachbereichsleiter Medien bei ver.di Berlin-Brandenburg.

Christoph-Schmitz-Dethlefsen vom ver.di-Bundesvorstand beim Townhall-Meeting. Foto: Christian von Polentz

Um zu diskutieren, was getan werden kann, damit Beschäftigte und die Demokratie im digitalen Wandel nicht unter die Räder kommen, organisierten die Beschäftigten im Rahmen des Streiks ein Townhall-Meeting. Mit  Expert*innen und Politiker*innen sprachen sie über die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung und die Handlungsmöglichkeiten der Politik.

Plattformen müssen Verantwortung übernehmen

Christoph-Schmitz-Dethlefsen vom ver.di-Bundesvorstand betonte die gesellschaftliche und gesetzliche Verantwortung von TikTok. Eine Plattformregulierung sei daher dringend notwendig. Damit Medienplattformen nicht entgleisen, sondern sich im Rechtsrahmen bewegen, sei eine Plattformregulierung erforderlich, die Medieninhalte zuverlässig und überprüfbar in Bezug auf Schutz von Persönlichkeitsrechten, Jugendschutz, Verhinderung von Hassrede und Grundrechtsverstößen kontrolliere. KI könne zwar eine Rolle spielen, um diese Prüfung effizienter zu gestalten, es bedürfe aber aktuell immer noch einer menschlichen Kontrolle.

Gute Jobs mit Digitalisierung

Auf dem Podium sprachen Cansel Kiziltepe (SPD), Arbeitssenatorin Berlin, die Digitalpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Sonja Lemke (Linkspartei), Camilla Salim Wagner vom Weizenbaum Institut, Moritz Altenried von der HU Berlin und die TikTok-Analystin Lena, die über ihre konkrete Arbeit berichtete.

Der Digital Services Act (DSA)

soll künftig die Aktivitäten von Anbietern digitaler Dienste innerhalb der EU regeln. Damit ist eines der wichtigsten digitalpolitischen Regelwerke in Europa geschaffen.

Kiziltepe hob die Arbeit des TikTok Betriebsrats hervor.  Er empowere andere Beschäftigte in der Tech-Branche sich zu organisieren. Neben der betrieblichen Mitbestimmung unterstrich sie auch die politische Ebene. Der DSA und KI Act reiche jedoch  nicht aus, um globale Rechte zu regulieren: „Wir müssen auf europäischer Ebene mehr Druck machen,“ sagte Kiziltepe. Druck machte sie auch in Berlin: Sie hatte den Geschäftsführer Thomas Wlazik schriftlich aufgefordert an den Verhandlungstisch zurückzukehren und mit ver.di einen Sozialtarifvertrag auszuhandeln. Auch Sonja Lemke sieht Umsetzungsprobleme beim DSA. Details müssten noch ausformuliert werden.

Townhall-Meeting mit Sonja Lemke (Linkspartei), Cansel Kiziltepe (SPD), Moritz Altenried (HU Berlin) , TikTok-Analystin Lena und Carmela Salim Wagner vom Weizenbaum Institut. Foto: Christian von Polentz

Gesellschaftlicher und politischer Druck müsse aufgebaut werden, um arbeitsrechtliche, demokratiepolitische und regulatorische Verbesserungen zu erreichen, forderte Moritz Altenried. Denn Automatisierung vernichte keine Arbeit, sondern verteile sie bloß neu. Der Sozialwissenschaftler bezeichnet das als „Klassenkampf von oben“.

Diesen Arbeitskampf wieder von unten zu führen, dafür stehen die TikTok-Beschäftigen in Berlin. „Wir zeigen dass es nicht so weiter geht,“ sagte Lena abschließend. Sie appellierte auch an andere Techworker:  „Überlegt euch, wie ihr euch organisieren wollt. Das gibt nämlich ganz viel Kraft.“

 


Am 25. September findet ein Gerichtsprozess statt. Eine Streikkundgebung ist vor dem Arbeitsgericht geplant: 9:30 Uhr, Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Freie unter Honorar-Druck

Die prekären Arbeitsverhältnisse im Journalismus sind schon lange bekannt. Besonders trifft es aber freie Journalist*innen, deren Honorare sogar noch weiter sinken. Das hat auch Auswirkungen auf die Art des journalistischen Arbeitens.
mehr »

Anti-SLAPP-Gesetz ungenügend

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di kritisiert das von der Bundesregierung beschlossene Anti-SLAPP-Gesetz. Es beschränke den Schutz vor Einschüchterungsklagen nur auf grenzüberschreitende Fälle. Damit bleibe ein Großteil der realen Bedrohungslagen für Journalist*innen in Deutschland unberücksichtigt.
mehr »

Die Newsfluencer kommen

In Deutschland vertraut eine Mehrheit der Menschen beim Nachrichtenkonsum in der digitalen Welt noch immer mehrheitlich auf klassische Medien. Das ist eine Erkenntnis aus einer im Oktober 2025 veröffentlichten Studie des Reuters Institute. Die britische Denkfabrik wollte herausbekommen, wie Menschen sich im Netz informieren. Dafür sind Personen in 24 Ländern befragt worden.
mehr »

Trumps digitaler Medienpranger

Donald Trump verfolgt mit seinen Attacken auf Medien und Journalist*innen drei Hauptziele: Ablenkung von eigenen Verfehlungen, Bindung seiner rechten Unterstützer*innen und Selbstbereicherung. Große Medienkonzerne unterstützen ihn, um eigene Profitinteressen zu fördern. Das Resultat ist eine Bedrohung von Pressefreiheit und Demokratie.
mehr »