Das Foto hat sich als Ikone der Anti-AKW-Bewegung in das kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation eingeprägt: Mit selbstbewusstem, gleichzeitig misstrauischem Blick mustert Marianne Fritzen die Gesichter behelmter Polizisten, die ihr in einer dichten Kette gegenüberstehen. Die kleine unerschrockene Frau mit der Strickmütze auf dem Kopf ist die damalige Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Günter Zint hat sie vor 37 Jahren fotografiert. Im Frühjahr dieses Jahres ist Marianne Fritzen gestorben. Aus diesem Grund hat die „Gorleben Rundschau“, die Zeitschrift der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, das Foto noch einmal auf ihrem Titel abgedruckt.
Wie 49 andere Bilder des Hamburger Fotografen ist die Schwarz-Weiß-Aufnahme derzeit auch in der Vintage Galerie in Hamburg zu sehen, die aus Anlass des 75. Geburtstages des Chronisten mit der Kamera einen kleinen Ausschnitt aus seinem Werk zeigt. „Es war eigentlich unmöglich, aus 1,5 Millionen Negativen 50 für die Ausstellung auszusuchen“, beschreibt der Fotograf seine Qual mit der Auswahl. Trotzdem, kann man sagen, geben die Exponate einen charakteristischen Überblick über die Schwerpunkte seiner langjährigen und vielfältigen fotografischen Arbeit, die am 1. April 1960 als Volontär bei der dpa in Frankfurt am Main begann.
Als Linker und Sponti dokumentierte Zint nicht nur die Anti-AKW-Bewegung im Wendland, sondern auch den Kampf der Hausbesetzer auf St. Pauli. Als Hausfotograf des Star Clubs in den sechziger Jahren lichtete Zint so ziemlich alle Größen der damaligen Musikszene ab, wie Jimi Hendrix, die Stones, Eric Burdon, Frank Zappa, den jungen Udo Lindenberg und immer wieder die Beatles. Für die meisten Reportagen und Bücher von Günter Wallraff lieferte Zint die Fotos. Inzwischen hat Günter Zint selbst 70 Bücher herausgebracht. Im Herbst folgt das nächste: „Hamburg ganz unten“ beschäftigt sich mit Obdachlosen von den siebziger Jahren bis heute. Besonders eng verbunden fühlt sich Zint bis heute dem Kiez rund um die Reeperbahn. Mit der Sexarbeiterin Domenica pflegte er bis zu ihrem Tod 2009 eine persönliche Freundschaft: „Ihr Herz war viel größer als ihre Brüste.“ Seine Liebe zum Kiez spiegelt sich nicht nur in seinen Fotos wider. Als Gründer des St. Pauli Museums hat er seinem Stadtteil ein Denkmal gesetzt.
Fotografie ist für Günter Zint denn auch kein Job, sondern Teil seines Lebens. Eine persönliche Nähe zu den Menschen, die er ablichtet und Sympathie für die Sache, die sie vertreten, ziehen sich wie ein roter Faden durch sein fotografisches Werk. Sein Blick richtet sich auch auf die Gegenseite: Fotos von prügelnden Polizisten sahen diese gar nicht gerne, was dem Fotografen immer wieder Prozesse bescherte. Streitbar ist Zint auch, wenn es um die Interessen seiner Berufskolleginnen und -kollegen geht. In der VG Bild-Kunst und in der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing (MFM) hat er sich immer wieder gegen Honorarkürzungen eingesetzt. Günter Zint hat inzwischen so viel aus seinem Leben zu erzählen, dass er auch als Vortragsredner auftritt. Aber das wäre ein Thema für eine weitere Ausstellung. Die jetzige ist – außer montags – bis zum 14. Juli von 13 bis 19 Uhr in der Milchstraße 28 in Hamburg zu sehen.