Als Journalisten verkleidete Animateure

Die Plattform www.watson.ch, laut Arlt eher Animation als Journalismus Foto: Astrid Sauermann

M sprach mit Hans-Jürgen Arlt über die Kerneigenschaften des Journalismus

Die Otto-Brenner-Stiftung stellte im Rahmen des Mainzer Mediendisputs am 2. März ihre neueste Veröffentlichung „Journalist oder Animateur – ein Beruf im Umbruch“ vor. Hans-Jürgen Arlt, gemeinsam mit Wolfgang Storz Autor des Arbeitspapiers, erklärt im Interview mit M, was Journalismus von Animationsarbeit unterscheidet und warum es so wichtig ist, den Journalismus zu verteidigen.

Hans-Jürgen Arlt Foto: Astrid Sauermann
Hans-Jürgen Arlt
Foto: Astrid Sauermann

M | Sie stellen in Ihrem Arbeitspapier die Frage, was Journalismus ist und wie er sich von dem abgrenzen lässt, was Sie „Animationsarbeit“ nennen. Warum das?
Hans-Jürgen Arlt | Das alte Geschäftsmodell des Printjournalismus, die Mischfinanzierung aus Vertriebs- und Anzeigenerlösen, funktioniert heute mehr schlecht als recht, weil die Anzeigen online gehen: Auf eigene Portale, zu Google, Faceboook etc. Einige Medienunternehmer versuchen, das Modell zu retten, indem sie die Ausgabenseite reduzieren. Das geht vor allem auf Kosten der Beschäftigten: Durch weniger Festanstellungen, Reduzierung von Sozialleistungen, niedrige Honorare. Zugleich wird online wie offline ein neuer Weg gegangen, den wir Animationsarbeit nennen. Die Veröffentlichungen haben nur noch den einen Zweck, verkäufliche Aufmerksamkeit zu wecken und so Werbeeinnahmen zu erzielen. Daneben wird aber natürlich auch hier die Ausgabenseite gesenkt. Die Maxime, unter der solche Veröffentlichungen produziert werden, ist: So billig wie möglich und so große Reichweite wie möglich.

Und warum pochen Sie so auf eine Unterscheidung zwischen Journalismus und Animationsarbeit?
Weil die Animationsarbeit sich oft als Journalismus verkleidet und damit dem Image des Journalismus schadet und dessen Reputation zerstört. Natürlich gibt es auch Gemeinsamkeiten, schließlich geht es hier wie dort um Veröffentlichungen, aber es kommt auf die Unterschiede an.

Was genau sind denn die Unterschiede?
Journalismus ist wie jede Veröffentlichung von Aufmerksamkeit und Geld abhängig. Aber Journalismus darf sich dem nicht unterordnen. Aufmerksamkeit und Geld sind notwendige Mittel, aber die Zwecke des Journalismus sind andere, er ist ein Dienstleister der Demokratie. Bei der Animationsarbeit kippt das Verhältnis von Zweck und Mittel um. Es ist das pure wirtschaftliche Interesse, mit dem Animationsarbeit produziert wird. Und das hat Einfluss auf die Auswahl von Themen, auf die Sprache, das Layout, auf alles. Und das ist ein Problem für die Demokratie.

Wieso das?
Wenn Menschen teilhaben und eigene Entscheidungen treffen sollen, wie es die Demokratie will, brauchen sie Informationen. Wie ich mich informiere, ist folgenreich für mein Wissen, mein Weltbild, meine Meinung. Eine demokratische Öffentlichkeit darf nicht nur aus Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Unterhaltung und Animation bestehen, aus einer Anhäufung aus Manipulations- und Beeinflussungsversuchen. Es ist die Funktion von Journalismus, unabhängige Informationen in einer ganz besonderen Qualität zu liefern.

Was macht Journalismus denn konkret aus?
Wir haben sieben Kerneigenschaften von Journalismus identifiziert: Unabhängigkeit, Aktualität, Allgemeinverständlichkeit, Richtigkeit und Wichtigkeit, Kontrolle und Überparteilichkeit. In ihrer Summe machen diese sieben Eigenschaften Journalismus aus. Keine davon darf vollständig fehlen.

Gibt es das überhaupt in der Realität?
Diese Erwartungen werden mit hoher Regelmäßigkeit enttäuscht. Das spricht aber nicht gegen sie. Ganz im Gegenteil. Die Erwartungen sind die Leitsterne, die Blickrichtungen, unter denen journalistische Arbeit stattzufinden hat. Und daran kann man auch guten und schlechten Journalismus unterscheiden, mit welchem Aufwand und welcher Energie gewagt wird, diesen Ansprüchen tatsächlich mit einer gewissen Konsequenz Rechnung zu tragen.

Aber das heißt doch, es ist dann Journalismus, wenn man die richtigen Ziele benennt, auch wenn sich das im Produkt gar nicht niederschlägt. Wird Journalismus nur noch durch seine Haltung erkennbar und nicht mehr durch seine Praxis?
Nein, zur Haltung gehört das Handwerk. Man kann sehr wohl sagen, welche Praxis den Kerneigenschaften am ehesten gerecht wird. Die Formate, die dem am nächsten kommen, sind die Nachricht, die Berichterstattung und die Analyse.

Kolumnen sind kein Journalismus?
Journalismus hat nicht nur die Aufgabe, zu berichten, was geschieht, sondern auch eine Orientierungsfunktion. Und die kann und soll auch in Kolumnen, Kommentaren, Reportagen wahrgenommen werden. Ich sage nur: Wenn ein Medium die journalistischen Kernelemente nicht hat, wenn es ständig nur Selbstinszenierungen, Kampagnen, die eigene Meinung anbietet, dann kann nicht mehr von Journalismus gesprochen werden. Eine Meinung haben und posten, das sollen gerne alle, mit Journalismus hat das nichts zu tun.

Und was genau ist Animationsarbeit?
Man kann sie am leichtesten im Internet finden: Buzzfeed, Huffington Post, Watson, also sogenannte Informationsportale, bei denen wir der Meinung sind, dass die Redakteure Animateure sind, dass es nicht um Information, sondern um Animation geht. Das Publikum soll hinschauen, mehr braucht es nicht.

Animationsarbeit ist also unterhaltsam und Journalismus in seiner Reinform trocken und schwer zu konsumieren?
Ich hoffe nicht. Es gibt immer Überschneidungen, dass Werbung Unterhaltung macht, dass Unterhaltung journalistischen Informationscharakter hat, die PR sich dem Journalismus andient, der Journalismus Elemente von Unterhaltung aufnimmt. Ein Kriterium für Journalismus ist ja die Allgemeinverständlichkeit. Er muss trotz seiner schwierigen Themen darauf achten, leicht verstanden zu werden. Das heißt, er darf keine Fachsprache benutzen oder muss Fachbegriffe erklären. Und auch Journalismus muss Aufmerksamkeit wecken. Wer aber mit dem Hinweis, dass Journalismus Aufmerksamkeit bekommen und Geld verdienen muss, den Unterschied zwischen Journalismus und Animationsarbeit zu negieren oder zu leugnen versucht, der kommt mir vor wie jemand, der Flutopfern erklärt, wir bräuchten doch Wasser.

Der Unterschied ist, was Zweck ist und was Ziel?
Animationsarbeit ist Veröffentlichung um der verkäuflichen Aufmerksamkeit Willen. Das ist wie beim Rennfahren: Autofahren um der Geschwindigkeit Willen.

Wenn also ein Journalist sich Mitteln bedient, die auch die Animateure nutzen, z. B. ein unterhaltsames Bild, dann dient das dem Zweck, dass der Artikel angeklickt und die Information verbreitet wird, während der Animateur im Moment des Klicks sein Ziel schon erreicht hat?
So kann man das sagen. Journalismus darf auch unterhaltsam sein. Unterhaltung darf aber eben nur in zweiter oder dritter Reihe mitlaufen. Vielleicht ist die taz ein gutes Beispiel. Wenn die ihre heiter-flockigen Überschriften macht, kann man natürlich puristisch fragen, ob das journalistisch noch angemessen ist. Vielleicht ist es manchmal grenzwertig. Aber eingebettet in einen Kontext ordentlicher journalistischer Leistungen kann ich damit nicht wirklich ein Problem haben.

Aber die Bewertung dessen, was Journalismus ist, ist dann doch sehr subjektiv.
Nicht nur, es gibt auch Unterscheidungskriterien. Ob Journalismus seinen Ansprüchen gerecht wird, entscheidet sich allerdings nicht nur am Journalismus selbst, sondern es ist auch eine Frage des Zustands des Publikums. Ein verhärtetes, parteiisches, hochemotionalisiertes Publikum wird dem Journalismus immer bescheinigen, dass er eine Lügenpresse ist.

Wer soll dann bewerten, was Journalismus ist und was nicht?
Es gibt keine Instanz, die für alle entscheidet, was richtig und falsch ist. Das ist gut so. Was man aber haben kann, sind professionelle Standards, beruflich-handwerkliche Kriterien.

Wie kann man unter den von Ihnen geschilderten Zuständen noch Journalist sein?
Jeder und jede einzelne, die aktuelle Veröffentlichungen produzieren, stehen in der Tat heute vor der Frage, ob sie den einen oder anderen Auftrag annehmen können, wenn sie Journalisten sein und bleiben wollen. Der Wechsel zwischen den Gattungen ist eine Selbstverständlichkeit geworden, ineinandergreifende Elemente etwa von Journalismus, Werbung, Kampagne sind üblich. Die Praxis bewegt sich in Grauzonen, dem Journalismus mangelt es an beruflicher Identität. Deshalb kann Animationsarbeit so leicht sagen, sie wäre Journalismus. Auch bei den Medien selbst verwischen die Grenzen. Der Springer-Verlag zum Beispiel hat sich vom Journalismus weitestgehend verabschiedet, nennt sich aber selbst „Haus des Journalismus“. Das sind Verwirrspiele. Wenn es da keine Standards gibt, wie sollen die einzelnen Journalisten die dann einhalten?

Zumal die ja auch angewiesen sind auf Honorare und im Zweifel auch auf Einnahmen aus PR-Tätigkeiten.
Die Notwendigkeit, die soziale Existenz über Erwerbsarbeit zu finanzieren, drängt viele dazu, die Frage nach einer Abgrenzung in den Hintergrund zu schieben. Das sind die real existierenden Verhältnisse, aber die Journalismus-Frage bleibt trotzdem wichtig. Das kann man auch daran erkennen, dass sich Initiativen gegründet und zum Teil auch etabliert haben, wie Krautreporter und Correctiv, die sagen: Wir wollen Journalismus machen und nichts anderes.

Wer hätte es am dringendsten nötig, Ihr Arbeitspapier zu lesen und die Unterscheidung zwischen Journalismus und Animationsarbeit zu erkennen?
Zum einen die Journalistinnen und Journalisten, aber – leider ohne große Aussicht auf Lernfähigkeit – auch die Manager von Medienorganisationen. Und Öffentlichkeitsarbeiter, denn denen kann es nicht egal sein, was mit dem Journalismus passiert – ein Journalismus, der kein Vertrauen genießt, kann über deren Botschaften nicht handwerklich solide und kritisch berichten Vor allem aber politische Multiplikatoren, denn letztlich muss sich die Gesellschaft darüber Gedanken machen, wer für Journalismus bezahlen soll. Wir brauchen ihn dringend, aber nicht auf Kosten der Beschäftigten, indem sie ihre Arbeit nicht angemessen bezahlt bekommen.

Gespräch: Astrid Sauermann

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