Neue Anlaufstelle: Erste Hilfe bei SLAPPs

Justitia Foto: Hermann Haubrich

Was tun, wenn man geslappt wird? Ab dem 16. Mai gibt es eine Anlaufstelle für SLAPP -Betroffene. SLAPPs sind unbegründete Einschüchterungsklagen oder missbräuchliche Gerichtsverfahren. Gegen die hat die EU eine Anti-SLAPP-Richtlinie verabschiedet. Binnen zwei Jahren müssen die Mitgliedsstaaten nun die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Hinter der von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten Anlaufstelle steht ein breites Bündnis; Ansprechpartner ist Philipp Wissing.

In dieser Woche startet ein zivilgesellschaftliches Bündnis, dem auch die dju in ver.di angehört, eine Anlaufstelle, die Expertise zum Umgang mit juristischen Einschüchterungspraktiken (SLAPP), Austausch unter Betroffenen sowie Trainings für Medienschaffende und Jurist*innen bietet. Der Politikwissenschaftler Philipp Wissing koordinierte für Blueprint for Free Speech bereits PATFox (Pioneering anti-SLAPP Training for Freedom of Expression) in Deutschland. Das Pilotprojekt diente der Schulung von Anwält*innen für Mandate zur Verteidigung von Journalist*innen und Medienorganisationen, NGOs oder Aktivist*innen gegen Unternehmen oder Regierungsvertreter*innen, die Kritik unterdrücken wollen. Nun leitet er die neue SLAPP -Anlaufstelle in Berlin. Mit M sprach er über Angebote und Ansprüche des neuen Projektes, Projekts, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wird.

Wer kann sich an die neue SLAPP-Anlaufstelle wenden?

Alle Betroffenen. Etwa journalistisch Recherchierende. Wobei wir hier vor allem damit rechnen, dass Freie die meisten Anfragen stellen. Oder ich werde geslappt, weil ich versuche, einen Betriebsrat zu gründen, Nachrichten über interne Plattformen versende und dafür abgemahnt werde. Oder wenn ich gegen Mieterhöhungen in einer Nachbarschaftsinitiative aktiv werde. Außerdem rechnen wir mit Anfragen aus dem Bereich Umwelt-Aktivismus, der kritischen Forschung und von NGOs.

Wie können Sie Betroffene unterstützen?

Der Politikwissenschaftler Philipp Wissing koordinierte für Blueprint for Free Speech PATFox (Pioneering anti-SLAPP Training for Freedom of Expression) in Deutschland. Das Pilotprojekt lief in elf Ländern und diente der Schulung von Anwält*innen für Mandate zur Verteidigung von Journalist*innen und Medienorganisationen, NGOs oder Aktivist*innen gegen Unternehmen oder Regierungsvertreter*innen, die Kritik unterdrücken wollen.
Philipp Wissing. Foto: Ilaria Glum

Die Anlaufstelle entsteht in Kooperation von Blueprint for Free Speech, Reporter ohne Grenzen, der dju in ver.di, dem Deutschen Journalistenverband, Frag den Staat und der Aktion gegen Arbeitsunrecht. Sie soll die bestehenden Strukturen bestmöglich verbinden. Gleichzeitig bauen wir gerade einen Rechtsbeirat auf. Und außerdem einen Pool von Jurist*innen, an die wir die Betroffenen weitervermitteln können. Wir starten mit 16 Jurist*innen. Bei der Einbindung in unsere Arbeit ging es ja darum, dass diese sich wirklich mit dem Thema auskennen. Sicherlich werden noch einige dazukommen. Wir wollen also zwei Dinge mit der Arbeit der Anlaufstelle verbinden: Die bestehenden Strukturen als Schutzraum publizistischer Arbeit und Vermittlung von rechtlicher Expertise und Beratung.

Das heißt, der Erstkontakt in der Anlaufstelle läuft über Sie persönlich?

Genau: per Mail oder Telefon. Aber wir werden auch über verschiedene Chat-Plattformen erreichbar sein, um eine sichere und anonyme Kontaktaufnahme zu gewährleisten. Für letzteres werden wir vor allem Session nutzen.

Kann ich mich schon im Vorfeld von Recherchen an Sie wenden, wenn SLAPPs absehbar erscheinen?

In jedem Fall. Vor allem bei heiklen Recherchen. Wir wollen dafür auch in Schulungen sensibilisieren. Denn es ist besser, auf SLAPPs vorbereitet zu sein. Wichtig ist, rechtlich sauber zu arbeiten, alles belegen zu können und alles zu dokumentieren. Vielleicht kann auch schon im Vorfeld ein Anwalt drauf schauen. Hilfreich dürfte es auch sein, sich präventiv zu vernetzen. Hier stehen wir in engem Austausch mit dem deutschen No-SLAPP-Bündnis.

Welche Hilfe bietet die SLAPP-Anlaufstelle konkret: Rechtlich, finanziell, aber auch psychologisch?

Rechtlich beraten wir selbst nicht. Wir vermitteln die rechtliche Beratung. Auch finanziell können wir nicht direkt helfen. Aber wir können bei Crowdfunding helfen die Reichweite zu steigern. Generell bemühen wir uns um finanzielle Mittel. Aber noch haben wir sie nicht. Wir denken auch in Richtung Supervision und psychologische Erstberatung. Wir setzen hier aber stärker auf eine Vernetzung, um die Betroffenen in der Gruppe aufzufangen.

Ist die Beratung kostenlos?

Die Beratung in der Anlaufstelle ist kostenlos. Aber es gibt – wie gesagt – keine juristische Beratung. Deswegen sprechen wir von Anlaufstelle. Unser Ziel besteht darin, dass die Betroffenen den Begriff SLAPPs sicher verwenden können. Dass sie einschätzen können, was auf sie zukommen könnte. Wir bemühen uns auch darum, weitere kostenlose, zumindest jedoch kostengünstige Angebote zu vermitteln.

Mit wie vielen Anfragen rechnen Sie?

Wir gehen davon aus, dass SLAPPs absolut alltäglich in den genannten Feldern sind. Wir hoffen, dass wir Betroffene gut vernetzen können. Auch über das europäischen Bündnis CASE. Denn gerade bei großen Firmen gibt es oft eine europäische Dimension.

Wann beginnen Sie Ihre Info- und Fortbildungsveranstaltungen?

Im November sind Fortbildungen von der Aktion Arbeitsunrecht und von FragDenStaat geplant. Zusätzlich wird ver.di auf der re:publica Ende Mai in Berlin mit einem Panel aktiv sein. Nach den öffentlichen und kostenlosen Schulungen werden wir auch ein Handbuch veröffentlichen.

Wie werben Sie für die SLAPP-Anlaufstelle?

Am 16. Mai wird unser Internetauftritt freigeschaltet. Außerdem werben wir über unsere Kooperationspartner und das No-SLAPP-Bündnis. Und wir stehen im Kontakt mit dem Bundesamt für Justiz. Das kann im besten Falle auch auf uns verweisen.

 Und was tut sich bei der deutschen Gesetzesvorlage?

Zwar stehen wir in Kontakt mit dem Bundesamt wie auch mit dem Bundesjustizministerium, aber wir wissen noch von keiner Vorlage. Im Übrigen ist das Bundesamt beauftragt, eine solche Anlaufstelle staatlicherseits einzurichten. Das ist Teil der Richtlinie.


Einladung: Die SLAPP-Anlaufstelle wird am 16. Mai in Berlin mit einem Empfang und einer Podiumsdiskussion eingeweiht. Paneldiskussion mit:
Hannah Vos, FragDenStaat/ Jean Peters, Correctiv/Anna Hunger, Kontext-Wochenzeitung und Bettina Behrend, Rettet den Regenwald
Moderation: Joschka Selinger, Gesellschaft für Freiheitsrechte

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »