Antisemitismus in der Deutschen Welle

Foto: M-Archiv

Die Deutsche Welle (DW) trennt sich wegen nachgewiesenem Antisemitismus von fünf Mitarbeiter*innen, vier von ihnen aus der arabischen Redaktion. Aus dem gleichen Grund geht sie acht weiteren Verdachtsfällen nach. Der Redaktionsleiter hat seinen Rücktritt angeboten. Gleichzeitig beschloss die Intendanz einen Maßnahmenkatalog, um künftig ähnliche Vorgänge zu verhindern. Dies sind erste Ergebnisse einer von der DW beauftragten Untersuchungskommission unter Leitung der früheren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Die Kommission war eingesetzt worden, nachdem die „Süddeutsche Zeitung“ Ende 2021 einen Bericht veröffentlicht hatte, in dem juden- und israelfeindliche Äußerungen mehrerer Mitglieder der Arabisch-Redaktion der Welle dokumentiert wurden. Antisemitische Tendenz wurden auch bei Freien Mitarbeiter*innen im Ausland und bei diversen Kooperationspartnern registriert.

Die Ergebnisse wurden im Anschluss an eine Sondersitzung des Rundfunkrates am 7. Februar auf einer Online-Pressekonferenz vorgestellt.

Konsequente Aufarbeitung zugesagt

„Allein der Verdacht, dass es in einer deutschen steuerfinanzierten Einrichtung Antisemitismus gibt, muss für Juden in diesem Land und weltweit unerträglich sein“, drückte DW-Intendant Peter Limbourg vor der Präsentation des Untersuchungsberichts sein Bedauern aus. Meinungsfreiheit könne niemals eine Rechtfertigung für Antisemitismus, Israelhass und Leugnung des Holocaust sein. Die Fehler werde der Sender „zeitnah, vollständig und konsequent aufarbeiten sowie klare, auch personelle Konsequenzen ziehen“.

Kommissionsvorsitzende Leutheusser-Schnarrenberger erläuterte, Untersuchungsgegenstand seien neben den antisemitismusverdächtigen Mitarbeitern der arabischen Redaktion auch der Rekrutierungsprozess und die Kooperationspartner der DW in der Region gewesen. Der Ausschuss habe per E-Mail und in 32 persönlichen Gesprächen mit Beteiligten kommuniziert. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verzichte man auf eine Namensnennung und persönliche Identifizierung der Betroffenen. Von den 70 Partnern der DW wurden nur einige stichprobenartig überprüft. Außerhalb des Untersuchungsauftrag habe die Kommission auch Anmerkungen zu einigen Partnern der DW-Akademie für nötig befunden.

Suspendierung gerechtfertigt

Konkrete Ergebnisse lieferten anschließend Psychologe Ahmad Mansour und seine Frau Beatrice. Mit zwei der fünf von der SZ namentlich Erwähnten habe man gesprochen, zwei hätten sich schriftlich geäußert, ein Mitarbeiter habe ein Gespräch verweigert. Die Kommission sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Suspendierung der fünf Hauptbetroffenen gerechtfertigt sei. Es gehe nicht um Israel-Kritik, sondern „wir haben zum Teil klassische antisemitische Bilder bis zur Holocaust-Leugnung oder -Relativierung“ festgestellt. Auch gebe es „Aussagen, die das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat infrage stellen oder komplett ablehnen“.

Daneben wurden acht Personen identifiziert, bei denen das Spektrum problematischer Äußerungen und Kommentare sehr breit sei: „von klassischem Antisemitismus bis hin zu Gewaltverherrlichung“. Bei der Bewertung müsse beachtet werden, dass es um fünf bzw. acht Personen gehe – die arabische Redaktion beschäftige aber mehr als 200. „Wir reden hier von punktuellem Fehlverhalten und Aussagen, aber nicht von strukturellem Antisemitismus in der arabischen Redaktion“, bekräftigte Mansour.

Bei der stichprobenartigen Überprüfung von DW-Partnern in der MENA-Region (Nahost und Nordafrika) konnte bei den meisten nichts Auffälliges festgestellt werden. Bewertet werden aber drei in den Medien erwähnte Partnersender: „Roya-TV“, „Al Jadeed TV“ und „Ma’an“. Der Vorwurf etwa, bei „Al Jadeed“ handle es sich um einen Hisbollah-Sender, habe zumindest für die letzten beiden Jahre nicht bestätigt werden können. Die Kommission empfehle, für alle Partner klare Richtlinien und Pflichten festzulegen. „In dieser Richtlinie sollte das Existenzrecht Israels und das Thema Antisemitismus sehr deutlich formuliert und kommuniziert werden“, forderte Mansour. Der jordanische TV-Sender „Roya“ sei zwar bekannt für seine „fortschrittliche Haltung im Umgang mit den Rechten von Minderheiten“. Die gleichzeitig publizierten Karikaturen seien allerdings ein „No Go“. Diese Partnerschaft soll nur dann fortgesetzt werden, wenn der Sender zum Dialog bereit sei und sich von den inkriminierten Karikaturen distanziere. Im Falle von „Ma’an“ empfiehlt die Kommission aufgrund einer tief antisemitischen Haltung, die Partnerschaft zu beenden.

Künftig mit Bewerbungen anders umgehen

Beatrice Mansour schlägt dem Sender vor, anstelle des bislang eher informellen Auswahlprozesses künftig Bewerbungen über ein „strukturiertes Rekrutierungsverfahren – kriteriengeleitet und mit transparenten Entscheidungsprozessen“ – zu organisieren. Der Personalschlüssel – gegenwärtig 70 Prozent Freie, 30 Prozent Festangestellte – solle möglichst mehr in Richtung Festanstellung verschoben werden.

„Das Unterscheiden zwischen dem israelbezogenen Antisemitismus und Israel-Kritik ist keine ganz einfache Angelegenheit“, räumt Beatrice Mansour ein. Regelmäßige Schulungen, Trainings und Veranstaltungen könnten ein Bewusstsein dafür schaffen. Sinnvoll sei auch eine transparente „Guideline“ für die Redaktion, Israel-Besuche oder Besuche in KZ-Gedenkstätten.

Leutheusser-Schnarrenberger forderte, bei allen Kooperationspartnern gerade im Nahen und Mittleren Osten auf die Einhaltung des Werte- und Inhalte-Kanons der Deutschen Welle zu achten. Wo Antisemitismus existiere, habe die Deutsche Welle keinen Platz. „Die gesamte arabische Redaktion kann nicht mit dem Vorwurf des strukturellen Antisemitismus belegt werden“ schloss sie sich dem Resümee von Ahmad Mansour an. Angesichts der registrierten „Einzelfälle“, die teilweise „in ziemlicher Dichte“ auftauchten, müsse die Welle aber Konsequenzen ziehen.

Die inkriminierten Äußerungen, die im vergangenen Jahr in die Berichterstattung eingeflossen seien, hätten alle aus den privaten sozialen-Medien-Accounts der Betroffenen gestammt. Sie seien aber öffentlich gewesen, nicht in einem geschlossenen Raum. „Auch da haben bei aller Freiheit der Meinungsäußerung die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle eine gewisse Loyalitätspflicht“, sagte die Ex-Ministerin.

Präzise Antisemitismus-Definition und Code of Conduct schärfen

Zum Abschluss stellte Intendant Limbourg den 10-Punkte-Maßnahmenplan der Geschäftsleitung vor. Die DW werde künftig ihre Werte und Richtlinien noch besser kommunizieren, betonte der Intendant. Sie werde eine präzise Antisemitismus-Definition festlegen, ihren Code of Conduct schärfen und die Inhalte intern verpflichtend vermitteln. Auch Geschäftspartner müssten den Wertekodex der DW formal anerkennen.

In der Chefredaktion werde ein neues Kompetenzteam die Themenfelder Antisemitismus, Existenzrecht Israels und Verantwortung gegenüber der deutschen Geschichte stärker in das journalistische Angebot einbinden. Auch das Korrespondentenbüro in Israel werde personell verstärkt. Der Dialog mit Partnern in der arabischen Welt ist auch außerhalb des Programms weiterhin besonders wichtig. Die DW Akademie wird ihre Partnerschaften in der MENA-Region  überprüfen, ebenso die Verfahren zum Abschluss von Partnerschaften, zur Gewinnung und Beschäftigung von Trainern und Experten.

 

 

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