ARD Radio Tatort feiert Geburtstag

Aufnahmen für den vom RBB produzierten ARD-Radio-Tatort „Du bist tot“ mit dem Ermittlerteam Alexander Khuon (re.) und Shorty Scheumann
Foto: rbb/Oliver Ziebe

Zehn Jahre Mord und Totschlag: Seit 2008 senden alle ARD-Kultur- und Wortprogramme einmal im Monat knapp einstündige spannende Krimi-Hörspiele von deutschsprachigen Autoren. Wie beim „Tatort“ im Fernsehen produziert jede der neun Landesrundfunkanstalten Folgen, in denen ein festes Ermittlerteam mit der Aufklärung eines Verbrechens befasst ist. Das runde Jubiläum des ARD Radio Tatorts wird jetzt mit einer zweistündigen Sondersendung zelebriert.

In „Paradise City“ bittet laut ARD-Produktionsmitteilung die „Task Force Hamm“ um Mithilfe – zwei Kilo Heroin sind aufgrund einer Ermittlungspanne verschwunden, vermutlich an Bord eines Kanalschiffs irgendwo zwischen Hamburg, München, Saarbrücken und Berlin. Nun ist man auf Amtshilfe von befreundeten und weniger befreundeten Teams angewiesen. Was natürlich nicht ohne Häme und Spott abgeht.

Der vom WDR verantwortete Fall, bei dem alle Teams gleichzeitig im Großeinsatz sind, wird am 13. Januar nach den Nachrichten um 20:04 Uhr parallel in allen Landesrundfunkanstalten ausgestrahlt. Im Anschluss ist die Sendung online verfügbar. Zuvor schon (ab 19:05 Uhr) wird Grimme-Preis-Juror und TV-Kritiker Torsten Körner im Gespräch eine Bilanz der bisherigen zehn Jahre „Radio-Tatort“ ziehen. Dabei geht es nicht nur um Macher_innen und Publikum, sondern auch um die dramaturgischen und ästhetischen Besonderheiten dieser Reihe.

Wer den „Radio-Tatort“ regelmäßig hört, für den sind die Kommissar_innen und das übrige Personal ebenso alte Bekannte wie die TV-Kolleg_innen Lena Odenthal oder Max Ballauf. Und ebenso wie beim TV-Tatort gibt es gelegentlich auch Personalwechsel. War im ersten vom WDR produzierten Fall noch Baki Davrak als LKA-Beamter afghanischer Abstammung namens Nadir Taraki tätig, ermittelt inzwischen Uwe Ochsenknecht als Hauptkommissar Scholz. Weitere prominente Mitwirkende: Hans Peter Hallwachs, Sönke und Wotan Wilke Möhring, Alexander Khuon, Karoline Eichhorn und viele andere.

Die Resonanz des Publikums ist beachtlich. Auf allen Verbreitungswegen von der Direktausstrahlung über die einzelnen ARD-Wellen bis zu den Mediathek-Abrufen erreichen die Radio-Krimis bis zu eine Million Hörer_innen. Das ist zwar wenig im Vergleich zum TV-Tatort, den gelegentlich zehn und mehr Millionen Zuschauer_innen einschalten. Aber zugleich doch auch ein Beleg für die anhaltende Popularität des Hörspiels, des einzigen genuinen Genres, das vom Medium Hörfunk hervorgebracht wurde. Jeder Fall ist wenigstens ein Jahr in der Mediathek online und als Podcast abrufbar.

Anders als beim Fernsehen kann im Rundfunk optisch logischerweise nichts dargestellt werden. Der Film spielt sich somit im Kopf der Zuhörer_innen ab. Das erfordert eine Dramaturgie, bei der mit rein akustischen Mitteln Geschichte und Personen plastisch und plausibel werden. Hörspiele gehören für die ARD-Kulturwellen neben klassischer Musik und non-fiktionalen Beiträgen zu den wichtigsten Säulen. Ein Format wie der „Radio-Tatort“ trägt dazu bei, dass das Kulturradio auch verstärkt von Menschen eingeschaltet wird, die es sonst wegen der klassischen Musik und seines vermeintlich elitären Charakters eher meiden.

Medienkritiker Torsten Körner steht der Inflation des TV-Krimis eher kritisch gegenüber. Er erscheine im aktuellen Programmangebot wie „ein Kannibale, der alle anderen Genres auffrisst“. Seine triebentlastende Wirkung sei nicht zu unterschätzen. Der Krimi entlasse „Gestalten, die uns das Fürchten lehren, aber auf eine sehr überschaubare Weise“, so Körner in einem Gespräch mit Radio Bremen. Jeder Mensch müsse im Alltag mit Bedrohungen und Ängsten umgehen, die aber relativ diffus erschienen. Im Krimi werde zwar blutrünstig gemordet, aber der Ermittler helfe dem Zuschauer, das Verbrechen aufzulösen. Der vom Verbrechen ausgehende Schauer liefere einen „Genuss, den wir im normalen Leben nicht haben“. In dem Gespräch zum Jubiläums-„Radio-Tatort“  fragt Körner auch nach dem Potential zur Weiterentwicklung der originären Erzählweisen des Hörspiels im Krimi-Genre. Wie radikal dürfen Gewalt und Darstellungen von Gesellschaftsverhältnissen sein? Was ist dem Publikum an Beunruhigung zuzumuten, wie hoch ist die Bereitschaft der Macher_innen für Unkonventionelles? Als Vorbilder eignen sich nach seiner Ansicht erfolgreiche US-amerikanische TV-Serien, in denen die Ermittler und Helden „keine konsensgedrosselten Anwälte der bestehenden Ordnung“ sind, sondern „ambivalente Konsensaufbrecher“.


ARD Radio Tatort – Sondersendung zum 10. Jahrestag am 13. Januar 2018       

19:05 Uhr: Der Radio-Tatort – Über seine Macher_innen, sein Publikum

20:05 Uhr: Paradise City

Weitere aktuelle Beiträge

Europäische Serien werden erfolgreicher

Das Festival Series Mania bietet alljährlich einen internationalen Überblick der kommenden TV-Serienhighlights, wenn rund 5000 Branchenprofis aus 75 Ländern zusammenkommen. Auch in diesem Jahr feierten zahlreiche Produktionen mit ungewöhnliche Themen Premiere. US-Amerikanische Serien waren diesmal kaum vertreten. Das hat politische Gründe.
mehr »

Journalistische Rolle: Mächtige kontrollieren

Der Journalismus steht in der digitalisierten Gesellschaft besonders unter Druck, wenn er seine demokratische Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, weiterhin erfüllen will. Das beeinflusst auch Rollenverständnis und Werteorientierung der Medienschaffenden. Nach einer aktuellen Studie zur Profession in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist den meisten Journalist*innen heute ihre Kontrollfunktion als „Watchdog“ der Mächtigen am wichtigsten.
mehr »

Koalitionsvertrag zu Presse und Medien

Am 9. April haben CDU/CSU und SPD als Grundlage für ihre mögliche Zusammenarbeit als neue Regierung den in den vergangenen Wochen verhandelten Koalitionsvertrag vorgestellt. Wir dokumentieren einige Details zum Bereich Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk, Medien- und Netzpolitik, sowie zu Digitalisierung und Medienkompetenz.
mehr »

Medienrat: Chance für den ÖRR

Der Medienrechtler Wolfgang Schulz hält es grundsätzlich für positiv, einen Medienrat zu schaffen, der evaluiert, ob die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Auftrag insgesamt erfüllen. Es sei „eine gute Idee“ eine Institution zu haben, die gesamthaft die Entwicklung der Rundfunkanstalten in den Blick nehme, erklärt Schulz, Vorstandsvorsitzender des Leibniz-Instituts für Medienforschung Hans-Bredow-Institut (HBI).
mehr »