Auftakt: Exile Media Forum in Hamburg

Auf dem Podium des ersten Panels: Sven Tetzlaff, Julia Stein, Can Dündar, Sheila Mysorekar und Klaus Brinkbäumer (v.l.)
Foto: Lars Hansen

Mehrere hundert Exiljournalisten leben in Deutschland, schätzt Thomas Paulsen vom Vorstand der Hamburger Körber-Stiftung. Nicht alle sind so bekannt wie Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der türkischen Zeitung „Cumhüriyet“. Um die Exiljournalisten in den Fokus zu rücken, veranstaltete die Körber-Stiftung in Hamburg das „Exile Media Forum“. Es soll ab jetzt jährlich stattfinden.

„Ich kam nach Deutschland mit dem Pulvergeruch, der seit dem Attentat an mir haftet“, begann Can Dündar, der mittlerweile in Berlin die multimediale türkische Nachrichtenplattform Özgürüz leitet, am 29. Oktober seine Rede zum Auftakt des Exile Media Forum. „In meinem Jackett sitzt noch der Ruß meiner verbrannten Bücher. In meinen Ohren hallt die Stimme des Staatsanwalts nach, der lebenslange Haft für mich forderte. An meiner Haut klebt noch die Feuchtigkeit des Gefängnisses, in dem ich saß. Der Anblick der Menge, die ‚Tod für die Verräter‘ rief, steht mir vor Augen. Im Herzen trage ich den Kummer um meine Lieben, die ich zurücklassen musste. Sie sehen diese Spuren nicht, denn sie sind in meinem Geist eingeschlossen.“

Im weiteren Verlauf der Rede verdeutlichte Dündar, wie sehr sich diese eigentlich individuellen Eindrücke übertragen lassen auf alle ins Exil gezwungenen Intellektuellen und Kreativen. Er nannte Stefan Zweig, Thomas Mann oder Theodor Adorno, die einst Deutschland verlassen mussten, oder den Dichter Nazim Hikmet und den Filmemacher Yilmaz Güney aus der Türkei. „Die Türkei hat eine seltsame Tradition, ihre Helden in die Fremde zu vertreiben und dort Orden auf ihre Grabsteine zu hängen“, sagte der ehemalige Chefredakteur.

Die meisten Exil-Medienmacher sind nicht so bekannt wie Dündar oder die historischen Beispiele, die er nannte. Daran änderte übrigens auch das Exile Media Forum wenig, bei dem zwar viel über Exiljournalisten gesprochen wurde, sie selbst allerdings wenig zu Wort kamen: Von den zwölf Diskutanten auf den vier Podien des Tages vor den etwa 100 Teilnehmern waren lediglich zwei – inklusive des Stargastes Dündar – Exiljournalisten. Dabei haben Exil-Medienmacher eine wichtige Aufgabe, wie Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda in seinem Grußwort betonte: „Das Aushandeln gesellschaftlicher Normen bedarf der herrschaftsfreien Diskussion“, sagte er, „und hier haben Journalisten nicht nur das Recht, sondern die Verantwortung, aktiv zu werden – erst Recht, wenn sich ihnen hier Gelegenheiten bieten, die sie in ihren Heimatländern nicht haben.“

„Typische“ Exiljounalisten gibt es jedoch nicht: Zu unterschiedlich sind Hintergründe und Motivationen der und des Einzelnen. Wollen sie hier überhaupt weiter publizieren, oder sind sie erst einmal nur froh, entkommen zu sein? Können sie eigentlich „herrschaftsfrei“, so Brosda, agieren, oder gibt es für sie auch in einem demokratischen Rechtsstaat Einschränkungen? „Meine Frau ist noch in der Türkei und kann nicht ausreisen“, sagt Can Dündar, „und ich habe Informanten und Korrespondenten in der Türkei. Bei allem, was ich tu, muss ich mich fragen, ob ich sie gefährde. Ich kann nicht wirklich frei schreiben. Und so wie die Türkei haben auch viele andere Länder Geiseln, mit denen sie Kritik dämpfen können.“

Keine Patentlösung für eigene Projekte

Wenn sie publizieren wollen, dann für wen? Per Internet in ihre Heimatländer? Oder per Radio, Print oder TV für ihre Landsleute hier? Oder für die Bürger des Gastlandes, so dass diese  mehr über Herkunftsländer und Migration erfahren? Das Exile Media Forum sollte alle Gruppen sichtbar machen, allerdings mit einem Schwerpunkt auf „die Journalisten, die mit ihrem Blick von außen den gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland erweitern und sich damit für die Bürgergesellschaft engagieren“, erläuterte Agata Klaus, Programm-Managerin des Forums.

Womit die Frage aufgebracht war, wie man Geflüchtete in deutsche Medienstrukturen integriert. „20 Prozent der Deutschen haben eine Migrationshintergrund, das findet sich in den Redaktionen aber längst nicht in diesem Verhältnis wieder“, beklagte Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher. „Und das betrifft auch andere nicht migrationsspezifische Gruppen, wie zum Beispiel Arbeiterkinder. Wir haben nun mal keine Väter, die mit Intendanten und Chefredakteuren Golf spielen. Die Geflüchteten erst recht nicht!“

Klaus Brinkbäumer, bis zum Tag vor der Veranstaltung Spiegel-Chefredakteur, räumte Versäumnisse bei den Redaktionen ein: „Die Spiegel-Redaktion ist überproportional männlich, deutsch und großstädtischer Herkunft“, sagte er. „Die Notwendigkeit, dies zu ändern, wurde längst erkannt – nicht nur bei uns. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis hielten aber die Sparzwänge Einzug in die Verlage. Es werden keine neuen Stellen geschaffen und kaum alte frei. So hat es Veränderung schwer!“

Längst nicht alle Exiljournalisten im Publikum suchten einen Platz für sich in der deutschen Medienwirtschaft: „Wenn ich anfange, für deutsche Medien zu schreiben, verliere ich den Fokus“, sagte ein Kollege aus der Ukraine, „dann bin nach wenigen Jahren kein Exiljournalist mehr, sondern ein deutscher Reporter.“ Doch wer hier eigene Projekte aufziehen möchte, muss einige Hürden überwinden: „Man muss Geld auftreiben; in der Fremde Mitarbeiter finden, denen man vertraut und man muss sich ein Publikum erarbeiten.“

Ein Patentrezept dafür konnte auch Dündar nicht präsentieren. Ohnehin ist die Exiljournalistenlandschaft zu individualistisch für Patentlösungen. Das Geld scheint allerdings in Deutschland schon das wichtigste Problem zu sein: „Ich habe in Deutschland beste Rahmenbedingungen für meine Arbeit“, sagte Emin Milli, der in Berlin die aserbaidschanische Medien-Plattform „Meydan TV“ betreibt, „aber die Fördergelder muss ich mir woanders besorgen. Dafür reise ich sehr viel, vor allem in skandinavische Länder.“

Heimat ist da, wo man schreibt

Projekte, die integrativ wirken, werden eher gefördert. So gibt es an der Hamburg Media School den Lehrgang „Digitale Medien für Flüchtlinge“, der sich an Geflüchtete mit Publikationshintergrund wendet. „Allerdings ist nur der Lehrgang selbst von den Trägern der Schule finanziert“, sagte Projektleiter Yampier Aguilar Duranoa: „Wir brauchen zum Beispiel immer noch Praktikumsplätze für unsere Teilnehmer.“

Julia (l.) und Cornelia Gerlach stellten ihr Berliner Projekt vor.
Foto: Lars Hansen

Auch das Projekt „Amal Berlin“, das Julia und Cornelia Gerlach vorstellten, ist an einen Ausbildungsträger angedockt: die Evangelischen Journalistenschule. Zehn geflüchtete Journalisten aus dem Nahen Osten publizieren hier auf arabisch und persisch für Berliner mit diesen Muttersprachen Nachrichten aus der Stadt und aus Deutschland. Teilnehmer und Absolventen verfolgen auch eigene Projekte, wie der Iraner Omid Rezaee, der mit seinem Portal „Perspektive Iran“ in Deutschland ein Bild seines Herkunftslandes vermitteln will, das jenseits von Kopftuch und Mullahs auch Künstler, Dissidenten und das Alltagsleben zeigt. „Es gibt so viel am Iran, das hier nicht gesehen wird, oder das niemand sehen soll“, sagt er.

Man nehme seine Heimat immer mit ins Exil, hatte Can Dündar in der Auftaktrede erklärt. Thomas Mann habe einmal gesagt, wo er schreibe, sei Deutschland. „Dem schließe ich mich an: Wo ich schreibe, ist die Türkei!“

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