#ausnahmslos: Kampagne gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus

Anne Wizorek, eine der Initiatorinnen der Aktion #ausnahmslos Foto: Anne Koch

Auf die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht reagierten 22 feministische Aktivistinnen am 11. Januar mit dem #ausnahmslos – Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. M sprach mit einer der Initiatorinnen, der Autorin und Beraterin für digitale Medien Anne Wizorek, die 2013 mit ihrem #aufschrei bekannt wurde.

M | Welche Motive hatten Sie in erster Linie, als Sie den #ausnahmslos ins Netz stellten? War es die Solidarität mit den Opfern der Übergriffe oder eher die Kritik an der Instrumentalisierung der Ereignisse für rassistische Ressentiments?

Anne Wizorek | Beides. Als Feministin ist für mich das Thema sexualisierte Gewalt und sich dagegen zu engagieren das ganze Jahr ein Thema und nicht nur zu Silvester in Köln. Ich fand wichtig, klar zu machen, dass das ein Vorfall ist, den wir im Gesamtbild sexualisierte Gewalt als Problem unserer Gesellschaft diskutieren müssen. Ich habe natürlich auch gesehen, dass diese Ereignisse instrumentalisiert wurden, um eine rassistische Agenda gegen Geflüchtete und muslimische Menschen zu verfolgen und da fand ich eine Differenzierung sehr wichtig, zumal es dann ja auch sehr schnell gar nicht mehr um die Betroffenen ging, sondern in erster Linie um Obergrenzen und „Wie können wir Menschen möglichst schnell abschieben“.

Wegen der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht erhielt der Presserat bis Mitte Januar rund zwei Dutzend Beschwerden. Die gingen in zwei Richtungen. Die eine kritisierte – wie Sie –, dass Geflüchtete und Muslime unter Generalverdacht gerieten, die andere kritisierte, dass Medien Infos zu den Tätern verschwiegen. Mit Bezug auf die Antidiskriminierungsrichtlinie 12.1 hat Presseratsgeschäftsführer Lutz Tillmanns gesagt: „Wenn Polizei und Opfer den begründeten Eindruck haben, dass die Täter aus Nordafrika stammen, ist das ein Detail, das Medien nicht verschweigen dürfen.“ Wie sehen Sie das? Für die Opfer ist es ja auch hilfreich, wenn die Täter beschrieben und gefasst werden…

Ja natürlich! Dann sollten wir aber auch einführen, dass demnächst der Täter, der weiß ist, in der Berichterstattung auch so genannt wird. Wenn die Beschreibung dazu dienen soll, Personen, die noch auf freiem Fuß sind, zu fassen, dann dürfen wir nicht mit zweierlei Maß messen!
Aber ich glaube, dass auch von vornherein recht viel schief gelaufen ist. Bei der medialen Berichterstattung, die relativ spät eingesetzt hat, auch vor allem lokal war und erst danach in breiterem Rahmen aufgegriffen wurde, entstand wieder dieser Eindruck, dass da irgendwas verschleiert werden soll. Aber das liegt natürlich daran, dass die Redaktionen zu Silvester nicht so besetzt sind, wie es normalerweise der Fall ist. Andererseits muss man hier auch die Polizei und ihr Vorgehen kritisieren: Diese Widersprüchlichkeiten, dass Informationen verbreitet wurden, obwohl die Faktenlage noch nicht klar war. Selbst einen Monat danach war immer noch schwer zu überblicken, was da eigentlich passiert ist.

Ihre Kritik schlägt sich auch in 14 Forderungen im #ausnahmslos nieder. Fünf davon beziehen sich auf die Medien. Wie können Medien diskriminierungsfreier berichten? Was kritisieren Sie konkret?

Ganz wichtig ist eine sensible Berichterstattung über das Thema sexualisierte Gewalt, also eine, die Betroffene nicht verhöhnt, die keine Taten verschleiert, die den Betroffenen aber auch keine Schuld suggeriert. Wörter wie „Sex-Mob“, „Sex-Attacke“, „Sex-Gangster“ sollten nicht verwendet werden, weil sie suggerieren, dass sexualisierte Gewalt etwas mit Sex zu tun hat, obwohl es hier um Machtmissbrauch geht. Eine solche Wortwahl verharmlost diese Gewalttaten einfach wieder und da haben Medien natürlich auch eine Verantwortung. Genauso wenn es um häusliche Gewalt geht, ist das eben kein „Familien- oder Beziehungsdrama“. Sprache ist hier ein ziemliches Schlüsselproblem. Das haben wir auch bei den rassistischen Coverbildern von „Focus“ oder „Süddeutscher Zeitung“ (Schwarze Handabdrücke auf weißem Frauenkörper) gesehen, die sehr unsensibel mit der Bildsprache umgegangen sind. Hier sind Sexismus und Rassismus zusammengeflossen. Vieles von dem, was da in der Berichterstattung an – vielleicht sogar unbeabsichtigt – an rassistischen Untertönen mitschwingt, passiert auch deswegen, weil die Redaktionen nicht vielfältig genug zusammengestellt sind. Ich glaube, wenn da mehr Expertise in den Teams vorhanden wäre, dann würde so etwas gar nicht erst passieren. Deshalb haben wir ja auch als Forderung drin, dass Redaktionen ganz selbstverständlich vielfältiger aufgestellt sein müssen.

Was unterscheidet den #ausnahmslos von Ihrem #aufschrei, der die große Sexismusdebatte 2013 angestoßen hat? Wo knüpfen beide Hashtags aneinander an?

#ausnahmslos verfolgt als geplante Kampagne einen anderen Ansatz als #aufschrei, der aus der Situation heraus entstanden ist. Damals bemerkten wir im Austausch untereinander unser Redebedürfnis über eigene Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. Das Schlagwort diente zur besseren Verbreitung auf Twitter. Dass Medien es aufgreifen, hatten wir dabei nicht geplant. Das passierte dann wegen Brüderle. Leute, die nun Köln zum Anlass nehmen, um Schutz gegen Belästigung und Gewalt zu fordern, äußerten sich in der damaligen Debatte 2013 noch ganz anders: „Frauen, die müssten einfach mal die Blusen zumachen“ oder „Sie sollten sich nicht so aufregen, denn es ist doch alles bloß ein Kompliment!“

Das war die erzkonservative Publizistin Birgit Kelle, nicht wahr?

Unter anderem ja. Das finde ich auch sehr symptomatisch, wenn Sexismus und sexualisierte Gewalt nur als Problem identifiziert werden, sobald sie von Männern mit Migrationshintergrund ausgehen. Wenn wir aber von weißen Tätern sprechen, dann werden plötzlich alle möglichen Entschuldigungen gefunden. Da sehen wir diese Doppelmoral. Unsere Position haben wir unter dem #ausnahmslos als Statement veröffentlicht, wobei wir das Schlagwort zur Verbreitung in den sozialen Netzwerken gewählt haben. Da haben dann auch Frauen mit Migrationshintergrund bzw. nicht-weiße Frauen von ihren Erfahrungen geschrieben, wie sie sich in die Debatte nicht einbezogen fühlen, weil es in erster Linie darum geht, dass nur weiße Frauen vor sexueller Gewalt beschützt werden sollen. Durch #ausnahmslos wurde die Perspektive von #aufschrei noch mal ausgeweitet: Wenn wir uns gegen sexualisierte Gewalt einsetzen, dann gilt das für alle Betroffenen und wir dürfen dabei nicht in die Falle tappen, das mit rassistischen Stereotypen zu verknüpfen.

Wie zum Beispiel Alice Schwarzer, wenn Sie in „Emma“ schreibt: „Unsere Gleichberechtigung ist in Gefahr, wenn jetzt Hunderttausende meist junger Männer in unser Land strömen. Sie kommen aus frauenverachtenden Traditionen und (Bürger)Kriegsländern und sind geprägt von Gewalt.“

Feministische Positionen werden auch instrumentalisiert. Und wir als Feministinnen wollen mit #ausnahmslos klar machen, dass wir uns auch gegen beides stellen können und müssen: gegen Rassismus und gegen sexualisierte Gewalt.

Für ihr Statement unter dem #ausnahmslos hatten Sie ja prominente Erstunterzeichner_innen wie Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig gewonnen. Wie viele haben Ihr Statement bisher unterschrieben?

Wir hatten die Unterschriftenliste noch eine Woche nach dem Start offen gelassen und insgesamt sind dann 11.000 Unterschriften zusammen gekommen.

Warum kann man die Liste der Mitunterzeichner_innen im Netz jetzt nicht mehr aufrufen?

Die Liste fortzuführen wäre technisch leider zu aufwändig gewesen. Wir hätten das auf eine externe Plattform auslagern müssen, da haben wir uns dagegen entschieden und stattdessen die Laufzeit von einer Woche gewählt. Da war dann genau die Ziffer 11.000 erreicht. Für uns war das auch ein ganz klares Zeichen genauso wie das Feedback, das wir bekommen haben – nicht nur durch Unterschriften. Viele Leute waren dankbar für das Statement und diese klare Positionierung in einer sonst undifferenzierten Debatte.

Bekommen Sie sonst noch Rückmeldungen – wo und welche?

Es gibt jetzt zum Beispiel noch viele Veranstaltungen zu dem Thema. Der Zuspruch und der Bedarf, weiter zu diskutieren, sind weiterhin sehr groß. Gerade Leute, die sich schon lange gegen sexualisierte Gewalt engagieren, erkennen aber auch, dass es wieder schwieriger wird, das Thema in der Öffentlichkeit zu behalten, wenn die Nachrichten um Köln durch sind. Es geht ja schon kaum mehr darum, wie das Strafrecht verbessert werden muss, wie wir mehr Beratungsangebote etablieren müssen, geschweige denn wie Gewaltprävention langfristig aussehen sollte. Wir, die schon länger engagiert sind, gucken da längst wieder weiter, wie wir all das kontinuierlich ins öffentliche Bewusstsein rufen können.

Mich interessiert besonders, wie Sie mit den Forderungen an die Medien umgehen. Da gibt es ja schon Organisationen wie pinkstinks, die gegen Sexismus in der Werbung kämpfen, oder die Neuen deutschen Medienmacher, die sich für buntere, vielfältigere Redaktionen einsetzen. Wollen Sie sich zusammen mit diesen engagieren, treten Sie an diese heran?

Für mich schließt sich das nicht aus, mit unserem Bündnis noch mal weitere Kooperationen mit Organisationen einzugehen, die sich bereits in diesen Bereichen engagieren. Aber da müssen wir im Detail noch gucken, wie das aussehen kann.

 

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