Crowdworker sollten aktiv mitbestimmen

ver.di-Bundesvorstandsmitglied Lothar Schröder eröffnet am 6. Dezember 2018 die Tagung "Arbeiten auf Plattformen - Gewerkschaftliche Perspektiven und Gestaltungsmöglichkeiten" in der ver.di Bundesverwaltung in Berlin
Foto: Christian Jungeblodt

Mechanical Turk, Upwork oder in Deutschland Content.de, Testbirds, Crowd Guru: Crowdworking-Plattformen sind Teil der sogenannten Plattform-Ökonomie. Von der Arbeit auf Uber, Airbnb oder bei Lieferdiensten wie Foodora grenze sich Crowdworking dadurch ab, dass die Abwicklung des Auftrags komplett online erfolge und ein digitales Ergebnis habe, definierte Prof. Dr. Hans Pongratz von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf einer Tagung von ver.di und IG Metall in Berlin.

Doch wie relevant ist das Phänomen Crowdworking wirklich? Und welche Möglichkeiten haben Crowdworker, um mitzureden?

375.000 aktiv online Arbeitende zählt die global agierende Crowdworking-Plattform Upwork. Zwischen Juli 2017 und Juni 2018 wurden dort zwei Millionen Aufträge mit einem Auftragsvolumen von 1,5 Milliarden Dollar bearbeitet. Die durchschnittlichen Verdienste der Crowdworker lägen bei um die 3500 Euro im Jahr. Dennoch sei die Einschätzung der Größe des Phänomens Crowdworking schwierig, gab Pongratz zu.

Das bestätigte auch Prof. Dr. Martin Risak von der Universität Wien: „Was die Wissenschaft tun kann, ist für Wissen zu sorgen. Denn bisher wissen wir viel zu wenig, zum Beispiel darüber, wie viele das tatsächlich nur als Nebenverdienst machen.“ In der IT-Branche zumindest, da ist sich ver.di-Bundesvorstandsmitglied Lothar Schröder sicher, arbeiteten die meisten nur „aus Spaß“ neben ihrem Vollzeitjob auf Crowdworking-Plattformen. Doch selbst wenn das so sei, stellte Risak klar, ändere das nichts daran, dass faire Arbeitsbedingungen geschaffen werden müssen, weil „der gesamte Arbeits- und Sozialmarkt geschützt werden muss“. Heißt: Wer unter Wert und zu schlechten Bedingungen auf Crowdworking-Plattformen arbeitet, schadet zwar nicht immer sich selbst, wohl aber denen, die auf die Einkünfte aus dieser Arbeitsform angewiesen sind. Dem schloss sich auch die zweite Vorsitzende der IG Metall Christiane Benner an. Man dürfe das Problem nicht dadurch bagatellisieren, dass es für die meisten nur ein Nebenverdienst sei. „Warum sollten dann nicht trotzdem rechtliche Rahmenbedingungen gelten?“

Denn die fehlen bisher völlig. Pongratz sieht im Crowdworking eine Zwischenform aus selbstständiger und abhängiger Beschäftigung, die dem Outsourcing über einen Werkvertrag gleiche und durch die Umgehung von Arbeits- und Tarifrecht sowie unklare Verantwortlichkeiten gekennzeichnet sei. In Ermangelung eben diesen rechtlichen Rahmens habe die IG Metall, so Benner, die Erarbeitung eines Code of Conduct für die Arbeit auf Crowdworking-Plattformen unterstützt. Acht Plattformen, darunter Testbirds, Clickworker, Content.de oder Crowd Guru, haben die Selbstverpflichtungserklärung bereits unterschrieben, mit weiteren sei man im Gespräch. Außerdem wurde eine Ombudsstelle eingerichtet, an die sich Crowdworker bei Beschwerden über Geld oder die konkreten Abläufe auf der Plattform wenden können. Beisitzer dieser Ombudsstelle ist Olaf Hoffman, der auch selbst Crowdworker auf Content.de ist. Ein typischer Fall für das Gremium aus einer Arbeitsrechtlerin, Plattformvertreter_innen sowie Vertreter_innen der Crowdworker sei, so beschreibt Hoffmann, etwa der eines Auftrags über zwei Fotos. Auf denen sei laut Auftraggeber nicht das zu erkennen gewesen, was gewünscht war. Nur sei das, was gewünscht war, bei der Auftragsvergabe eben nicht so explizit beschrieben worden. Die Fotografin besteht auf ihrem Geld, der Auftraggeber will nicht zahlen: die Ombudsstelle vermittelt.

Für ihre Interessen aktiv werden können Crowdworker aber auch durch die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, etwa in der IG Metall oder in der Dienstleistungsgewerkschaft: Bei ver.di arbeitet der ehemalige Journalist Gunter Haake im Referat Selbstständige und ist Geschäftsführer des Beratungsnetzes für Solo-Selbstständige mediafon. Ein Viertel der Anfragen, die er dort erhalte, beträfen die soziale Sicherung, 20 Prozent die Vermarktung als Freiberufler und ein weiteres Viertel das Thema Steuern, erzählte Haake.

Allerdings stellt er in seiner täglichen Arbeit auch fest: „Die Bereitschaft von Solo-Selbstständigen, sich von allein zu organisieren, sinkt.“ Das ist ein Problem, das auch Lothar Schröder umtreibt: Die Leute müssen verstehen, dass man selbst aktiv werden muss und seine Probleme nicht einfach an die Gewerkschaft abgeben kann. Wir als Gewerkschaft dagegen dürfen Freiberufler unter uns nicht als die Ausnahme definieren. Denn dann haben wir keine Glaubwürdigkeit, die Menschen zu überzeugen, sich für ihre Interessen zusammenzuschließen.“

 

 

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