Das kollektive Gedächtnis digital

Ein Exemplar der vor kurzem als UNESCO-Weltdokumentenerbe eingestuften „Goldenen Bulle“ findet sich im Archivportal D der Deutschen Digitalen Bibliothek (Vorlage: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, H 51 U 598).

Ein Exemplar der vor kurzem als UNESCO-Weltdokumentenerbe eingestuften „Goldenen Bulle“ findet sich im Archivportal D der Deutschen Digitalen Bibliothek (Vorlage: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, H 51 U 598).

Die Deutsche Digitale Bibliothek, gegründet 2009 mit Unterstützung des damaligen Kulturstaatsministers Bernd Neumann, hat die Acht-Millionen-Marke für Digitalisate übersprungen. Insgesamt bietet die DDB inzwischen einen Überblick über 20,6 Millionen Objekte von über 4300 registrierten Partnern. 329 Institutionen liefern der Digital-Bibliothek bereits Daten zu. Zu bewundern sind als Digitalisate Handschriften, Urkunden, Frühdrucke, Landkarten, Noten, Kunstwerke.

Zu den Datenlieferanten gehören 114 Archive, 31 Bibliotheken, 112 Museen, vier Einrichtungen der Denkmalpflege, 42 Forschungsinstitutionen und 14 Mediatheken. Ganz vorne mit dabei sind natürlich die großen Bibliotheken wie die Bayerische Staatsbibliothek in München, die bereits 2007 eine Abmachung mit Google getroffen hat über die Digitalisierung der urheberrechtsfreien Bestände. Die Berliner Staatsbibliothek gehört ebenso zum Kreis der Datenlieferanten wie die Sächsische Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. Aber auch kleinere Einrichtungen sind mit von der Partie, etwa Museen in Konstanz, Stralsund oder auf Sylt.

Notgeld der Stadt Magdeburg von 1921 aus den Beständen des Landesarchivs Baden-Württemberg im Archivportal D der Deutschen Digitalen Bibliothek.
Notgeld der Stadt Magdeburg von 1921 aus den Beständen des Landesarchivs Baden-Württemberg im Archivportal D der Deutschen Digitalen Bibliothek.

Schon im März 2011 stellte die Bayerische Staatsbibliothek interessierten Leser_innen über eine halbe Million Digitalisate zur Verfügung. Die Deutsche Digitale Bibliothek wurde für das gespannte Publikum erst Ende November 2012 mit ihrer Beta-Version sichtbar, rund ein Jahr später als vom Minister gewünscht. Die Koordinatorin des Aufbaus der DDB, Ute Schwens von der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main, erklärte Ende 2011 im Gespräch mit „M – Menschen Machen Medien“ diese Verzögerung: „Wenn wir online gehen, muss schon auch ein bisschen was drin sein.“ Und unter „ein bisschen was“ verstand die Koordinatorin ein bis zwei Millionen Digitalisate.

Start mit 5,6 Millionen Datensätzen

Gestartet ist die DDB dann Ende 2012 sogar mit 5,6 Millionen Datensätzen aus 90 Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen. Gleichzeitig wurde ein eigener Facebook-Auftritt der DDB eingerichtet. Im November 2013, ging die DDB mit dem Application Programming Interface (API) an die Öffentlichkeit. Damit „können die Daten und Methoden der Deutschen Digitalen Bibliothek von externen Anwendungen (wie Webseiten oder mobile Apps) verwendet und in neue Zusammenhänge eingebettet werden“. Jeder registrierte Nutzer kann sich mit API seine eigene digitale Bibliothek zusammenbauen, sei es für touristische oder für Lehrzwecke.

Das „Decretum Gratiani“ ist eine wichtige Gesetzessammlung aus Bologna,12. Jahrhundert. Die illuminierte Handschrift stammt aus dem 13. Jahrhundert, wird in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt und ist als Digitalisat auch in der World Digital Library zu bewundern.
Das „Decretum Gratiani“ ist eine wichtige Gesetzessammlung aus Bologna,12. Jahrhundert. Die illuminierte Handschrift stammt aus dem 13. Jahrhundert, wird in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt und ist als Digitalisat auch in der World Digital Library zu bewundern.

Auf 2100 war die Zahl der Kooperationspartner bereits angewachsen, als die DDB im März 2014 mit ihrer ersten Vollversion herauskam – und seither auch twittert. Nun sind es über 4300 und die Tendenz zeigt weiter auf Wachstum. Interessierte Institutionen informiert das rund 30köpfige Team der DDB über die Voraussetzungen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit seit Juli 2015 auf einer eigenen Seite, der DDBpro, und zwar maßgeschneidert, für Museen, für Archive, für Bibliotheken, et cetera.

Seit der Gründung 2009 bis zum Jahresende 2016 sind bisher rund 29,4 Millionen Euro in den Aufbau und den Betrieb der DDB geflossen. Seit 2011 gibt es eine jährliche Ausstattung von 2,6 Millionen Euro für den laufenden Betrieb. Dazu investiert der Bund 2016/17 rund eine Million für die Modernisierung der IT-Struktur, die Länder geben jährlich für Weiterentwicklung und um Tarifsteigerungen aufzufangen 400.000 Euro. Einen spartenspezifischen Zugang für Archivinteressierte bietet die DDB mit ihrem „Archivportal D“, das 2016 den europäischen „Heritage in Motion Award“ für seine Benutzerfreundlichkeit erhalten hat.

Kompetenznetzwerk in Berlin

Angesiedelt ist die DDB in Berlin bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren Vorsitzender Hermann Parzinger auch der Sprecher der DDB ist. Die DDB begreift sich als ein „Kompetenznetzwerk“ von inzwischen 14 Mitgliedern aus verschiedenen zuliefernden kulturellen Bereichen. 2016 gab es den ersten Zuwachs im Kompetenznetzwerk nach der Gründung: das FIZ Karlsruhe, das Leibniz-Institut für Informationsstruktur und technischer Betreiber der Deutschen Digitalen Bibliothek, wurde in den illustren Kreis aufgenommen. Das Kompetenznetzwerk arbeitet mit Mitgliederversammlung, Vorstand und Kuratorium.

Diese Weltkarte des Niederländers Nicolaes Visscher aus dem Jahre 1690 liegt in der Library of Congress in Washington. Hier die Ansicht in der World Digital Library.
Diese Weltkarte des Niederländers Nicolaes Visscher aus dem Jahre 1690 liegt in der Library of Congress in Washington. Hier die Ansicht in der World Digital Library.

Nach außen sichtbar wird die DDB auch durch Informationstage wie am 13. März in Saarbrücken, bei Bibliothekstagen, durch Infostände auf den großen Buchmessen wie Frankfurt und Leipzig. Aber auch bei den Messen für die digitalen Themen wie etwa der gerade zu Ende gegangenen Cebit in Hannover ist sie vertreten. Seit Mitte 2016 bietet ein Newsletter acht bis zehn Mal im Jahr Informationen „über alle Themen rund um den Auf- und Ausbau der deutschen Digitalen Bibliothek“, über Messeauftritte, öffentliche Workshops, Ausstellungen und Konferenzen, darunter inzwischen auch der eigene „Kultur-Hackathon Coding da Vinci“.

Achtung der Urheberrechte

Im Oktober 2016 hat die DDB als neueste Publikation ihre Broschüre „Strategie 2020“ veröffentlicht, die im Februar 2017 auch auf Englisch erschienen ist. Darin führt sie noch einmal auf, was die Anliegen der DDB seit ihrer Gründung sind: Die „Demokratisierung von Wissen und Ressourcen“ und der Schutz von Kulturgütern vor dem völligen Verschwinden, wie es bei dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar oder dem Einsturz des Kölner Archivs durch den U-Bahn-Bau schmerzlich zu beobachten war. Eine weitere Aufgabe ist die wissenschaftliche Überprüfung und damit die Garantie für die Echtheit der eingestellten Objekte.

Dabei setzt sich die DDB für das Urheberrecht ein und vergibt uneingeschränkte Exklusivrechte „nur für diejenigen, die über den Börsenverein des Deutschen Buchhandels oder die VG Wort ihre Rechte selbst auch wahrnehmen“. Allerdings gibt es auch Einschränkungen für die Arbeit durch das Urheberrecht. „Mit circa 20 Millionen Datensätzen wird in der Deutschen Digitalen Bibliothek bisher nur ein kleiner Teil des gesamten deutschen Kultur- und Wissenserbes nachgewiesen. Das hat verschiedene Gründe: die Digitalisierungsquote des kulturellen Erbes ist in Deutschland (noch) gering. Auch die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen, besonders die Regelungen zum geltenden Urheberrecht, stellen für die Kultur- und Wissenseinrichtungen oft Hindernisse dar“, heißt es in der Broschüre.

Stadtansicht von Karlsruhe von Heinrich Schwarz (1721). Der kolorierte Lichtdruck gehört dem Stadtarchiv Karlsruhe, hier die Ansicht in der Deutschen Digitalen Bibliothek.
Stadtansicht von Karlsruhe von Heinrich Schwarz (1721). Der kolorierte Lichtdruck gehört dem Stadtarchiv Karlsruhe, hier die Ansicht in der Deutschen Digitalen Bibliothek.

Dass die DDB allerdings in den kommenden Jahren noch viel zu tun hat allein mit all den Kulturgütern, auf denen kein Urheberrecht mehr liegt, wird in der „Strategie 2020“ eingeräumt. Es existieren außerdem noch andere Hindernisse oder Gründe für Verzögerungen. So gebe es „Sammlungen, die digital vorliegen und bei denen keine urheberrechtlichen Gründe gegen eine Veröffentlichung sprechen, die aber trotzdem noch nicht auf unserem Portal zu sehen sind.“ Dieser Bestand sei noch nicht vollständig geprüft und bearbeitet oder er werde nicht von einer öffentlichen Kultur- und Wissenseinrichtung im engeren Sinn bereitgestellt. „Außerdem werden bislang Digitalisierungsvorhaben und -projekte in Deutschland nicht systematisch erfasst.“

Aggregator für die „Europeana“

Der bedeutendste Einzelplayer bei der Digitalisierung in Deutschland ist die schon früh gestartete Bayerische Staatsbibliothek, die jetzt 1,2 Millionen Digitalisate bietet und den weltweit kostenlosen Downloadservice DaFo „Daten für die Forschung“ betreibt. Ein anderer „Big Player“, das gemeinsame Portal für Bibliotheken, Archive und Museen, kurz BAM, hat im Juni 2015 selbst einstimmig die Überführung der BAM-Daten in die DDB und die Schließung des eigenen Portals beschlossen. Das BAM war bereits seit 2002 online, als erstes Digitalisate anbietendes Kulturportal im deutschsprachigen Raum, und wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG unterstützt.

Kaiser Rudolf II. als Vertumnus, dem römischen Gott der Jahreszeiten und Früchte. Das Gemälde (1590/91) stammt von Guiseppe Arcimboldo und hängt in Schloss Skokloster, Schweden. Die Fotografie, die auch in der Europeana zu finden ist, stammt von Erik Lernestål.
Kaiser Rudolf II. als Vertumnus, dem römischen Gott der Jahreszeiten und Früchte. Das Gemälde (1590/91) stammt von Guiseppe Arcimboldo und hängt in Schloss Skokloster, Schweden. Die Fotografie, die auch in der Europeana zu finden ist, stammt von Erik Lernestål.

Doch die DDB werkelt nicht nur in und für Deutschland vor sich hin, sie ist „Aggregator“ für die „Europeana“, die seit 2008 existiert. Die „Europeana“ bietet mittlerweile 54, 2 Millionen Kunstwerke, Artefakte, Bücher, Videos und Audios aus ganz Europa, über die Grenzen der Europäischen Union weit hinaus. Rund 2000 Kultur- und Wissenschaftsorganisationen liefern ihr zu. Benutzt werden kann die „Europeana“ in so ziemlich allen europäischen Sprachen, auch in Katalanisch. „Unsere Mission: Wir verwandeln die Welt mit Kultur! Wir wollen auf Europas reichem Erbe aufbauen und es Menschen einfacher machen dieses zu nutzen, ob für die Arbeit, zum Lernen oder einfach nur zum Spaß.“ Die DDB hat bei der „Europeana“ bisher knapp über eine Million Digitalisate aus Deutschland eingestellt.

Sehr viel kleiner ist die ebenfalls 2009 ins Leben gerufene „World Digital Library“, die von der UNESCO und der Library of Congress der Vereinigten Staaten gegründet wurde. Erst 15.500 digitalisierte Objekte sind dort zu finden, dafür aus 193 Ländern der Welt und von 8000 vor Christus bis heute. Einen Schwerpunkt widmet die „World Digital Library“ der arabischen und islamischen Wissenschaft und ihrem Einfluss auf die westliche Wissenschaftstradition. Sehr viel schneller wächst die „Digital Public Library of America“, die erst im April 2013 ihr Portal freischaltete, aber schon mehr als 15 Millionen Objekte veröffentlicht hat.

Umsetzung einer Vision

„Was nicht im Netz ist, wird nicht in der Welt sein“ hatte „M – Menschen Machen Medien“ Ende 2011 den Leiter der Deutschen Kinemathek, Paul Klimpel, zitiert. Noch gibt es eine ganze Menge Kulturgut, das nicht „im Netz“ ist. Das sieht auch die DDB in ihrer Broschüre „Strategie 2020“ so und hat sich folgendes Nahziel gestellt: „Bis 2020 wollen wir an der Umsetzung unserer Vision, die zentrale Plattform für Kultur und Wissen in Deutschland zu sein, arbeiten und dabei gemeinsam mit unseren Partnern die Idee der freien Zugänglichkeit von Kulturgut für alle Bürgerinnen und Bürger realisieren.“

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