Der ganz normale Wahnsinn

Titelthema: Stress und Trauma. Probleme für Journlisten in Krisenregionen und Krisensituationen?

Krisengebiete sind nicht nur Kriegsschauplätze. Mit schrecklichen Bildern und Situationen können alle Journalisten jederzeit in ihrem Berichtsgebiet konfrontiert werden. Schon vor dem 11. September fielen Katastrophen wie die Explosion der Feuerwerkskörperfabrik im niederländischen Enschede oder das tragische ICE-Unglück von Eschede durch die schiere Zahl der Opfer oder das Ausmaß der Zerstörung auf. Die Branche, die sich zunehmend gerne selbst reflektiert, hat ein neues Thema: Wie groß ist die Gefahr für Journalisten, infolge von Kriseneinsätzen ein posttraumatisches Stresssyndrom zu erleiden?

Reden gegen den Zynismus


„Mir war wichtig, hinterher soviel darüber zu reden wie möglich. Das hat mir geholfen, Erlebnisse zu verarbeiten.“

„Die Frage an die Kollegen vor Ort ist oft nicht, wie es einem geht, sondern, ob die Bilder gedruckt werden. Solange die Bilder gedruckt werden, ist alles gut.“

„Viele haben Angst vor diesen Themen, die an die Nieren gehen. Man findet auch kaum Gesprächspartner, bei denen man selbst seine Probleme damit besprechen kann.“


Wenn die Katastrophe da ist, sind alle vor Ort, die dort gebraucht werden: Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz und natürlich Journalisten. Jeder macht seinen Job nach den speziellen Anforderungen, die an ihn gestellt werden. Während die Polizei den Unglücksort absperrt, die Rettungsdienste retten, beobachten Journalisten, was wann wo wem passiert ist und mit welchen Entwicklungen zu rechnen ist. Manchmal sind es schreckliche Dinge, die man dort sieht oder erlebt. Ist der Einsatz vorbei, bleibt die Erinnerung. Manchmal führt die Erinnerung zu Angstzuständen, Schlafstörungen, Depressionen oder anderen Beeinträchtigungen der Seelenlage. Psychologen sprechen dann von posttraumatischem Stresssyndrom oder einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSS).

Wie oft „manchmal“ ist und warum ein Mensch das scheinbar gleiche Erlebnis besser verkraftet als ein anderer, ist ungewiss. Amerikanische Studien sollen ergeben haben, dass zehn Prozent der Soldaten, die aus Vietnam zurückgekehrt sind, unter PTSS leiden. Die einen mehr, die anderen weniger. Wie viele geheilt oder stabilisiert wurden, ist nicht bekannt. Fest steht, dass die Psyche des Menschen bis heute unberechenbar ist. Die Belastungsgrenzen sind individuell, die Folgen einer Überbelastung ebenso. Fest steht auch, dass diese psychischen Belastungen immer öfter thematisiert werden.

Hilfe für Kollegen

Der CNN-Präsident Chris Cramer hat ein Buch geschrieben, in dem er auch die psychischen Belastungen von Journalisten thematisiert. Er beschreibt sich selbst als traumatisiert: 1980 wurde er als Geisel in der iranischen Botschaft in London gefangen gehalten. Zwar entkam er nach zwei Tagen, nachdem er eine Herzattacke vorgetäuscht hatte, doch die Erinnerung an die „böse Überraschung“ blieb. Jahrelang habe er nicht mehr fliegen oder in öffentliche, geschlossene Räume wie Kinos oder Restaurants gehen können. Heute versucht Cramer als Vorsitzender von Newscoverage Unlimited (siehe Hovestädt Seite 10), die Medienbranche für die Gefährdung durch PTSS und die Notwendigkeit von Hilfe für PTSS-geschädigte Kollegen zu sensibilisieren.

Irgendwas scheint dran zu sein, an „bedrückenden“ psychischen Belastungen, denen Journalisten durch ihre Arbeit ausgesetzt sind. Auffällig oft sollen Journalisten zu Alkoholikern werden, zur ungesunden Zigarette greifen oder Tabletten missbrauchen. Ähnlich wie bei Ärzten und Polizisten sollen soziale Beziehungen gestört sein: Schichtarbeit, Stress, hohe Verantwortung, fließende Wechsel zwischen Berufs- und Privatleben scheinen Journalisten stark zu belasten. Stresshöhepunkte sollen Kriseneinsätze bringen: Vor Ort wird der Journalist mit Mord und Totschlag, Krieg oder den verheerenden Auswirkungen von Katastrophen, dem Leid von Menschen konfrontiert.

Anders als Rettungs- und Ordnungskräfte, denen seit Jahren die Möglichkeit einer psychologischen Betreuung angeboten wird, müssen Journalisten alleine damit fertig werden – außer, sie lassen sich als Privatmensch betreuen. Kein Redaktionspsychologe hilft. Wer nicht zugibt, dass er ein Opfer von PTSS sein könnte, der fürchte, als nicht mehr leistungsfähig zu gelten, keine Aufträge mehr zu bekommen, argumentiert Cramer.

Sicher hat der Mann recht, wenn er behauptet, dass nicht jeder jede Situation auch psychisch ohne Schäden überstehen kann. Bislang fehlen aber medizinisch oder psychologisch relevante Studien zum Thema. Deshalb müssen Vergleichszahlen wie die der Vietnam-Soldaten für eine Lagebeurteilung herhalten. Bemerkenswerterweise widersprechen die von M befragten kriegs- und krisenerfahrenen Journalisten einer deutlichen Gefährdung durch PTSS.

Selbstschutz: Professionelle Distanz

Bettina Gaus, politische Korrespondentin der „tageszeitung“, hat einige Jahre als Afrikakorrespondentin gearbeitet. Dort wurde sie mit der Realität der Bürgerkriege konfrontiert. Krankheiten in Flüchtlingslagern, Zerstörungen und Leichen hat sie oft gesehen, viele waren entstellt: „Beim Völkermord in Ruanda oder auch in den Bürgerkriegen in Somalia und Burundi sind abscheuliche Dinge passiert.“ Sie sagt von sich selbst, dass sie diese Erfahrungen mehr oder weniger unbeschadet überstanden hat: „Mit der Zeit tritt ein Gewöhnungseffekt ein.“ Das sei allerdings nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln, sagt sie. „Der Grad der Erschütterung hängt nur bedingt mit der Zahl und dem Zustand der Opfer zusammen“, sagt sie. Ein etwa zweijähriges Kind, das in einem somalischen Flüchtlingslager auf der Erde sitzend seinen Zorn über die Welt um sich herum herausschrie, habe sie mehr berührt, als die Besichtigung eines Munitionsdepots in Addis Abeba nach der Explosion: „Der Anblick von über 200 Toten war grauenhaft, andererseits hatten diese verkohlten Klumpen nichts Menschliches mehr.“ Das nennt sie professionelle Distanz. Eine Form von Selbstschutzmechanismus. Meistens wüsste man vor dem Eintreffen anhand erster Informationen ungefähr, was einen erwartet. Die Bilder ähneln sich: Tod, Zerstörung und Leid. Dann tun Journalisten ihren Job, stellen Fragen, suchen Antworten und bereiten ihre Geschichten auf. „Mir war wichtig, hinterher soviel darüber zu reden wie möglich. Das hat mir geholfen, Erlebnisse zu verarbeiten.“ Es wirke auch „auch einer vollständigen Vereinsamung außerhalb des beruflichen Umfeldes“ entgegen unter der nach ihrer Beobachtung manche Kollegen gelitten hätten: „Wenn ich Freunden erzählte, was ich detailliert erlebt habe, war es damit auch für sie einfacher, sich mit mir darüber zu unterhalten.“

Wo sind die beruflichen Grenzen?

Ähnliches berichtet auch Christoph Maria Fröhder (siehe Interview S. 9) Er hat wie andere Kriegsreporter auch, gewisse „Techniken“, mit denen er sich und seine psychische Beeindruckung schützt. Karsten Thielker, Pulitzer-Preisträger 1995, hat den Job gemacht, um international reisen zu können und um bekannt zu werden. Heute äußert er sich kritisch über seine frühere Arbeit als AP-Fotograf: „Meine Motivation war: Wie weit komme ich? Wo sind die beruflichen Grenzen. Krieg ist auch nur eine Wiederholung, wie alles in dem Geschäft. Die Frage an die Kollegen vor Ort ist oft nicht, wie es einem geht, sondern, ob die Bilder gedruckt werden. Solange die Bilder gedruckt werden, ist alles gut.“ Selbst als sein Kollege Hansi Kraus 1993 in Ruanda zusammen mit drei Kollegen vom Mob auf der Straße gelyncht wurde, dachte er nicht ans Aufhören: „Es war nur Zufall, dass ich nicht auch dort war.“ Er hängte den Job erst nach einem schweren Autounfall an den Nagel: „Als ich auf dem Weg der Besserung war, konnte ich für mich keinen rechten Sinn mehr in der Nachrichtenfotografie sehen.“ Der Unfall bedeutete eine Zäsur, auch psychisch: „Mein schnelles Leben als hochleistungsorientiertem Fotoreporter wurde von 100 auf 0 zum schwer verletzten Kranken gebremst, der erst mal wieder genesen musste.“ Heute fotografiert er wieder, aber keine Krisen.

Hartmut Heß, Leiter der Journalistenakademie der Friedrich-Ebert-Stiftung, hat unter anderem als gesellschaftspolitischer Berater in Angola gearbeitet: „Wenn man sich die Arbeitsbedingungen der einheimischen Journalisten vor Augen führt, die erhebliche Repressionen erleben und einem entsprechenden psychischen Druck ausgesetzt sind, dann verwundert es schon, wie gelassen die Kollegen selbst damit umgehen.“ Er glaubt, dass die Journalisten die Risiken, die sie eingehen, kennen oder zumindest ahnen und dadurch die Gefahr einer Traumatisierung sinkt. „Ausländische Korrespondenten haben es ohnehin leichter,“ sagt Bettina Gaus: „Das Element der Freiwilligkeit ist sehr wichtig. Wir gehen da rein, schauen uns um und verlassen den Ort wieder. Ich halte unter diesen Bedingungen die Gefahr, durch Erlebnisse traumatisiert zu werden, nicht für ausgeschlossen, aber doch überschätzt.“

Traumatisiert durch die Erlebnisse der Gesprächspartner

Ganz anders äußert sich Rosvita Krausz, die viele Hörfunk- und Fernsehsendungen über Traumatisierte gemacht hat. Die freie Journalistin beschäftigt sich seit Jahren mit multiplen Persönlichkeiten, Gewaltopfern, Satanismus und anderen Themen, die psychologische Beeinträchtigungen der Opfer oder Kranken mit sich bringen. Für ihre Geschichten nimmt sie sich oft monatelang Zeit: „Ich brauche das Vertrauen der Leute. Wenn diese sich nach und nach öffnen, erfahre ich Dinge, die mich selbst so stark berühren, dass ich zum Beispiel beim Abschreiben der Protokollbänder selbst Druck auf der Brust bis hin zu Ekel verspüre. Ich muss die Arbeit dann unterbrechen.“ Sie selbst sei auf eine gewisse Art und Weise durch die intensive Beschäftigung mit den Erlebnissen ihrer Gesprächspartner traumatisiert. Abhilfe schafft nur Distanz: „Ich verordne mir dann selbst nur noch Reisethemen oder Anderes, was nichts damit zu tun hat.“ Kritik übt sie an Redaktionen: „Viele haben Angst vor diesen Themen, die an die Nieren gehen. Man findet auch kaum Gesprächspartner, bei denen man selbst seine Probleme damit besprechen kann.“ Mit anderen Kollegen versucht sie zur Zeit eine Art Supervisions-Gruppe zu gründen, in der Bedrückendes besprochen werden kann.

Erfahrungen „handhabbar“ machen

Für Wolfgang Hinz ist das Alltagsgeschäft. Der Polizeipfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau unterrichtet an der Polizeischule und betreut Beamte, die in Stresssituationen gekommen sind oder vielleicht kommen werden: „Nach Schusswechseln oder anderen Gewalterfahrungen bieten wir Gespräche an. Es gibt immer Beamte, die sagen, sie bräuchten das nicht. Das ist teilweise auch so, aber insgesamt bestätigen alle, das es gut ist, zum Beispiel die Dramaturgie der Ereignisse zu operationalisieren.“ Dadurch würden die Erfahrungen handhabbar und man wäre den Ereignissen nicht mehr hilflos ausgeliefert. Die Erfahrung lehre, dass vor allem junge, männliche Kollegen vom Traumatisierungsstress bedroht seien: „Ihnen fehlt oft Lebenserfahrung, die sie aber mit Selbstüberschätzung wettmachen. Als Mann redet man dann nicht über „Gefühle“.“ Diese Voraussetzungen in Kombination mit einem einschneidenden Erlebnis könne zu Traumatisierungen führen. Neben intensivem Austausch sei auch die körperliche Gesundheit wichtig: „Das gibt Stabilität.“ Von großer Bedeutung sei, so der Pfarrer, die Sinnfrage: „Wenn man das Gefühl hat, es ist gut und richtig, was ich tue, gibt das Stabilität und schützt ganz nebenbei vor einer anderen Berufskrankheit, die Polizisten mit Journalisten teilen: Zynismus.“


  • Hardy Prothmann ist freier Journalist.
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