Der Lack ist ab

50 Jahre ARD aus der Sicht eines heimlichen Liebhabers

Wenn die Dame ARD jetzt 50 wird, habe ich sie zum ersten Mal kennengelernt, als sie noch ein Mädchen war. Jungfrau war sie allerdings nicht mehr. Es gab durchaus den ein oder anderen Rundfunkpionier jener Tage, der von den Nazis so gut wie nichts mitbekommen hatte und deshalb unter dem Röckchen von Fräulein ARD wieder einen Platz an der Sonne finden konnte. Es war wie mit der Bundeswehr. Werden die Generale Hitlers die Generale der Nato sein, wurde Konrad Adenauer gefragt, und seine Antwort war, dass er 17jährige der Nato nicht anbieten könne. Das konnte er in der Tat nicht, und so war das auch mit der ARD.

Was mich betrifft, so habe ich an die holde Jugendzeit dieser Dame nur angenehme Erinnerungen. Ich war ein Junge, und das damalige neue Funkhaus des Kölner WDR hatte einen Sendesaal, in dem die Söhne des Hausinspektors und ihre Freunde wunderbar spielen konnten. Die beiden Hausinspektorsöhne und wir, ihre Freunde, waren Messdiener im benachbarten Dom.

Also entsprachen unsere Spiele zwar nicht unbedingt dem Kulturauftrag des WDR, aber sie gingen über Verstecken, Anschleichen und Aufspüren nicht hinaus. Mussten sie auch nicht, denn das Anschleichen im total dunklen Sendesaal gehörte zum Spannendsten, was uns damals beschäftigen konnte. Der Raum ist ein großes und sensibles Ohr. Er hört sogar das Öffnen und Schließen der Augen. Das muss er auch können, denn ein Sinfoniekonzert ist manchmal so pianissimo wie ein Wimpernschlag. Selbstverständlich war der Sendesaal hauptsächlich für solche Sinfoniekonzerte da, aber er war auch, insbesondere während der Orchesterferien, ein Ort, wo Knaben ihre Knabenspiele spielen konnten.

Ich weiß heute, dass wir diese Gelegenheiten, uns dem Rundfunkwesen spielerisch zu nähern, dem Hausinspektor verdanken. Der hieß Hans Fuchs und war im Rückblick für meine Annäherungen an die ARD sehr wichtig. Ich nannte ihn Onkel Hans, und ich tue das, wenn ich ihn in den ewigen Jagdgründen anrufe, immer noch. Als Sergio Celibidache noch ein junger Mann war, dirigierte er im WDR das Deutsche Requiem von Brahms. Kurz vor der öffentlichen Generalprobe sagte er zu Onkel Hans, dass er in den ersten beiden Reihen keine Zuschauer wünsche. Da waren die Karten aber schon verkauft, und die Leute standen an den Wänden. Als nun der Maestro ans Pult trat, wandte er sich um, sah die Stehenden, machte eine große Gebärde und sagte: „Bitte setzen Sie sich doch. Hier sind noch zwei Reihen frei.“ Onkel Hans bekam einen roten Kopf und krächzte: „Dat Aaschloch“. Seit dem weiß ich, dass auch große Männer, selbst im Zusammenhang mit einem Requiem, Arschlöcher sein können.

Und dieses Wissen sollte sich als solide Basis für meinen Umgang mit der ARD erweisen. Z. B., als mir ein Intendant mit parteichristlicher Entrüstung die Reporterformulierung verübelte: Rumänien begeht heute offiziell den Tag der Befreiung.“ Ob ich schon mal von Kommunisten befreit worden wäre? Oder als, während des Libanonkrieges, Heiner, der CDU-Geissler, anrief und die Formulierung „die bezahlten Milizen christlicher Politiker“ monierte. Er war für „christliche Milizen.“ Oder als ein Kollege meldete, dass Prinz Bernhard der Niederlande der Bestechung durch die Firma Lockheed überführt worden war, und die Meldung um den Satz erweiterte, dass im Zusammenhang mit Lockheed seinerzeit auch CSU-Strauß ins Gerede gekommen sei. Anruf der CSU, Abmahnung, Kadi.

Andererseits hat mir Frau ARD auch freundliche Augenblicke bereitet. So, als schon sehr früh der Chefredakteur Johannes Groß mich ermunterte, in die CDU zu kommen. Er war schon drin, aber ich sagte, dass ich Schwierigkeiten mit dem C hätte, und er erwiderte, dass sie das doch nicht so genau nähmen. Eben, sagte ich, und er hat es mir nicht übel genommen. Auch Intendant Helmut Hammerschmidt war in der CDU. Dennoch war er entschieden dafür, dass ich DDR sagte, während er ein Anhänger der Gänsefüßchen blieb. Er warf mich auch nicht raus, als ausgerechnet ein Gewerkschafter im Rundfunkrat es ihm empfahl. Dann aber schrieb er ein gutes Dutzend Seiten über Helmut Kohl. Streng vertraulich, aber – cherchez la femme. Der Ministerpräsident Kohl war nachtragend rotzesauer, und Hammerschmidt wurde nicht wiedergewählt.

Und es brachen die Tage an, da die noch rüstige ARD anschaffen musste. Unionschristliche, sozialdemokratische und freiheitliche Politiker bescherten ihr das duale System, und sie staffierte sich folgsam mit formatiertem Fummel aus und ging mit den Privaten auf den Quotenstrich.

Da half es nichts, dass der gute CDU-Intendant Willibald Hilf das duale System hilfesuchend ein duellierendes System nannte, dem die ARD irgendwann zum Opfer fallen müsse. Da half es auch nichts, dass sich um Hilfs Nachfolge ein CDU-Mann bewarb, der im duellierenden System ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei sah. Eine hochkarätige Katakombenrunde von Provinzchristen traf sich an der Mosel und hob mit kräftig begossener Nase Herrn Peter Voß auf den Schild. Der wurde gewählt und tat fortan alles, um der ARD das Anschaffen so reizvoll wie möglich zu machen. Er selbst greift hin und wieder zu erbaulicher Lyrik und hält den Quotenstrich für das Schwarze vom Ei. Ich hingegen schaue zu, danke ihr meine frühen Jahre, freue mich, dass sie, insgesamt gesehen, noch nicht wie eine Schlampe aussieht, sehe aber traurig, dass der Lack endgültig ab ist.


  • Pit Klein, seit 1963 der ARD verbunden: als Pauschalist beim Jugendfunk des SDR in Karlsruhe bis 1965, nach einem Jahr beim Deutschlandfunk in Köln ab 1967 für den SWF als Reporter und Moderator tätig – 1970 HF-Korrespondent in London, von 1987 bis 1990 als ARD-Korrespondent für Griechenland, Türkei, Zypern in Athen, von 1990 bis 2000 Chefreporter Kultur beim SWF bzw. SWR in Baden-Baden, jetzt im Vorruhestand. 1991 bis 1998 Vorsitzender des Betriebsverbandes SWF der Fachgruppe Rundfunk/Film/AV- Medien in der IG Medien, für die Bundesfachgruppe in deren Kommission Medienpolitik.
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