Ein Diskussions-Modell für europäische Gewerkschaften
Der Sparzwang ist ein verbreitetes Phänomen in der europäischen Medienlandschaft, der Rotstift diktiert in vielen Redaktionen. Wie können Journalistinnen und Journalisten damit umgehen, wie sollen sich die Journalistengewerkschaften positionieren? Mit diesen Fragen beschäftigten sich rund 50 Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedsgewerkschaften der Europäischen Journalistenföderation EJF Mitte März bei dem Seminar „Confronting Austerity – Financial and Employment Models for Journalism“ in Wien.
Die Nachwuchswerbung wurde als wesentlicher Aspekt für ein erfolgreiches Mitgestalten der künftigen Medienlandschaft betont. Die Gewerkschaften sollten sich um Studierende kümmern. Dabei hat es nicht jede so einfach wie die Dänische Journalisten-Union DJU. Deren Nachwuchswerbung konzentriert sich auf drei Journalistenschulen, in denen 85 Prozent eines Jahrgangs geworben werden. Damit hat die DJU beneidenswerte15 Prozent junge Mitglieder, lässt sich dies mit Sommerlagern und Beratung aber auch einiges kosten.
Komplizierter ist dagegen die Lage in Deutschland oder Österreich, wo sich neben den Journalistenschulen seit 15 Jahren eine geradezu explodierende Zahl von Medienstudiengängen etabliert hat und der Journalismus zum Modeberuf aufgestiegen ist – bei jungen Leuten wie bei Hochschulen. Ein Trend, der sich in der sogenannten Zeitungskrise langsam zurückbildet. Trotzdem verzeichnet die Nachwuchswerbung der dju in ver.di ein Plus von fünf Prozent.
Lebhaft wurde diskutiert, ob nicht zu viele für den Journalismus und damit für die Arbeitslosigkeit ausgebildet würden. Mehrheitlich war die Stimmung jedoch gegen eine Beschränkung der Ausbildungsplätze, da eine fundierte journalistische Ausbildung flexible Absolventen auch zu anderen beruflichen Tätigkeiten wie Öffentlichkeitsarbeit oder Marketing befähige.
Wie können sich Journalisten und ihre Gewerkschaften in Zeiten von Stellenstreichungen, dem Sterben traditioneller Medien und neuer, nicht-journalistisch ausgebildeter Konkurrenz aktuell aufstellen? Als ein existenzieller Weg wurde der „entrepreneurial journalist“ beschrieben, der Unternehmerjournalist, der seine Fähigkeiten als Freiberufler dem Medienmarkt anbietet, sei es als Solo-Selbstständiger oder in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Harten Widerspruch zur Konstruktion des Unternehmerjournalisten gab es aus den Reihen der französischen Kollegen, die schon bei einer EJF-Umfrage diese Vorstellung kategorisch abgelehnt hatten. Die Auswertung der Umfrage soll im Sommer veröffentlich werden.
Die französische Ablehnung trifft auf eine Entwicklung, in der eine Online-Zeitung wie „Mediapart.fr“ ein erfolgreiches Beispiel für unabhängigen, von Kollegen selbst organisierten Journalismus bietet. Und „Mediapart.fr“ ist nicht die einzige französische Neugründung dieser Art. Ein anderes Beispiel für eigenverantwortliches Arbeiten statt Resignieren in der Medienkrise kam aus Italien, wo sich 17 Journalistinnen und Journalisten als FPS Media zusammengeschlossen haben und sowohl Reportagen als auch Öffentlichkeitskampagnen anbieten, inzwischen sogar international. Dabei haben sie einen firmeneigenen Kodex erarbeitet, der die erwünschten von den unerwünschten Auftraggebern trennt.
Am italienischen Beispiel entzündete sich die Diskussion, ob es sich noch um Journalismus handele und diese Unternehmerjournalisten in Journalistengewerkschaften richtig angesiedelt seien. Auch hier prallten die Auffassungen aufeinander und wurden mit dem Hinweis, dies müsse jede Mitgliedsgewerkschaft für sich entscheiden, zur Seite geschoben. Klar sei, so EJF-Präsident Mogens Blicher Bjerregard, dass sich der journalistische Arbeitsmarkt entscheidend verändert habe und die Journalisten und ihre Gewerkschaften dem besser mit Innovationslust begegneten als mit Verweigerung. „Wir sollten da sein, wo die Jobs sind und wohin unsere Mitglieder gehen“, so der dänische Journalist. „Und wir sollten unsere Ethik in den neuen Arbeitsmarkt einbringen.“ Das bedeute auch die Verteidigung des Urheberrechts und des Paid Content.
Es gebe immer mehr journalistische Arbeit außerhalb der herkömmlichen Vertriebswege, unterstrich Tim Dawson von der britischen NUJ. Darum müssen sich die „Unions“ kümmern, um bei der Medienentwicklung mitzuspielen. Gerade für die Unternehmerjournalisten sei es wichtig, gewerkschaftlich organisiert zu sein um einen Raum zu haben, wo sie ethische Standards reflektieren können.
Die Freiberufler werden in allen EJF-Gewerkschaften zahlreicher, resümierte Bjerregard, das müsse in der Gewerkschaftsarbeit und der Werbung neuer Mitglieder stärker berücksichtigt werden. Die Weiterbildung der Mitglieder in Bezug auf Anforderungen und Risiken freiberuflicher Tätigkeit solle ausgebaut werden wie beispielsweise in Belgien oder den Niederlanden, wo die Gewerkschaft künftigen Freiberuflern sogar einen psychologischen Test über ihre Eignung als Unternehmer anbiete. „Die EJF muss dabei sein, wenn neue Journalismus-Modelle entwickelt werden“, forderte der EJF-Präsident.
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