Divers denken

Hamburg: Hinter den Kulissen beim Fotoshooting. Anna Spindelndreier (im Foto links) arbeitete 2017 in einem freien Fotoprojekt zum Thema „kleinwüchsige Frauen im Beruf“.
Foto: Andi Weiland

Fundamentale Geschlechterungleichheit im professionellen Fotojournalismus

Selbst kurze Textmeldungen haben hunderte Zeichen zur Verfügung, um Informationen zu vermitteln. Die journalistische Bildkommunikation hingegen basiert meist auf einem Einzelbild. Dies stellt extreme Anforderungen an Bilder. Neben der Aufmerksamkeitslenkung und der Informationsvermittlung gehört dazu auch, gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Mit dem Bildinhalt ist in Bezug auf Diversität in der journalistischen Bildkommunikation bereits ein wichtiger Faktor benannt, zu dem die Fotograf*innen, die Bildsprache und der Kontext hinzukommen. Für alle Bereiche ist zu fragen, wie gesellschaftlicher Vielfalt Rechnung getragen werden kann.

Die Fotografin Anna Spindelndreier kennt das Thema Diversität nur zu gut, und zwar aus verschiedenen Perspektiven. Als freie Bildredakteur*in war sie selbst mit der Herausforderung konfrontiert, abstrakte Themen zu visualisieren und Themenabwägung mit Diversität in Einklang zu bringen. Als freie Fotograf*in hat sie sich auf Menschen mit Behinderung fokussiert. Ihren Kleinwuchs hat sie quasi zum Markenzeichen gemacht. „Mir erschien dies der Weg des geringsten Widerstands“ sagt sie. Vor dem Berufseinstieg fehlten ihr Vorbilder um ihren Traum, Fotografin zu werden, umzusetzen. Dies teilt sie mit anderen Kolleg*innen, die von der Gesellschaft marginalisierten Gruppen angehören.

Die Bedeutung von Fotografie und Diversität liegt darin begründet, dass die Menschen sich über die journalistische Bildkommunikation ein Bild von der Welt machen. Der englischsprachige Begriff „gaze“, was so viel heißt wie Blick, bringt das sehr plastisch auf den Punkt. So ist in westlichen Gesellschaften bis heute ein „male gaze“ und ein „white gaze“ dominierend, wodurch andere Perspektiven marginalisiert werden. Damit ist nicht gemeint, dass etwa weiße, männliche CIS-Fotografen ausschließlich Männer fotografieren. Aber aufgrund ihrer persönlichen Sozialisation kommt möglicherweise ein vielfältigerer Blick nicht zum Zuge.

Recht gutes Zahlenmaterial gibt es zu Gender und Fotografie. Der Bericht „The State of News Photography“ attestierte dem professionellen Fotojournalismus schon 2016 eine fundamentale Geschlechterungleichheit. Der Anteil von Frauen an den Einreichungen zum World Press Photo Award lag in den letzten Jahren nur leicht über 15 Prozent. Eine Studie von Prof. Lars Bauernschmitt von der Hochschule Hannover förderte zu Tage, dass der mittlere Jahresumsatz von Fotografinnen 2019 nur etwa halb so groß wie der ihrer männlichen Kollegen war. An den Ausbildungsstätten für Fotografie in Deutschland ist das Verhältnis von Männer und Frauen dagegen meist ausgeglichen.

In den Blick zu nehmen ist auch die Fototechnik. Die amerikanische Publizistin Sarah Lewis ging 2016 in einem in der New York Times publizierten Artikel der Frage nach, ob der Fotografie ein „Racial-Bias“ eingeschrieben ist. Sie stellt die These auf, dass mit der Festlegung heller Haut als Norm und anderer Hauttöne als denjenigen, die einer Korrektur bedürfen, die Fotografie einen wesentlichen Einfluss darauf hat, wie Menschen miteinander agieren. War es in analogen Zeiten die Kalibrierung von Filmen, sind es in der digitalen Fotografie die Algorithmen in Form von Farbprofilen, die definieren, was wie dargestellt wird. Und diese sind menschengemacht und eben kein Naturprodukt.

Ressourcen und Anleitungen zum Thema Diversität in der Praxis, richten sich vor allem an Bildredakteur*innen und Fotograf*innen. Plattformen, die andere Bilder von Menschen mit Behinderung zur Verfügung stellen, sind Gesellschaftsbilder und Inkfoto. Bezogen auf nicht-binäre Genderthemen hat VICE eine auf Stockmaterial fußende Datenbank generiert. Eine Liste mit Fotografinnen stellt der deutsche Female Photo Club zur Verfügung. Fotojournalist*innen aus nicht-westlichen Ländern finden sich in der African Photojournalism Database der World Press Photo Foundation. Möglichkeiten zum Selbst-Assessment, also der Überprüfung der eigenen Arbeit und der Reflektion von Privilegien bietet ein englischsprachiges Manual des amerikanischen Authority Collective. Das Thema Haltung und persönlichen Zugang an oberste Stelle zu setzen, das wünscht sich auch Anna Spindelndreier. „Es reicht nicht, nur vom Endprodukt Foto auszugehen, da vorher schon zu viele Weichen gestellt sind“, meint sie. Dabei geht es ihr nicht darum, eine Checkliste einzelner Diversitätsaspekte abzuarbeiten. Stattdessen wünscht sie sich, dass Fotograf*innen anfangen, divers zu denken und damit ihren Blick auf die Welt verändern. Aber auch eine Quote etwa bezogen auf das Geschlechterverhältnis findet sie wichtig, um neue Vorbilder zu generieren. Denn eins ist für sie klar: „Je undiverser die Fotografie, desto undiverser die Bildsprache“.

 

 

 

 

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