Diversity auf Rezept

Strategie mit Einzelbehandlungen anstelle ganzheitlicher nachhaltiger Therapie

Eine erste gemeinsame Gesamtstrategie legt die Bundesregierung nun endlich mit dem Nationalen Aktionsplan Integration (NAP-I) vor! Der enthält auch für die Medien viele interessante Angebote, aber es scheint wie „Diversity auf Rezept“. Rezepte muss man nicht einlösen, wenn man Angst vor den Nebenwirkungen hat. Das ist die Krux.

Gegen die Diversitäts-Armut gibt es insgesamt sechs „Verordnungen“, die das Themenforum „Medien“ in einem zweiseitigen Papier als „Kernvorhaben“ aufführt. Zumeist handelt es sich dabei um therapeutische Maßnahmen, da die Probleme – zu wenig Vielfalt in Personal, Programm und Publikum – spätestens seit dem ersten Nationalen Integrationsplan 2007 hinlänglich bekannt sind. Für das Kernvorhaben zu „Interkulturalität und Diversität in Film und Fernsehen“ wird aber zunächst noch eine Diagnose verordnet. Durch eine erste umfassende Befragung „Vielfalt im Film“ sollen Diversität und Diskriminierungen vor und hinter der Kamera sichtbar gemacht werden.

Wie hier sind zumeist zivilgesellschaftliche Organisationen Projektträgerinnen. Die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) bieten gleich mehrere Heilbehandlungen an. Die „Stärkung von Diversity-Kompetenz im Journalismus“ zielt auf ein bewussteres Personalmanagement und für Neuzugewanderte bauen sie die Community-Plattform „Together in Germany“ auf. Flankierend dazu will die Bundesregierung die Arbeit des „netzwerk medien.vielfalt!“ fördern, dass im Sommer 2020 von Medienmacher*innen mit Flucht- oder Migrationserfahrung gegründet wurde. Als „soziale Medien“ auf ihren Umgang mit Diversität durchleuchtet wurden, entdeckte man auch gefährliche Hass- und Hetze-Tumore, die gesellschaftliche Spaltung anheizen. Deshalb besteht ein weiteres Kernvorhaben aus Trainings und Angeboten des „No Hate Speech Movement“, das seit 2016 von den NdM koordiniert wird und dem Verbundprojekt NO HATE, das Tools gegen Hassrede entwickelt. Per Rezept gibt es auch Fortbildungen für „die differenzierte und sachbezogene Berichterstattung über Migration und Integration“. Informationen zum Thema bietet der Mediendienst Integration bereits seit 2012. Nun entwickelt er zusammen mit dem Dortmunder Erich-Brost-Institut eine E-Learning-Plattform als Aus-und Weiterbildungsangebot, auf die alle Journalist*innen in Deutschland zugreifen können.

Gut, dass es so viele engagierte zivilgesellschaftliche Initiativen gibt, die Therapiemaßnahmen übernehmen! So kann eine lange Liste von durchaus sinnvollen Verordnungen angeboten werden. Doch um von der Diversitäts-Armut in den Medien nachhaltig zu genesen, müssen die Medienhäuser mitziehen und bereit sein zu strukturellen Veränderungen. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass weiße Männer und Frauen auch Positionen und damit Macht aufgeben. Zudem sollten Mitarbeitende auf allen Ebenen für mehr Vielfalt sensibilisiert werden – auch die alten Hasen, in den Chefsesseln oder teuer eingekaufte Promis, die in die Rassismusfalle tappen.

Aber eine so radikale Therapie wollten sie offenbar nicht, die Vertreter*innen aus öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksendern, aus Medienhäusern und -verbänden. Sie machen fast die Hälfte der 42 Mitglieder des Themenforums „Medien“ aus, in dem man sich schließlich auf die sechs Projekte einigte – allerdings ohne irgendeine Verpflichtung! Deshalb wundert es auch nicht, dass über eine Evaluation bzw. ein Nachhalten dieser Kernvorhaben angesichts der endenden Legislaturperiode nichts entschieden worden ist. Es scheint somit noch ein weiter Weg bis zur Erkenntnis, dass nur eine ganzheitliche Therapie helfen kann.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Riesa: Einschränkung der Pressefreiheit

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beobachtete am vergangenen Samstag die Demonstrationen in Riesa rund um den AfD-Parteitag. Ziel der Beobachtung war der Schutz der Presse- und Berichterstattungsfreiheit sowie der Aufdeckung potenzieller Gefährdungen für Journalist*innen. Insgesamt mehr als sieben Stunden war die dju während der zahlreichen Demonstrationen vor Ort. Die Gewerkschaft übt nun insbesondere gegenüber der Polizei Kritik am Umgang mit Journalist*innen und an der Einschränkungen der Pressefreiheit während des Einsatzes.
mehr »

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »

Österreichs Rechte greift den ORF an

Eines muss man Herbert Kickl lassen – einen Hang zu griffigen Formulierungen hat er: „Die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen, das ist wie bei siamesischen Zwillingen,“ sagte der FPÖ-Spitzenkandidat auf einer Wahlkampfveranstaltung im September. „Die einen, die Politiker, lügen wie gedruckt, und die anderen drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System“. Seinen Zuhörenden legte Kickl mit seinen Worten vor allem eins nahe: Die rechte FPÖ könne dieses dubiose System zu Fall bringen oder zumindest von schädlichen Einflüssen befreien.
mehr »

Die Entstehung des ÖRR in Deutschland

Im Jahr 1945 strahlten die deutschen Radiosender Programme der Militärregierungen aus. Zum Beispiel Norddeutschland. Dort hatte der nationalsozialistische Reichssender Hamburg am 3. Mai seine Tätigkeit eingestellt. Nur wenige Stunden später besetzten britische Soldaten das Funkhaus und schon am 4. Mai erklang eine neue Ansage: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government.”
mehr »