Ein langer Weg

1990: wirkungsvoller Journalistenstreik für einen Ausbildungstarifvertrag

Diskutiert worden war über eine geregelte Ausbildung für den journalistischen Nachwuchs in Zeitungskreisen schon seit gut 100 Jahren, als sie dann endlich Wirklichkeit wurde. 1990 erstritten Journalist_innen in dem damals längsten Journalistenstreik, den die Bundesrepublik je erlebt hatte, ein Tarifwerk zur Ausbildung von Volontär_innen. Jetzt hat es immerhin „nur” 26 Jahre gedauert, bis eine Aktualisierung dieses Ausbildungsplans beschlossen wurde. Ohne Streik, aber unter dem Druck der technologischen Entwicklung der Branche.

Richtlinien für ein Volontariat an Tageszeitungen gab es seit 1969. Im Jahr 1981 setzten sich die Verlage noch einmal „Bindende Grundsätze” für eine gute Ausbildung von Volontär_innen. Doch ganz so bindend waren diese Grundsätze in vielen Zeitungshäusern offenbar nicht, denn 1990 streikten die Journalist_innen in der Tarifrunde auch für eine wirklich verbindliche Regelung der Ausbildung in den Tageszeitungen, für einen Ausbildungstarifvertrag.

Inez Kühn 1990 bei einer Aktion in Stade
Foto: IG Medien

120 Redaktionen traten in den Warnstreik, 93 Redaktionen streikten teilweise bis zu sechs Wochen. Am 28. Mai 1990 wurde schließlich ein Ausbildungstarifvertrag zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union dju, dem Deutschen Journalistenverband (DJV) und dem Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) besiegelt, der eine zweijährige Ausbildung vorsah. Der Tarifvertrag galt ab dem 1. Juli 1990 in allen tarifgebundenen Ver­lagen. In 15 Paragraphen wurde erläutert, wie das Redaktionsvolontariat an Tageszeitungen auszusehen habe. Wenige Monate später, zum 1. Oktober 1990, wurde ein leicht modifizierter Ausbildungstarifvertrag für Zeitschriften nachvollzogen, ohne noch einen Streik. Dafür aber seit dem 13. April 1991 mit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Bundesarbeitsministeriums. Dieser Vertrag gilt also in allen Zeitschriftenhäusern, auch für die Verlage, die nicht oder nur „ohne Tarifbindung” im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) Mitglied sind.

Der Vorlauf für diesen Erfolg zog sich über Jahre. Inez Kühn, damals junge Redakteurin schon mit Verantwortung für Volontär_innen, bis vor kurzem Bereichsleiterin Medien bei ver.di, erinnert sich an ihre eigene Ausbildung beim „Buxtehuder Tageblatt“, einer gewerkschaftlich gut organisierten Redaktion. Mit dem Volo-Vertrag hielt sie auch die Eintrittserklärung für die dju in der IG Druck und Papier in den Händen. Ihre Ausbildung hat sie in sehr guter Erinnerung. Sie machte schnell Karriere beim Mutterblatt „Stader Tageblatt“ und in der dju, die damals für einen Manteltarifvertrag kämpfte. 1983 kam sie in den Bundesvorstand: Jung, Frau, Volontärsausbilderin. Bei der Zuteilung der Aufgaben unter dem Vorsitzenden Eckard Spoo wurde sie auf die Volontärsausbildung festgelegt. Eine Arbeitsgruppe mit Volontärinnen und Volontären, mit Studierenden der Deutschen Journalistenschule in München und der Uni Dortmund, existierte schon. Und auch hier haben sich viele engagiert, die selbst keine schlechte Ausbildung hatten, aber beobachten konnten, welche Niveauunterschiede es in der Branche gab.

Dazu erläutert Veronika Mirschel, heute Leiterin des Referats Selbstständige in ver.di und 1983 im ersten Semester des ersten Kombinationsstudiengangs an Deutscher Journalistenschule und Uni München: „Studierende wurden damals gar nicht in die IG Druck und Papier aufgenommen.” Die DJSler haben es dennoch geschafft, die Journalismus-Studierenden der Uni Dortmund auch. Nach einem Studierendentreffen auf eigene Kasse haben sie dann in der „Volo-AG” mitgearbeitet, um Qualitätsstandards für Aus- und Weiterbildung, überbetrieblich und für alle, aufzustellen. „Dem produktiven Brainstorming folgten überfüllte Volo-Kongresse, Rollenspiele zur Durchsetzung einer besseren Ausbildung, die Entwicklung von Betriebsvereinbarungen, Quellenstudien in Dänemark und, und, und. Nach intensivster (und breiter) Diskussion erblickte der erste Entwurf eines Ausbildungstarifvertrages auf einem Küchentisch das Licht der Welt”, erinnert sich Inez Kühn.

Etwas unvermittelt traf das Engagement zu diesem Thema auch Renate Angstmann-Koch: Kaum war sie 1988 Volontärin beim „Schwäbischen Tagblatt“ geworden, schon fand sie sich in der Rolle der Volontärssprecherin der dju in Baden-Württemberg wieder. Bundeskonferenz und Tarifkommission der dju machten sich die Forderung der jungen Medienleute zu

Streikaktion mit Detlef Hensche zur Unterstützung der Verhandlungen für einen Volo-Tarifvertrag 1990
Foto: IG Medien

Eigen. Inez Kühn half bei der Ausformulierung der Forderungen, Verhandlungsführer war der spätere IG Medien-Vorsitzende Detlef Hensche. Und die älteren Kolleg_innen in den Redaktionen haben mitgezogen. „Es war eine breite Bewegung” sagt Inez Kühn, damals Stade, heute Berlin.

Peter Schröder-Metz erinnerte sich 2001 zum 50-Jahre-Jubiläum der dju: „1990: Meine inzwischen zur IG Medien gewandelte Gewerkschaft ruft zum Arbeitskampf auf. Die Verhandlungen um den Abschluss eines Ausbildungstarifvertrages für Redakteur_innen sind ins Stocken geraten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, um was es geht. Und ich weiß, was ich zu tun habe. Nach drei Streikwochen ist es geschafft: Der Ausbildungstarifvertrag ist unter Dach und Fach. Dies sollte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden mit Kollegen aus Druck- und Verlagsbetrieben, mit gewerkschaftlich engagierten Künstlern, Musikern und Schriftstellern.” Streiks und Aktionen, auch schon mal mit einem Leierkasten, sollten für Aufmerksamkeit für das Thema sorgen. Margret Lünenborg, heute Professorin an der FU Berlin: „ Die Volontärsausbildung war es, die mich in die Arme der Gewerkschaft getrieben hat. Damals noch als Studentin in der Volo-AG zogen wir mit der Drehorgel vor das Medienforum und verstärkten die Streikposten vor der WAZ in Hagen-Bathey.”

In der Öffentlichkeit kam wenig an vom Kampf der Gewerkschaften um eine geregelte Ausbildung. Die Gehaltsforderungen seien ausverhandelt, hieß es. „Ja, warum streiken die denn dann noch”, fragte sich so manche Leser_in, die nichts vom Ausbildungsthema erfahren hatte. Gerhard Manthey, lange für die IG ­Medien und ver.di in Stuttgart tätig und damals bei diesem Thema sehr engagiert, resümierte: „Der Ausbildungstarifvertrag ist ein wichtiger Meilenstein in der Tarifgeschichte der Redakteurinnen und Redakteure.” Der Vorsitzende der dju in dieser wichtigen Zeit, Hartmut Schergel, kommentierte: „Wir sind richtige Gewerkschafter geworden, haben Tarifgeschichte geschrieben und neues Zutrauen in unsere Stärke gewonnen. Durch den sechswöchigen Streik, mit dem sich Journalistinnen und Journalisten die 35-Stunden-Woche erkämpften und einen Ausbildungstarifvertrag, den die Verleger jahrzehntelang verweigert haben. Allein wäre das sicher so nicht zu schaffen gewesen, aber die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen aus Technik und Verlag hat uns diesmal in neuer, alter Weise bestätigt, dass wir gemeinsam stark sind.”

Auch in späteren Tarifrunden gingen die „Alten” zum Streik raus für die „Jungen”: Die sollten zum Beispiel nach einer Verlegerforderung Tarifgehaltseinbußen von rund 25 Prozent hinnehmen, um in den lange als Traumbranche geltenden Medien Fuß fassen zu dürfen. Dieses Mal gab es über Forderungen und Hintergründe mehr Berichte für die Öffentlichkeit als 1990.

Inzwischen dreht sich das Blatt: Verlage müssen sich für guten Nachwuchs attraktiv machen, wie die Bonner Konferenz der „Initiative Qualität im Journalismus” im September zeigte. Und dieser Herausforderung soll auch der neue Ausbildungsvertrag dienen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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