EJF zu Flüchtlingen: Zahlen sind nicht alles

Zur Berichterstattung über Flüchtlinge herrscht momentan unter Medienschaffenden in Europa eine weit verbreitete Verunsicherung. Das zeigte ein Workshop der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF) Ende Mai in Zagreb, an dem Journalisti_innen aus zwölf Ländern teilnahmen. Es gab Forderungen, Denkanstöße und Empfehlungen.

„Wir sollten bei der Berichterstattung über Migranten eigene Akzente mit positiven, konstruktiven Botschaften schaffen und zeigen, dass Angst und Hass nicht allgemein vorhanden sind.“ Diesen Appell richtete Maeve Patterson, Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, an die Journalisten und Journalistinnen in Europa.

Denn aktuell laufe einiges schief. Viele Artikel und Sendungen zwischen Schweden, Deutschland und Griechenland geben Hassparolen, Stereotypen und Mythen weiter, die sich wie ein Virus unter Politikern in Europa verbreiten. Eine Studie der Universität in Bristol stellte fest: Im Vordergrund stehen Zahlen, die vielen Lesern und Hörern als Bedrohung erscheinen. Die menschlichen Probleme, die sich hinter der globalen Flüchtlingsbewegung verbergen, werden dagegen eher vernachlässigt. Natürlich müsse man über Besorgnisse berichten, stellte Aidan White fest, Direktor des Ethical Journalism Network in London. Aber was darüber hinausgehe und ausgewogen wäre, das stoße an Grenzen. White: „Redaktionen mangelt es an Kapazitäten und informierten Spezialisten, die in der Lage wären, über ein so komplexes Thema wie die Flüchtlinge zu berichten“. Kulturelle Wissensdefizite seien die Regel.

Die Forderung nach spezieller Schulung von Journalisten und Journalistinnen zum Thema Migranten stand im Vordergrund des Treffens. Als besondere, neue Erscheinung der Gegenwartsgeschichte stellt die Flüchtlingsproblematik eine professionelle Herausforderung dar. Sprachbarrieren verhindern, dass Flüchtlinge ausreichend selbst zu Wort kommen. Eine Empfehlung aus dem Workshop dürfte einen Denkanstoß geben: Könnten nicht Flüchtlinge, die in ihrer alten Heimat als Journalisten arbeiteten, in die Arbeit der Redaktionen einbezogen werden? Als vorbildhaft wurde die gemischt besetzte Redaktion für die Facebook-Seiten von WDRforyou vorgestellt; sie sind von rund 280 000 Personen abonniert.

Kenntnisse über Richtlinien der Pressekodices ­– in Deutschland von Presserat herausgegeben – müssen bei vielen Kollegen und Kolleginnen aufgefrischt werden. In Griechenland hat die Journalistengewerkschaft ESIEMTH spezielle Empfehlungen zur Berichterstattung über Flüchtlinge in einer eigenen „Charter of Idomeni“ zusammengefasst. Eine grundsätzliche Forderung darin ist: Migranten muss in Berichten mit dem gleichen Respekt begegnet werden wie anderen Bevölkerungsgruppen.

Soziale Medien helfen als Quellen nicht viel weiter. Auch mal schnell in ein Herkunftsland zu fahren, führt nicht zu genügend Kenntnissen. Zu verbessern ist nach Feststellung der EJF allerdings der Zugang zu Daten und Einrichtungen hierzulande. Das sollte helfen, auch die bloßen Zahlen richtig verstehen und besser einordnen zu können.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »