Journalismus online: Content Syndication – Information wird zur Handelsware für Medienunternehmen
Auch sechs Jahre nach dem Start der ersten Webseiten haben es die deutschen Medienunternehmen – mit wenigen Ausnahmen – bisher kaum geschafft, mit ihren Internet-Aktivitäten Geld zu verdienen. Doch die olympische Phase („Dabei sein ist alles“) nähert sich dem Ende. Dicke Gewinne winken – allerdings nur für wenige. So prognostiziert es eine aktuelle Studie. Das Zauberwort heißt Content Syndication.
Dabei geht es nicht um den Verkauf von Medieninhalten an Endkonsumenten (die zeigen sich bekanntlich unwillig, im Internet für Informationen zu bezahlen), sondern an Unternehmen. Sie brauchen in zunehmendem Maße attraktiven, zielgruppenorientierten Content für ihre Internetseiten. Das dient der Kundenbindung und soll aus Besuchern der Webseiten Käufer machen. Gleichzeitig fragen Unternehmen verstärkt journalistische Inhalte nach, um Mitarbeiter über Intranets und Geschäftspartner über Extranets mit Informationen zu versorgen.
Unternehmen müssen Medieninhalte kaufen
Dies sind nur einige von 28 Hypothesen der Studie „Content Syndication – wie das Internet die Wertschöpfung der Medien verändert“, die von der international tätigen Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers gefördert und im August 2001 veröffentlicht wurde (Download als PDF-Datei bei http://www.pwcglobal.de). Zwar kann die Untersuchung von Ingo Kohlschein vom Fachbereich Kommunikationswissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München keine Repräsentativität beanspruchen, höchst interessant ist sie trotzdem.
Denn der Diplom-Journalist entwickelt seine Hypothesen aus leitfadengestützten Interviews mit einem Dutzend Medien- und Internet-Experten im Frühjahr 2001, zu denen neben zwei Medien-Wissenschaftlern die gegenwärtigen „Macher“ im Bereich Content Syndication gehören: So haben die Nachrichtenagenturen dpa, ddp und Reuters sowie die Verlage Tomorrow Internet AG (Verlagsgruppe Milchstraße, siehe Artikel zur Fusion mit Focus Digital in der letzten Ausgabe) und die „Financial Times Deutschland“ das neue Geschäftsfeld bereits erschlossen. Noch in der Aufbauphase befinden sich die Verlage Burda und Axel Springer. Die Kirch New Media AG wird voraussichtlich im Jahr 2002 mit digitalisierten Audio- und Video-Inhalten an den Markt gehen. Befragt wurden außerdem die Content-Broker 4Content, ScreamingMedia und iSyndicate Europe.
Bis 2003 sind alle großen Medienunternehmen dabei
Nach Meinung der Experten werden bis 2003 fast alle großen Medienunternehmen in der Content Syndication aktiv sein. Denn wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – mit Umsatzeinbußen. Das gilt laut Studie in gleicher Weise für alle klassischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sowie mittelfristig für Rundfunkunternehmen – bei steigender Nachfrage nach Audio- und Video-Angeboten durch den Ausbau der Breitband-Internetzugänge.
Durch den „Besitz vieler Verwertungsrechte“ werden sie eine „zentrale Rolle“ in der Content Syndication spielen. Dazu müssen zunächst die Urheber- und Verwertungsrechte geklärt sein. Dieser Prozess wird derzeit von den großen Verlagshäusern forciert, in dem sie von freien Journalisten die Übertragung nahezu aller Nutzungsrechte – natürlich ohne zusätzliche Vergütung – verlangen (M berichtete mehrfach).
Außerdem müssen alle Content-Anbieter ihre Produktionsabläufe von Grund auf umstellen und eine Reihe neuer Aufgabengebiete bewältigen, sagen die Experten: Inhalte werden mit einem Index versehen und katalogisiert (Metadaten). Informationen müssen formatiert und mit Rechercheattributen ausgestattet sein. Über ein digitales Content- und Rechtemanagement müssen letztendlich die Distributionsprozesse unterstützt und der Schutz der Urheberrechte gesichert werden.
Konzentration und Übernahmen: Nur wenige große Content-Anbieter
Nach Ansicht aller Befragten wird sich im Geschäftsfeld Content Syndication „eine starke Anbieterkonzentration herausbilden. Gründe sind die enormen Größen- und Verbundeffekte sowie die starke Konkurrenz im Markt.“ Folgendes Szenario, das hier nur sehr verkürzt dargestellt werden kann, wird von den Experten prognostiziert:
- Für Medienunternehmen wird die Content Syndication zu einem neuen Vertriebskanal ihrer Inhalte. Dabei werden die bisherigen Partner, Verlage und Nachrichtenagenturen auf dem Nachrichtenmarkt zu Konkurrenten, auf dem sich letztere behaupten dürften. Für die Verlage, Hörfunk- und Fernsehunternehmen bleibt das Angebot einzigartiger Inhalte – wie Analysen, Hintergrundberichte, Porträts und Features. Erfolgreich werden diejenigen Anbieter sein, denen es gelingt, mit individuellen Angeboten auf die Bedürfnisse von Nachfragern aus verschiedenen Bereichen (Unternehmen, Internet-Portale, Online-Dienste) zu reagieren und auch Formate wie Bild, Audio oder Video in ihrem Angebot zu berücksichtigen und miteinander zu verknüpfen.
- Von den Content Brokern werden sich – nach der Aufbauphase und erfolgter Übernahme oder Ausscheiden kleiner Broker vom Markt – mittelfristig in Deutschland lediglich zwei bis drei große unabhängige Broker mit einem umfassenden Inhalte-Portfolio etablieren. Sie betreiben das „Massengeschäft mit mittel- und geringwertigen Inhalten“. Sie erwerben Inhalte von Produzenten, standardisieren die Informationsformate und vermitteln diese gegen Provision an Abnehmer. Durch die standardisierten Formate können Inhalte unkompliziert, schnell und damit kostengünstig in die Internet-Auftritte der Kunden eingebunden werden. Daneben werden sich in Nischen kleinere Anbieter für spezielle Themen- und Fachgebiete etablieren.
- Einige Anbieter verändern die Inhalte entsprechend der Wünsche ihrer Kunden und stellen so maßgeschneiderte Lösungen her. Diesen auch als Customizing bezeichneten Geschäftsbereich könnten Multimedia-Agenturen besetzen – und dabei trotz geringen Marktanteils ein lukratives Geschäft machen.
Auf Grund der komplexen Aufgaben werden viele Anbieter Kooperationen eingehen oder Netzwerke gründen müssen, um eigene Kompetenz- oder Produktlücken zu schließen. Jedoch werden dauerhaft nur einige große Anbieter den Markt beherrschen.
Information wird zur Ware – Journalisten kundenorientiert
Die zunehmende Digitalisierung journalistischer Inhalte, die je nach Zielgruppe informations-, unterhaltungs- oder serviceorientiert sind, begünstigt ihre Mehrfachverwertung. So ist es möglich, die von Journalisten und Redaktionen für Zeitungen oder Sendeprogramme zusammengestellten Informationspakete in ihre Einzelteile zu zerlegen und diese dann nach Wunsch der jeweiligen Abnehmer neu zusammenzustellen. Damit Information für Medienunternehmen zur profitablen Handelsware wird, sind nach der Experteneinschätzung individuell auf die Kunden angepasste Lösungen notwendig. Solche Angebote erfordern nicht nur einen enormen Beratungsaufwand und neue Softwarelösungen (Redaktionssysteme – siehe nebenstehenden Artikel), sondern auch ein neues „journalistisches Selbstverständnis“.
„Journalisten sollten sich als Informationsproduzenten verstehen, die Inhalte auf die Bedürfnisse der Nutzer hin produzieren“, heißt es in der Studie. Dabei gehe es nicht um die Vernachlässigung der publizistischen Funktionen oder die Abdeckung aller Medienformate, sondern um einer stärkeren Orientierung von Journalisten und Redaktionen an den Interessen der „Endkunden“.
Alle Experten gehen davon aus, dass sich „die Kommerzialisierung der Medien und der Widerspruch von ökonomischen Zwängen und gesellschaftlichen Funktionen des Journalismus verstärken“ wird. Gleichzeitig sind sie sich jedoch einig, dass die Unabhängigkeit der Redaktionen gewahrt bleiben muss. Dabei geht es weniger um hehre Motive als um den zu erwartenden Gewinn. Denn, so wird in der folgenden Hypothese ausgeführt, schon heute seien Geschäftskunden bereits bereit, mehr zu zahlen, wenn ein bekannter Markenname für die Qualität der Informationen bürgt.