Englische Lokalzeitung ignoriert Tätersuche

Das Social-Media-Foto des Denkmalsturzes vom 7. Juni wurde von Reuters verbreitet. Foto: Keir Gravil via Reuters

Nachdem Anfang Juni im Rahmen von Black-Lives-Matter-Protesten die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston von Demonstrant*innen ins Meer gekippt wurde, sucht die Polizei in der englischen Hafenstadt Bristol nach den Täter*innen. Doch die Lokalzeitung „Bristol Post“ spielt nicht mit und verweigert die Veröffentlichung von Fahndungsfotos.

Es ist in Großbritannien ein regelmäßiger Vorgang: Kommt es in einer Stadt zu Ausschreitungen, veröffentlicht die Polizei im Anschluss Fahndungsfotos. Diese stammen in der Regel von Aufnahmen der in Großbritannien allgegenwärtigen Sicherheitskameras. Gerne werden in einem solchen Fall die örtlichen Lokalzeitungen als Multiplikatoren herangezogen. Auf den Titelseiten stehen dann ganze Galerien im Großformat. Im großen Stil geschah dies zum Beispiel während der Jugendaufstände im August 2011, die damals zahlreiche Städte Englands ergriffen.

In Bristol hat die Polizei nun 18 Fahndungsfotos von Personen veröffentlicht, denen vorgeworfen wird, während der jüngsten antirassistischen Proteste die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston vom Sockel geholt zu haben. Rund um diese Statue gibt es in der Stadt bereits seit Jahren heftige Kontroversen. Laut einer Umfrage der Lokalzeitung „Bristol Post“, an welcher 10.500 Menschen teilnahmen, ist über die Hälfte der Stadtbevölkerung gegen eine gerichtliche Bestrafung der an der Aktion Beteiligten.

In einem Leitartikel vom 22. Juni kommentierte Chefredakteur Mike Norton: „Wir stimmen nicht damit überein, die Aktionen dieser jungen Leute auf einen einfachen Akt krimineller Zerstörung zu reduzieren, während dessen komplexer Kontext und seine Geschichte ignoriert wird.“ Und weiter: „Wir glauben, dass die Mehrheit der Einwohner Bristols akzeptiert, dass die Jahre der Frustration und Beleidigung durch die Existenz dieser Statue mildernde Umstände für die Ereignisse von vor zwei Wochen darstellen.“ Deshalb werde die „Bristol Post“ weder in der Print- noch der Online-Ausgabe die Fotos der Polizei abdrucken.

Es sei „unklar“, woher die Polizei die Bilder habe und wer die Urheberrechte für diese besitze, sagt Mike Jempson, ein Mitglied des Ethikrats der britischen Journalistengewerkschaft NUJ aus Bristol. „Es ist auch unklar, wie die Polizei an die Fotos gelangt ist.“ Neu sei diese Problematik nicht. „Als es noch keine Digitalkameras gab, musste die Gewerkschaft sicherstellen, dass Fotograf*innen ihre Negative an sicheren Orten im Ausland verstecken, um zu verhindern, dass ihre Bilder von der Polizei zur Verfolgung von Demonstrant*innen verwendet werden.“

Chris Frost, der Vorsitzende des Ethikrats, ergänzt: „Wir haben als Gewerkschaft keine spezifischen Richtlinien für einen solchen Fall und würden generell die Entscheidung in der Hand der Chefredaktion belassen.“ Eine Veröffentlichung von Fahndungsfotos sei seiner Ansicht nach nur akzeptabel, „wenn eine Gefahr für andere Menschen besteht oder es um ein extrem schweres Gewaltverbrechen geht. Im vorliegenden Fall denke ich, dass wir die Entscheidung der ‚Bristol Post‘ befürworten würden und sollten.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »