Entdecke die Möglichkeiten!

Tina Groll, Vorsitzende des dju-Bundesvorstandes in ver.di
Foto: Kay Herschelmann

Diversity – ein Gewerkschaftsthema? Fragen an Tina Groll, Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di

Die Vielfalt in der Gesellschaft muss sich in der Berichterstattung, aber auch in den Redaktionen widerspiegeln. Closed Shop war gestern. Doch schaffen die Frauenquote bei der taz, Tagesschau-Sprecherinnen mit Migrationshintergrund und Mentoringprogramme schon genügend interkulturelle Kompetenz? Wie die Vielfalt fördern? Und wie sieht es mit mehr Beteiligung in der Gewerkschaft selbst aus?

M |Unsere Gesellschaft ist bunt. Niemand soll unsichtbar sein oder gar diskriminiert werden. Das haben die Medien abzubilden. Aber es sollte sich auch innerhalb der Medien widerspiegeln. Ist das gewerkschaftlicher Konsens?

Tina Groll | Für die dju gehört das Thema Vielfalt eigentlich seit Gründung zum demokratischen Selbstverständnis. Auch die Namensschärfung in Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di bekräftigte dieses „Mission Statement“. Doch die Debatte, dass die gewerkschaftliche Organisation und dass auch die Redaktionen noch vielfältiger hinsichtlich aller gesellschaftlichen Gruppen werden müssen und dass wir Engagement von Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichen Wurzeln brauchen, die ist wahrscheinlich erst in den letzten zehn Jahren auf breiter Basis entfacht.

Selbst die Wirtschaft hat das Thema Vielfalt entdeckt, betreibt „Diversity Management“. Personelle Vielfalt zum Nutzen von Unternehmen…

Ich glaube nicht, dass wir uns diese Sicht zu eigen machen sollten. Diversity Management ist für mich eine Strategie aus den Nuller Jahren, die dann zwar auch mit Forderungen wie „Frauen in die Aufsichtsräte!“ verbunden wurde und einiges in Bewegung gebracht hat. Sie ermöglicht vielleicht ein Minimum an Verständigung zwischen den Sozialpartnern, nicht mehr. Eine gleichberechtigte Teilhabe aller sozialen Bevölkerungsgruppen zu fordern und durchzusetzen, ist für mich dagegen ein zutiefst gewerkschaftlicher Ansatz. Es geht um gleichen Zugang, um Beteiligung, um den Kampf um Ressourcen und darum, sie in der Gesellschaft gerecht zu verteilen.

Gesellschaftliche Vielfalt wird inzwischen in vielen Dimensionen gemessen – von Alter über Nationalität, Geschlecht, sexuelle Orientierung bis zur sozialen Herkunft. In journalistischer Berichterstattung gilt es diese Facetten zu beleuchten. Doch müssten, wegen ihres öffentlichen Auftrags und ihrer Ausstrahlung, für die Medien nicht sogar gesellschaftlich-soziale Dimensionen übergeordnet sein – solche wie Glaubwürdigkeit, Gerechtigkeit, Chancengleichheit?

Ja, das hat mit der Frage zu tun, welche Aufgabe Journalismus zu erfüllen hat. Er bildet natürlich auch die Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft ab. In der Genderdebatte zum Beispiel haben wir deutlich gesehen, dass Medien beitragen, tradierte Rollenbilder eben nicht zu hinterfragen, sondern immer neu zu vermitteln und damit aufrechtzuerhalten.

Auch jetzt sollten wir fragen: Wie findet Berichterstattung über welche Bevölkerungsgruppen statt, wer wird als handelnde Person gezeigt, wer wird eher als passives Objekt gesehen oder wer kommt überhaupt nicht vor? Dann zeigt sich: Noch immer werden Frauen viel seltener als Akteure denn als Objekte von Berichterstattung gezeigt, noch immer haben sie weniger Führungspositionen in den Medien inne. Das Gleiche sehen wir bei Personen mit Migrationserfahrung in der Biografie. Frauen, die ein Kopftuch tragen, Musliminnen, begegnen uns eher als Opfer, denn als Handelnde. All das trägt klar zur Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse bei, in denen Stereotype bedient und reproduziert werden.

Das gilt auch nach innen: Ich beobachte selbst, dass Redaktionen auch als eingespieltes soziales Milieu funktionieren, wo es für unangepasste junge Talente schwierig ist, überhaupt reinzukommen und Andockmöglichkeiten zu finden. Bei Karrieremustern und Aufstiegsmöglichkeiten setzt sich das fort. Da geht es immer noch um bestimmte kulturelle Traditionen und sehr viel um Habitus. Schauen wir doch mal: Wie viele Ostdeutsche gibt es in gehobenen redaktionellen Positionen, wie viele Frauen, wie viele Menschen mit Fluchterfahrung, wie viele mit Behinderung?

Ist die Journalist*innen-Gewerkschaft davor denn gefeit?

Gar nicht. Wir müssen selbstkritisch einschätzen, dass wir als Organisation für viele Gruppen lange Zeit nicht gut erreichbar waren. Wir müssen uns noch mehr öffnen und anschlussfähiger werden und selber total durchlässig. Nur so können wir als Journalistinnen- und Journalisten-Union ein wichtiger Player und Kooperationspartner in Sachen Vielfalt sein.

Instrumente für Veränderung sind Rankings und vor allem eine Quote…

Rankings machen das Problem überhaupt offenbar. Vor diesem Hintergrund haben sich wichtige Interessenverbände wie ProQuote Medien oder Neue deutsche Medienmacher*innen (NdM) gegründet. Und die haben erst einmal für Zahlen gesorgt. ProQuote gibt es seit fast zehn Jahren, seither wurde viel Bewusstsein für das Problem geschaffen. Ähnlich wirkten die Flüchtlingskrise, „MeToo“ oder jetzt die Debatte um die gendergerechte Sprache. Alles sind Indikatoren dafür, dass der Zeitgeist irgendwie doch erreicht ist. Nun muss man organisatorisch-institutionell nachschärfen.

Passiert denn da gerade in den Redaktionen etwas?

Viele Redaktionen schauen in der Ausbildung – da, wo es nicht so viel kostet – darauf, sich divers zu öffnen. Zum Beispiel mit Praktikumsprogrammen, die kein Abitur mehr fordern, um Quereinsteigern mit anderen Bildungswegen oder Geflüchteten eine Chance zu geben. Mein Eindruck ist allerdings: verstetigt hat sich da bisher wenig, mitunter sind das auch Feigenblattaktionen. Für mehr Veränderung sorgt eher die gendergerechte Sprache.

Wirklich?

Ich beobachte dort, wo solche Prozesse von der Verlags- oder Senderspitze über Chefredaktionen mitgetragen und wirklich gelebt werden, dass schon nach wenigen Monaten Bewusstseinsveränderung unter den Journalist*innen stattfindet und tatsächlich anders gesprochen wird. Das entfaltet dann die Wirkkraft nach außen, die wir gerade beobachten. Es wird normaler, vielfältig zu denken.

Was kann man im Berufsalltag noch tun?

Institutionen und Organisationen wie ProQuote Medien oder NdM unterstützen und stärken. Das beginnt damit, sie einzuladen und zu Wort kommen zu lassen, sei es im Volontärsprogramm oder bei Redaktionskonferenzen. Das lohnt sich. Auch Mentoringprogramme, an denen sich die dju ja beteiligt, sind ein guter Weg. Ich finde, selbst der professionelle Austausch auf Twitter – jenseits bloßer Empörungswellen – kann helfen, den Blick auf Entwicklungen zu schärfen. Es geht darum, etwas zu verändern. Darauf zielen letztlich auch die Quoten ab.

Wenn sie ein Allheilmittel wären, müssten verschiedenste Minderheiten auch ihre Quote fordern…

Freilich sollte man nicht übertreiben. Ich finde, es ist schon viel damit geholfen, das Bewusstsein für Diversität zu schärfen und bei den Geschlechtern eine Quote einzuführen – weil Frauen und Männer keine Minderheiten sind, sondern es hier nur um echte Gleichberechtigung und Parität geht.

Und medienintern?

Redaktionen sollten so vielfältig wie möglich sein. Das bedeutet für mich auch: intern kritische Stimmen zuzulassen, sich selber als Organisation und die eigenen Hierarchien in Frage zu stellen. Das halte ich für in hohem Maße gewerkschaftlich: ein kritisches Betriebsklima zu schaffen, das Selbstreflektion durch die Beschäftigten gestattet. Dann fragt sich auch, wie es sein kann, dass meist nur Akademiker aus der Mittelschicht eine Chance haben aufzusteigen. Und falls es Frauen gelingt, dann sind es – wie eine Studie von ProQuote Medien gerade feststellt – weiße, akademisch gebildete westdeutsche Kinderlose ohne Migrationserfahrung …

Selbstverpflichtungen oder Redaktionsstatute sind auch ein Weg…

Redaktionsstatute sind wichtig. Sie beschreiben die eigene Leitkultur, der man sich verpflichtet fühlt. Wenn da Vielfalt postuliert wird, ist das ein wichtiges ethisches Moment. Wir wollen vielfältig sein und die Vielfalt dieser Welt auch in unserer Berichterstattung abbilden – das wäre ein gemeinsamer Wert. Das hat mit Zielen und Visionen zu tun. Und gemeinsame Werte, das zeigt Corona ja ganz klar, haben große praktische Bedeutung. Da sehe ich auch Verlagshäuser und Chefredaktionen in der Pflicht.

Ganz wesentlich ist aber, dass solche Debatten auch aus dem Bauch der Redaktionen selbst kommen, Veränderung muss gewünscht sein. Mein Eindruck ist, dass sich mit der jüngeren Generation, den Unter-Dreißigjährigen, schon viel tut. Ob queer, non-binär, People of colour, damit wird viel selbstverständlicher umgegangen. Damit sich solche Haltungen verbreiten und nicht einseitig von oben durchgesetzt werden, ist es sinnvoll, Redaktions-und Mentoring-Teams gut zu mischen. Team-Tage, wo Austausch gewollt ist und verschiedene Sichten wirklich reflektiert werden können, sind auch eine Möglichkeit. Aber vielleicht muss man auch noch mal neu und größer denken: Könnten nicht auch Organe wie der Deutsche Presserat zusätzlich Diskussionen anstoßen und Maßstäbe setzen?

Über all das sollte auch die dju nachdenken und aktiv werden?

Das betrifft die Arbeitswelten, die wir als Gewerkschaft natürlich auch gestalten wollen, wo Dinge ausprobiert, neue Ideen entwickelt und mehr Beteiligung erreicht werden sollten. Dann können Kolleginnen und Kollegen motiviert werden, sich selbst für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen.

Und dann gibt es noch ganz originäre gewerkschaftliche Handlungsfelder, wo Vielfalt stärker in den Blick genommen werden könnte, Tarifarbeit etwa?

Unbedingt! Wenn ich mir unsere gegenwärtigen Tarifstrukturen ansehe, da kann ich nur sagen: Entdecke die Möglichkeiten! In vieler Hinsicht müssen wir komplett anders denken. Die Zeiten, da selbst in Haustarifverhandlungen 80 Prozent der Frauen quasi von der Debatte abgeschnitten waren, weil Mitgliederversammlung und Kinderbetreuung überlappten, die müssen überwunden werden. Die Pandemie hat neue technische Wege gezeigt. Wir müssen unsere Mitglieder viel mehr befragen, niedrigschwellig und offen sein. Dass wir Rechtsschutz im Fall von Diskriminierung gewähren, das ist so und bleibt so, ganz klar. Doch die Bilder etwa, die wir als Gewerkschaft verbreiten – Menschen in gelben Warnwesten – sind schon zu hinterfragen. Können wir Menschen unterschiedlicher Herkunft, speziell Frauen, Jüngere und Migrant*innen, damit wirklich abholen? Klar, Gewerkschaft braucht Mitgliedschaft und Engagement. Doch aktuell müssen wir auch der Brüchigkeit der Beschäftigungsverhältnisse Rechnung tragen, noch viel besser hinhören und reale Möglichkeiten von Beteiligung nutzen. Nur so geht Vielfalt.

 

 

 

 

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