Die Europäische Kommission hat am 11. Mai einen Entwurf zur Regulierung von Plattformen und Chatnachrichtendienstanbietern veröffentlicht, um den sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung entsprechenden Bild- und Videomaterials zu bekämpfen. Reporter ohne Grenzen (RSF) ist angesichts einer möglichen verdachtsunabhängigen Überwachung vertraulicher Kommunikation „alarmiert“.
Die EU-Kommission schlage hierzu drastische Maßnahmen vor, heißt es bei RSF: Messenger-Anwendungen sollten verpflichtet werden, sämtliche Kommunikationen automatisiert nach Missbrauchsdarstellungen und verdächtigen Nachrichtentexten zu durchsuchen. Auch verschlüsselte Messenger würden nicht vom Geltungsbereich ausgenommen. Damit werde die Grundlage vertraulicher Kommunikation im Arbeitsalltag von Journalistinnen und Journalisten angegriffen. „Die Forderung, vertrauliche Nachrichteninhalte auf den Geräten zu scannen, kommt einem Verbot vertraulicher Kommunikation gleich. Der Vorschlag missachtet zahlreiche Grundrechte und steht dem erklärten Ziel der EU-Kommission, Medienschaffende effektiver zu schützen, fundamental entgegen“, erklärte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
Für Journalistinnen und Journalisten, die ihre Quellen schützen müssen, stellten verschlüsselte Nachrichtendienste unverzichtbare Werkzeuge im digitalen Alltag dar. Insbesondere in autokratischen Staaten würden sie unabhängigen Medienschaffenden und deren Quellen essentiellen Schutz vor Überwachung und Verfolgung gewähren. „RSF fordert deshalb, verschlüsselte Kommunikation in der EU und weltweit zu fördern, statt sie durch einen solchen Überwachungszwang zu gefährden.“
Mehr bei RSF: Meldung | Reporter ohne Grenzen für Informationsfreiheit (reporter-ohne-grenzen.de)
In der Regierung sei man sich bisher uneins über die Chatkontrolle, heißt es auf Golem.de. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) habe den Entwurf unmittelbar nach dessen Vorstellung ausdrücklich begrüßt. Vor allem die FDP-geführten Ministerien für Justiz und Digitales hätten skeptisch reagiert. Das von Volker Wissing (FDP) geleitete Digitalministerium twitterte am 15. Mai: „Kinder müssen wirksam vor Missbrauch im Netz geschützt werden. Gleichzeitig darf es nicht zu einer anlasslosen Kontrolle privater Kommunikation kommen.“ Das Ministerium werde „darauf hinwirken, deutlich zielgerichteter vorzugehen“.
Das Justizministerium teilte auf Anfrage von Golem.de mit, es prüfe den Entwurf „derzeit kritisch“, gerade auch mit Blick auf die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele. „Diese Prüfung dauert zurzeit noch an“, sagte eine Sprecherin von Justizminister Marco Buschmann (FDP) am 16. Mai.
Update am 18. Mai 2022
Innenministerin Faeser muss Massenüberwachung verhindern
Mehr als 113.000 Menschen unterstützen den Appell “Chat-Überwachung stoppen”
Liebesnachrichten, Urlaubsfotos, Familien-Chats – bislang sind solche Messenger-Nachrichten oft durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vor dem Zugriff Dritter geschützt. Das könnte sich bald ändern. Im Kampf gegen Kindesmissbrauch schlägt die EU-Kommission nun u.a. vor, dass Diensteanbieter die Kommunikation umfassend und ohne Anlass durchleuchten und problematische Inhalte direkt an eine zentrale Stelle weiterleiten sollen. In einem Appell fordert ein zivilgesellschaftliches Bündnis, bestehend aus Digitalcourage, Digitale Freiheit, Digitale Gesellschaft und Campact, Innenministerin Faeser auf, diese anlasslose Massenüberwachung im EU-Ministerrat zu verhindern und stattdessen für echten Schutz von Kindern zu sorgen. Mehr als 113.000 Menschen haben diese Forderung bereits unterschrieben, heißt es in einer Pressemitteilung von Digitalcourage.
Den Appell “Chat-Überwachung stoppen” finden Sie hier:
https://aktion.campact.de/datenschutz/chatkontrolle-stoppen/teilnehmen