Fair Festivals: Noch ein langer Weg

Am 13. Februar liefen die Vorbereitungen der Berlinale auf Hochtouren: Industriekletterer befestigen das Logo des Filmfestivals am Kino Zoo Palast. Foto: Britta Pedersen/dpa

Zu einem „Active Talk Event“ ins Berlinale-Kino CinemaxX am Potsdamer Platz hatte gestern die Gruppe Festivalarbeit in ver.di geladen. Gemeinsam mit den Gästen und einem internationalen Publikum wurde über die Arbeitsbedingungen auf Filmfestivals diskutiert. Auf dem Podium saß auch Berlinale-Administration Managerin Adrienne Boros. Fazit: Es beginnt sich etwas zu bewegen, Ideen sind da – aber gemacht ist nur ein Anfang.

Und selbst bis zu diesem Anfang war es ein mühsamer Weg, berichtete Mitgründerin Grit Lemke von der Entstehung der Initiative Festivalarbeit. Ausgangspunkt sei ihre persönliche Erfahrung gewesen. Denn als sie nach mehr als 20 Jahren als freie Festivalarbeiterin in eine Festanstellung wechselte, sei ihr erstmals klargeworden, in welcher prekären Situation sie sich vorher befunden habe. Die Mehrheit der Festivalarbeiter_innen seien Freelancer, einen Dachverband als Interessenvertretung gab es nicht und selbst als Festangestellte sei es ihr aufgrund ihrer Befristung nicht möglich gewesen, einen Betriebsrat zu gründen. Diese Überlegungen habe sie auf der Berlinale 2016 mit Ludwig Sporrer vom DOK.fest München geteilt. Beide beschlossen, etwas zu unternehmen und holten sich auch die ebenso begeisterte Andrea Kuhn, Festivaldirektorin des Festivals der Menschenrechte Nürnberg, mit ins Boot. Die Initiator_innen, zu denen dann auch noch Alexandra Hertwig vom Kasseler Dokfest gehörte, starteten einen Aufruf auf Facebook, der auf unglaubliche Resonanz gestoßen sei, erzählte Lemke. Kurz darauf habe ver.di ihre Unterstützung angeboten und es kam im November 2016 zu einem ersten Vernetzungstreffen in Leipzig. Die dominierende Diskussion sei von nun an gewesen, ob man einen Verband gründen oder unter das Dach von ver.di schlüpfen wolle. Denn, so gab ver.di-Mitglied Lemke zu, besonders unter den jüngeren Kolleg_innen habe die Gewerkschaft nicht den besten Ruf. Eine Online-Abstimmung unter den Festivalarbeiter_innen führte jedoch schließlich zum Entschluss für ver.di. Schlagende Argumente seien die Infrastruktur der Gewerkschaft gewesen, aber auch ihre Verhandlungsfähigkeit. Außerdem, so ergänzte Skadi Loist, Moderatorin der Podiumsdiskussion und ebenfalls in der Gruppe Festivalarbeit aktiv, seien die Festivalarbeiter_innen Teil einer größeren Entwicklung des Umbruchs in der Kreativwirtschaft und damit bei ver.di am besten aufgehoben.

Im Kino 4 des Cinemaxx am Potsdamer Platz diskutierten (v.l.n.r) Skadi Loist, Grit Lemke, Daniel Ebner vom Forum österreichischer Filmfestivals (FÖFF), Adrienne Boros
Foto: Andrea Kuhn

Filmfestivals: Standortfaktoren und Motor der Filmindustrie

Filmfestivals sind heute bedeutende Standortfaktoren und spülen viel zusätzliches Geld in die Kassen der Kommunen. Außerdem bieten sie den Rahmen für den wohl wichtigsten Teil des Filmvertriebs, sind damit Motoren der Filmindustrie. Diese Rolle äußere sich allerdings nicht in der finanziellen Wertschätzung der Kreativen, die diese Festivals auf die Beine stellen, so der Vorwurf der Festivalarbeiter_innen. In der Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich, dass die meisten Filmfestivals als ehrenamtlich organisierte Veranstaltungen starten. Bezahlt wird dort kaum jemand. Auf kleineren Festivals herrschen zumeist atypische Verträge vor. Werden diese dann allerdings professionalisiert, dann nur, was die programmliche Qualität betrifft, Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Beschäftigten bleiben bei dieser Entwicklung völlig außen vor.

Festivalförderung: Sozialverträglichkeit als Kriterium etablieren

Eine Schlüsselrolle spielen hierbei die Festivalförderinstitutionen. Förderungen für Filmfestivals sind zum allergrößten Teil projektbezogen. Das Problem, so Lemke: Damit wird nur das Programm gefördert, nicht aber die Kosten für qualifiziertes Personal. Deshalb müsse auch die Politik umdenken, fordern Lemke und ihre Mitstreiter_innen der Gruppe Festivalarbeit in ver.di. Faire Bezahlung sei als Kriterium in die Festivalförderung aufzunehmen, dabei müsse jedoch auch auf die Bezahlung der Freelancer geachtet werden, nicht nur auf die der Angestellten. Ähnliche Bestrebungen gebe es bereits bei der Filmförderung.

Vorbild Berlinale?

Als öffentlich finanziertes Filmfestival sind bei der Berlinale 95 Prozent der Mitarbeiter_innen mit einem Vertrag nach dem Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVÖD) angestellt, konnte dagegen Administration Managerin Adrienne Boros versichern. Trotzdem sei es schwierig die Leute zu halten, es herrsche großer Konkurrenzdruck mit der Filmindustrie. Ein Grund dafür sei, so ein Einwurf aus dem Publikum, dass die Eingruppierung zumeist in die niedrigste Stufe erfolge. Das konnte auch Lemke bestätigen, der nach 20 Jahren als Freelancerin im gleichen Job eine Stelle in der Stufe als Berufseinsteigerin angeboten worden war. Auch das verstehen die Festivalarbeiter_innen unter Wertschätzung und fairen Arbeitsbedingungen: Eine der Qualifikation angemessene Entlohnung, ob als Festangestellte oder Freie. Ein Großteil von ihnen verfügt über einen akademischen Abschluss, Lemke selbst hat in Europäischer Ethnologie promoviert.

Die Agenda

Der erste Schritt sei getan, freute sich Lemke, nun gelte es die Initiative Festivalarbeit bekannter zu machen, nationale und europäische Netzwerke zu bilden sowie in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die prekären und oft katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Branche zu schaffen. Dann werde auch die Politik auf das Thema aufmerksam werden. Nächste Aufgabe sei mit Hilfe von ver.di die Erhebung von Vergleichsdaten, was gezahlte Honorare betrifft. Diese sollen den Festivalarbeiter_innen als Argumentationsbasis für ihre Verhandlungen dienen. Denn ein solches Instrument fehle bisher völlig, die Honorare seien von Festival zu Festival sehr unterschiedlich, mit teilweise enormen Spannen. Über Geld spreche man in der Branche jedoch nicht. Das führe zu Unwissen und damit zu einer schlechten Verhandlungsposition der Kreativen.

Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen, in jedem Fall steht künftig politische Lobbyarbeit auf dem Plan, in Deutschland und bei der EU. Und vielleicht, so eine Idee von Lemke und Sporrer, könne man dann ja irgendwann mal einen Fair Festival Award für das Filmfestival mit den fairsten Arbeitsbedingungen verleihen. Ganz nach dem Vorbild des Fair Film Awards für die fairste Filmproduktion, der vergangene Woche in der Berliner Kulturbrauerei vergeben wurde.


Mehr Informationen zur Gruppe Festivalarbeit in ver.di auf der Website https://festivalarbeit.verdi.de/

Videostream der Podiumsdiskussion (Diskussionssprache ist englisch): https://youtu.be/-Tgt-bWYRqw

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