Zeitungs- und Zeitschriftenverlage und ihre Verbände sorgen sich in Zeiten von Corona um den Vertrieb ihrer Publikationen. Unter Hinweis auf ihre Systemrelevanz wird schnelle und unbürokratische staatliche Unterstützung eingefordert. In einigen Medienhäusern wird über Kurzarbeit nachgedacht. Gleichzeitig warten viele Verlage und Redaktionen trotz teilweise prekärer Arbeitsbedingungen mit einer phantasievollen Krisenberichterstattung auf.
Die „zum Schutz vor einer Ausbreitung des Corona-Virus notwendigen Maßnahmen“ dürften „nicht zu einer Einschränkung der Berichterstattung durch die Medien führen“, mahnt der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in einem Appell an die Bundesregierung. Er begrüße daher die „bürgernahe und richtige Entscheidung“, die Zeitungsverkaufsstellen wie z.B. Kioske von der Liste zu schließender Einrichtungen auszunehmen. „Mit ihren verlässlichen Informationen seien gedruckte und digitale Zeitungsangebote ein „wichtiger Stützpfeiler im Kampf gegen Falschinformationen und Panikmache“, so BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff.
Einzelne BDZV-Landesverbände bereiten ihre Leserschaft vorsorglich schon mal auf eine Ausdünnung der Inhalte vor. „Wenn das Leben reduziert ist, werden auch die Zeitungsteile reduziert, die über das Leben berichten“, erklärt etwa der Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger. Angesichts der Absage fast aller Veranstaltungen gebe es zu diesen Terminen folgerichtig auch keine Berichterstattung. Die „Stuttgarter Zeitung“ erscheint neuerdings mit einem auf zwei Seiten geschrumpften Sportteil. Die „Stuttgarter Nachrichten“ kündigten an, ihre Terminseiten bis auf Weiteres auszusetzen.
Durch die wirtschaftliche Schieflage der lokalen und regionalen Verlage „droht im Lokalen die redaktionelle Berichterstattung wegzubrechen“, fürchtet auch der Verband Deutscher Lokalzeitungen (VDL), ein Zusammenschluss von 80 kleineren und mittleren Tageszeitungen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „die ohnehin bereits im Bundeshaushalt eingestellten Mittel zur Vertriebsförderung – ohne Wenn und Aber – nun unverzüglich zur Auszahlung an die Zeitungsverlage freizugeben“, so VDL-Geschäftsführer Martin Wieske.
Wie in vielen anderen deutschen Unternehmen werden auch in Zeitungsverlagen die Möglichkeiten der Kurzarbeit geprüft. Die Mitbestimmungsgremien sind gefordert, Betriebsvereinbarungen mit ihren Arbeitgebern abzuschließen. ver.di und der DGB stehen mit Rat und Tat an der Seite der Betriebs-und Personalräte und beraten Beschäftigte über ihre Rechte in der Corona-Krise.
Relevanz von Blödsinn unterscheiden
Wie gehen die Redaktionen mit der Virus-Krise um? Für „Spiegel“-Chef Steffen Klusmann gehe es darum „Relevanz von Blödsinn“ zu unterscheiden. „Das reine Reportieren von Hiobsbotschaften und Zahlen ist dagegen wenig nachhaltig“, sagte Klusmann dem Branchenblatt „Horizont“. Sowohl in Print als auch Online zählten vor allem „nach vorne gerichtete Analysen und Einordnung“. Im Netz funktioniert dieses Rezept offenbar: mit 6,9 Millionen Unique Usern rangiert die Site seit kurzem wieder auf Rang 2 der Nachrichtenportale. Aufwändig recherchierte Geschichten wandern allerdings weiter hinter die Bezahlschranke.
Der „Stern“ erschien in dieser Woche bereits am 18. März mit einem 100 Seiten starken Sonderheft. Ein weiteres soll am kommenden Montag folgen. Nach Verlagsangaben soll es „alles Wissenswerte rund um Corona“ bieten inklusive „neueste Erkenntnisse aus der Virologie“ und mögliche „wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen der Krise“. Zugleich ist es ein Gemeinschaftsprodukt der Gruner+Jahr-Redaktionen von „Stern“, „Geo“ und „Capital“. Wie andere Verlage hat auch G+J auf Homeoffice-Modus umgestellt. Ausnahmen erfordern eine Sondergenehmigung. Die Kantine ist geschlossen. Die Aktivitäten des „Stern“ sind Teil der konzernweiten Kampagne „Gemeinsam gegen Corona“, die von den Unternehmen der Bertelsmann Content Alliance betrieben wird. Eingebunden sind die Sender der RTL Group, RTL Radio Deutschland sowie das RTL Radio Center Berlin, um „gemeinsam ein Zeichen im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus“ zu setzen.
Schwierig gestaltet sich der journalistische Alltag, wenn in der Redaktion selbst eine Virusinfektion auftritt. So geschehen bereits vor einer Woche im Axel Springer Verlag und im „Tagesspiegel“, seit dem 18. März auch in der Berliner Zentralredaktion von dpa. Die darauf beschlossenen Maßnahmen: Quarantäne für die nächsten Kontaktpersonen der betroffenen Kollegen, Wechsel aller Mitarbeiter*innen ins Mobile Office, „sofern Ihre Tätigkeit dies erlaubt“, heißt es in einer Mail des Springer-Vorstands an die Belegschaft. Ein umfangreiche Report in eigener Sache beschreibt, wie Corona in den Alltag in der „Tagesspiegel“-Redaktion eingreift.
Immunsystem des Lokaljournalismus ist intakt
Auch in der journalistischen Provinz wird vielfach Beispielhaftes zur Aufklärung über die Virus-Krise geleistet. In seiner soeben begonnenen Auflistung „Viraler Lokaljournalismus“ gibt Christian Lindner, bis 2017 Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“, seit dem 18. März einen periodisch aktualisierten Überblick über lesenswerte Corona-Stücke und -Aktionen in der deutschen Tagespresse. Einige Beispiele: die Audio-Flashbriefings der „Neue Osnabrücker Zeitung“ und der Medienholding Nord, die zweimal täglich die Lage in je 120 Sekunden zusammenfassen. Oder der „Pandemie-Podcast“, den Nordbayern.de, das Portal von „Nürnberger Nachrichten“ und „Nürnberger Kurier“ aus dem Boden gestampft haben. Oder die zweisprachige – deutsch und türkisch – Berichterstattung der „Berliner Zeitung“. Oder die (fast) tägliche Live-Kulturberichterstattung der „Landeszeitung Lüneburg“ aus dem örtlichen Theater. Für Lindner macht diese Liste deutlich: „Das journalistische Immunsystem des deutschen Lokaljournalismus ist intakt.“
Pro und Contra zu Paywalls in Coronazeiten
Unterdessen entspinnt sich eine medienethische Debatte über das Für und Wider von Paywalls in Zeiten von Corona. Ausgelöst wurde sie unter anderem vom Greifswalder „Katapult“-Magazin, dessen Redaktion das Verstecken von virusrelevanten Inhalten hinter der Bezahlschranke als unmoralisch geißelte. Der Fachdienst „Meedia“ ließ zwei Autoren das Pro und Contra abwägen.
Die Pro-Position argumentiert trocken, die Handelsware von Medien seien nun mal Informationen, weshalb sie diese legitimerweise auch digital verkaufen wollten. Andere Geschäftszweige würden ihre Waren in Krisenzeiten schließlich auch nicht gratis abgeben. Zudem hätten die meisten überregionalen und regionalen Medien ihren Informations- und Aufklärungsauftrag in Sachen Corona bislang sehr verantwortungsbewusst erfüllt. Im Übrigen seien die entsprechenden Inhalte bei ARD, ZDF & Co. auf allen Kanälen frei verfügbar. Weshalb die Öffentlich-Rechtlichen möglicherweise „als mediale Gewinner aus der Krise hervorgehen“ würden.
Die Contra-Position fordert demgegenüber das Einreißen der Paywall für Corona-Artikel. Dabei gehe es nicht grundsätzlich um die Frage, ob Verlage IN der Krise Geld verdienen dürfen. Ein Pay-Beitrag in der FAZ über das Investieren in Zeiten des Virus? Warum nicht? Aber ein kostenpflichtiger Liveblog zur aktuellen Infektionslage im Einzugsgebiet des jeweiligen Regionalblatts – wie bei „HAZ“ (Hannover) oder „WAZ“ (Essen)? No way! Motto: „Wenn Medien MIT der Krise Geld verdienen, dann läuft etwas schief.“
Tatsächlich liefert die Debatte en passant vor allem überzeugende Argumente für die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Rahmen des dualen Systems. Gerade die Beitragsfinanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio ist ja die Voraussetzung für eine von kommerziellen Interessen unabhängige Berichterstattung. Egal ob über Unternehmen oder über Pandemien. Das dämmert vereinzelt offenbar auch Vertretern privater Medien. In einem Kommentar für den Redaktionsnachrichtendienst Deutschland (RND) aus dem Hause Madsack über die Qualität der aktuellen öffentlich-rechtlichen Krisenberichterstattung zeigt sich der Autor „sehr froh, dass Christian Drosten und Anja Martini (im Corona-Podcast von NDR Info, d.Red.) mir täglich die Lage zur Pandemie erklären – und nicht Nazan Eckes bei RTL…“ Sein Resümee: „Nie hat sich der gezahlte Rundfunkbeitrag so sinnvoll angefühlt wie in Zeiten von Corona.“ Dem ist wenig hinzuzufügen.
Der M-Medienpodcast: Selbstständigkeit in Zeiten von Corona
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