Ist das Journalismus oder kann das weg?

Peter Freitag, Marisa Becker, Britta Velzke, Eva Brackelmann und Boris Lochthofen (v.l.n.r. ). Foto: Gundula Lasch

„YouTube, Facebook, Instagram & Co. – ist das Journalismus oder kann das weg?“ Unter diesem provokanten Motto hatte der Landesvorstand der dju/Fachgruppe Medien von Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen (SAT) in ver.di den direkten Draht zu den Mitgliedern wiederaufgenommen und zum (hybriden) Medientag nach Leipzig geladen. Knapp 30 ver.di-Mitglieder konnten unter den derzeitigen Corona-Vorschriften direkt bei der Veranstaltung im Hotel Michaelis dabei sein, weitere zehn hatten sich für den Livestream angemeldet und die Möglichkeit, sich über den Chat mit ihren Fragen und Meinungen zu beteiligen.

Nach kurzen Begrüßungsworten vom dju-Landesvorsitzenden Jörg Aberger ging es direkt ins spannende Titelthema. Die illustre Schar von Medienprofis auf dem Podium: Eva Brackelmann, Vizepräsidentin des Medienrates der Sächsischen Landesanstalt für privaten Hörfunk und neue Medien (LSM), Bloggerin Marisa Becker, Boris Lochthofen, Direktor des MDR-Landesfunkhauses Thüringen sowie der stellvertretende dju-Bundesvorsitzende Peter Freitag. Moderiert wurde die Runde von der freien Journalistin Britta Velzke.

Jede*r der Diskutant*innen hatte eine These mitgebracht, die Stoff für spannende Kontroversen lieferte. Auf den ersten Blick standen sich die Einstiegsstatements der Podiumsgäste diametral entgegen: Während SLM-Frau Eva Brackelmann behauptete „Soziale Medien demokratisieren den Journalismus“ und Journalist*innen dazu ermunterte, sich mehr in den sozialen Medien umzuschauen und damit andere Quellen und Themen zu identifizieren, setzte MDR-Chef Boris Lochthofen dagegen: „Soziale Medien zerstören wichtige Institutionen des Journalismus“, denn „sie greifen ein in die Finanzierung von Journalismus, indem sie auf dem digitalen Werbemarkt direkt mit journalistischen Medien konkurrieren und den Markt zu über 90 Prozent beherrschen.“ Gerade dort, wo Journalismus besonders wichtig sei, in der Fläche, in den ländlichen Regionen, sei das ein riesiges Problem, so Lochthofen. „Der Kuchen bleibt gleich groß, wird aber ganz anders verteilt. Das Geld wandert nicht in hiesige Medien, sondern ins Silicon Valley.“

Journalismus kann nur durch Social Media überleben

Bloggerin Marisa Becker brachte ihre Perspektive ein: „Journalismus kann nur durch Social Media überleben – das eine braucht das andere“. Die junge Journalistin bewegt sich auf beiden Feldern: Sie arbeitet für eine Lokalzeitung, betreute vorher den Instagram-Account von FUNK, dem jungen Content-Netzwerk von ARD und ZDF, gründete ihr eigenes Magazin Ekologiska Mag und ist auf Instagram als Influencerin unterwegs. „Wir sind mitten in einer Transformation. Die Frage ist, was wir daraus machen. Natürlich gibt es Risiken, aber auch große Chancen, gerade im Lokalen. Soziale Medien sind gute Marketing-Tools für journalistische Angebote – das sollten wir mehr nutzen.“ In den großen Städten seien Meinungsvielfalt und Spektrum der Informationsmöglichkeiten größer. Die Herausforderung sei, die Menschen in der Fläche zu erreichen und ihnen Angebote zu machen, die sie zu seriösen Informationen führten.

Peter Freitag wollte sich auf eine Kontroverse zwischen journalistischen Angeboten und sozialen Medien auch nicht einlassen. Seine These: „Egal, ob Journalistin, Youtuber oder Blogger – in unserer Gewerkschaft sind alle willkommen.“ Der erfahrene Redakteur setzt darauf „viel mehr zusammen zu arbeiten, anstatt das Trennende zu betonen.“ Der stellvertretende dju-Bundeschef erinnerte daran, dass es die Verleger waren, die vor 15 Jahren die digitale Entwicklung verschlafen und keine praktikablen Konzepte für die Finanzierung von journalistischen Angeboten im Netz entwickelt hätten. „Nur so konnte sich die Gratis-Mentalität entwickeln, die Verlagen heute das Geldverdienen im online-Bereich so schwer macht“, betonte er und relativierte: „Es geht den Verlegern aber besser, als sie zugeben. Zwar haben sie früher das Geld mit dem Lkw aus ihren Unternehmen geholt und heute nur noch mit Schubkarren. Aber sie machen Gewinne mit Urheberrechten. Eigentlich ist also genügend Substanz da, um die Zeitung so weiterzuentwickeln, dass sie auch zukünftig eine Rolle spielen wird – wenn auch nicht unbedingt als bedrucktes Stück Papier.“

Mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes

Im Verlauf der zweistündigen, spannenden Diskussion stellte sich heraus, dass die Sichtweisen der Podiumsgäste gar nicht so kontrovers, sondern nur verschiedene Blickwinkel auf das Thema „Social Media versus Journalismus“ haben. Beide Seiten sind mittlerweile eng miteinander verknüpft und die Herausforderungen sind ähnlich. Wie zum Beispiel der von Eva Brackelmann beschriebene „Sofortismus“ – das Reagieren in Echtzeit, das Rennen um die schnellste Meldung, das seriösen Journalismus schwierig macht und Fake-Blasen in den sozialen Medien schnell aufbläst.

„Aber auch dieses Rennen um die Nachricht oder spektakuläre Story ist nichts Neues“, so Peter Freitag. „Das gibt es, seit Nachrichtenagenturen oder Tageszeitungen miteinander konkurrieren. Wichtig ist, dass Journalist*innen sich nicht verführen lassen, Schnelligkeit vor gründliche Recherche zu stellen.“ Und auch den Rezipient*innen komme eine wichtige Rolle zu, so Brackelmann: „Die Medienkompetenz muss dringend verbessert werden! Eine aktuelle sächsische Studie zeigt erschreckende Ergebnisse. So glauben rund 40 Prozent der Befragten, dass die Medien dem Staat gehören.“ Wer so denke, der wandere schneller in Meinungs- oder Fake-Blasen in der Social-Media-Welt ab als jemand, der in der Lage sei, Lügen im Netz zu identifizieren. „Medienbildung ist wichtiger denn je, nicht nur an Schulen, sondern z.B. auch bei der Polizei. Fast niemand weiß, wie Journalisten arbeiten“, stimmte Peter Freitag zu. „Diese Aufgabe nehmen wir als dju wahr.“

Am Nachmittag des Medientages informierte Cornelia Schnerch, Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht, über die Neuerungen der Urheberrechtsreform 2021. Foto: Gundula Lasch

Guter Journalismus kostet Geld

Mittlerweile gibt es viele gute Beispiele dafür, wie journalistische Angebote durch die geschickte Verknüpfung mit Sozialen Medien erfolgreich sind, u.a. „Katapult“ oder FUNK. „Die gezielte Multiplikation von Inhalten auf Social-Media-Kanälen und die Moderation von Meinungsforen ist eine schwierige journalistische Rolle, die hoher Professionalität bedarf“, unterstrich MDR-Mann Lochthofen. Wird die denn angemessen bezahlt? Lochthofen musste zugeben, dass auch in seinem Sender die Onliner*innen im Schnitt immer noch weniger verdienen als die Fernseh- und Radiojournalist*innen. „Aber da ihre Rolle immer wichtiger wird, gleicht sich das Schritt für Schritt an.“ Das sei auch dringend notwendig, unterstrich Marisa Becker, „denn guter Journalismus kostet Geld. Ich finanziere meine journalistische Arbeit mit den Einkünften als Influencerin.“ Als Freie im seriösen Journalismus genug Honorar für die Existenzsicherung zu verdienen, sei fast unmöglich. Das bestätigte Eva Brackelmann und wies auf die sehr differenzierte Medienlandschaft in Sachsen hin, in der es unter anderem sehr viele gute lokale Fernsehanbieter gibt: „Aber diejenigen, die dort arbeiten, verdienen nicht die Butter aufs Brot.“ Auch hier sieht die SLM-Vizepräsidentin ein Aufgabenfeld für Gewerkschaften. Einzige Ausnahme sind hier wohl die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten: „Die Mindesthonorare für unsere freien Mitarbeiter*innen sind festgenagelt und sicher“, betonte MDR-Funkhauschef Lochthofen: „Bei uns gibt es über 100 Tätigkeitsbilder, für die wir die unterschiedlichsten Honorar-Konstrukte haben.“

Große Chance, voneinander zu profitieren

Bloggerin Becker wies mit einem guten Beispiel darauf hin, wie die Rolle der Sozialen Medien gerade von Journalist*innen oft unterschätzt wird: „Der Fakt, dass rechte Verlage auf der Frankfurter Buchmesse präsent waren, wurde über einen Instagram-Post verbreitet, der tausendfach geteilt und so zum Thema wurde.“ Einig waren sich die Expert*innen am Ende darüber, dass Social Media und Journalismus kein Gegensatzpaar ist, sondern zwei Seiten des Geschäfts mit Informationen und Unterhaltung. Beide Seiten können voneinander profitieren, wenn das Miteinander konstruktiv gestaltet wird.

 

 

 

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