Jedermann-Internet versus Journalismus

Welche Anforderungen und neuen Möglichkeiten bringt das allgegenwärtige und von vielen Millionen Menschen mitgestaltete Internet dem Journalismus? Welche neuen Beziehungen gibt es zwischen traditionellen Medien und ihrem Publikum? Solche Fragen wurden am Donnerstag in einer akademischen Diskussion in Berlin behandelt. Die Veranstaltung brachte die von einem solchen Podium erwartbare Mischung aus Abwiegeln und historischer Verortung. Allerdings scheint die Erkenntnislage bei diesen Themen eher schlecht zu sein.

Das Abwiegeln begann bei Elaine Monaghan schon in ihrem ersten Diskussionsbeitrag: „Es gab nie eine Deadline am nächsten Tag“, erzählte die ehemalige Reuters-Chefkorrespondentin von ihrer Arbeit. Zeitdruck sei schon ihr Alltag gewesen, als sie noch nicht das Internet nutzte. Deshalb nahm sie die Rolle der Optimistin auf dem Podium in der Berliner Niederlassung der US-amerikanischen Indiana University (IU) ein. Zu der auf Englisch geführten Diskussion geladen hatte die IU zusammen mit der Freien Universität Berlin im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe zur Beziehung zwischen Medien, Technologie und Politik. Monaghan hat an der IU eine Lehrprofessur inne, traf nun aber auf drei Leute, die auch Journalismusforschung betreiben: James Shanahan, Dekan der medienwissenschaftlichen Fakultät der IU, sowie die beiden Journalismus-Professoren Margreth Lünenborg und Alexander Görke von der Freien Universität Berlin.

Bei Monaghan kam nicht nur die Optimistin, sondern auch die Praktikerin durch: „Das Handwerk hat sich nicht verändert. Wir bringen es nur anders rüber. Ich hätte gern all diese heutigen Werkzeuge vor 20 Jahren gehabt.“ Mehr noch: Sie findet zwar selbst, dass sie Facebook zu viel nutzt, lobte aber die Existenz solcher Plattformen mit der These: „Wenn Journalismus die Welt verändern will, braucht er dabei Hilfe.“

Zwar war sich das Podium einig, dass nun viele Menschen eine ganz andere Stimme haben, als ohne das sogenannte Web 2.0, aber die Forschenden sahen die Vorteile der neuen Technologie nicht die Nachteile überwiegen. „Soziale Medien sind ein Verstärker von Krisensituationen“, sagte Görke. Shanahans Erkenntnis ist, dass diese Medien deutlich die Wahrnehmung prägen. Immer wieder gepostete Gewaltbilder sorgen ihm zufolge für mehr Angst.

Shanahan war es aber auch, der wiederholt betonte, dass die Wissenschaft da nicht viel erklären könne. „Wir verstehen Massenkommunikation immer noch nicht“, gab er gleich zu Beginn der Diskussion zu. Jedenfalls stimmte auch er in das Abwiegeln ein, was die vermeintliche Bedrohung für Qualitätsjournalismus durch Facebook und Co angeht: „Es gab Zeiten, als der Journalismus viel schlimmer war, als er heute ist.“ Die „Yellow Press“ habe schon immer schlechten Journalismus gemacht und zum Teil sogar Kriege mit angezettelt. „Und was die Polarisierung der Gesellschaft angeht: Wir hatten einen Bürgerkrieg, in dem wir uns gegenseitig umbrachten, und in dem die Presse nicht gerade den Anspruch hatte, objektiv zu sein.“

Margreth Lünenborg spitzte die historische Relativierung zu: „Wir hatten nie die gute alte Zeit des Qualitätsjournalismus.“ Journalismus sei früher nur etwas für Eliten gewesen, in Deutschland habe es lange nur fünf bundesweite Zeitungen gegeben. Lünenborg sieht „Veränderungen mit hohem Druck“ vonstattengehen. Der Journalismus sei nicht mehr exklusive Quelle und herrschendes Bedeutungssystem. Eine ihrer Konsequenzen aus dem großen Online-Stimmengewirr: Sie gibt nun einen Kurs zu Journalismus und Emotionen, denn: „Aufklärung passiert nicht in Abwesenheit von Emotionen.“ Das sei ein „zu einfaches, europäisches Konzept“. Demgegenüber meinte Görke, dass zu aufklärerischem Journalismus das Beiseitelassen von (starken) Emotionen gehöre, weil sonst der Streit der Argumente nicht möglich sei. Diese gegenläufigen Positionen wurden jedoch nicht weiter vertieft.

Später tauchte ein ähnlicher, leider ebenfalls nicht ausdiskutierter Gegensatz auf, als Görke sagte, „Social Media“ und Journalismus verfolgten gegensätzliche Prinzipien. Während letzterer überraschen wolle, wollten erstere allen Leuten genau das geben, was sie wollen. Von Facebook bezahlten Journalismus lehnt er also ab, ebenso dessen Einarbeiten in die Plattformansicht, so dass die Nutzenden zufällig, zwischen lauter Privatnachrichten, auf gehaltvolle Artikel stoßen. Lünenborg widersprach: „Die jungen Leute sind nicht so, dass sie sagen: Jetzt will ich Nachrichten lesen.“

Wie erreichen wir diese jungen Leute also? Und wie kriegen wir sie dazu, dafür zu bezahlen? Das Thema Geschäftsmodelle kam erst am Ende, nach einer Publikumsfrage auf. Shanahan hielt wieder mit entwaffnender Ehrlichkeit fest: „Niemand hat eine Antwort.“ Er ist offensichtlich der Idee zugeneigt, Journalismus als öffentliche Aufgabe anzusehen und staatlich zu finanzieren, da die Epoche des Journalismus als funktionierendes Geschäftsmodell wohl vorbei sei.

Alexander Görke wies darauf hin, dass der Verkauf von Artikeln per App relativ gut funktioniere, da die Menschen gewohnt seien, für Apps zu bezahlen. Im Anschluss an die Diskussion stimmte er im Gespräch mit M zu, dass die großen Internet-Plattformen Bezahlschranken ergänzen können, denn ein Medium kann einen Link zu einem kostenpflichtigen Artikel posten und auf diese Weise viele Menschen erreichen.

 

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