Journalismus jenseits von Profit

Grafik/Montage: Petra Dreßler

Liegt die Zukunft des Journalismus jenseits von Profit? Noch ist spendenfinanzierter Journalismus in Deutschland die Ausnahme. Ein wesentlicher Grund: Bislang fehlen dafür die gesetzlichen Grundlagen. Nicht nur Aktivisten wollen, dass sich das ändert. Lässt sich die Politik im Bundestagswahlkampf dahin bewegen? Diese und andere Fragen stellten wir Oliver Moldenhauer, einem der Vorsitzenden des Forums Gemeinnütziger Journalismus, das Non-Profit-Organisationen im Medienbereich vereint.

M | Das Forum gemeinnütziger Journalismus hat sich im Januar als Verein gegründet. Den gemeinwohlorientierten Journalismus zu stärken gilt als ein wesentliches Ziel. Wie lebenstüchtig ist das Pflänzchen denn bisher?

Oliver Moldenhauer | Es ist noch klein, aber schon recht robust. Non-Profit-Journalismus gibt es nun schon seit vielen Jahren in Deutschland. Je nachdem, wie man ihn genau definiert, reicht er zurück bis zur Gründung der taz in den 1970er Jahren oder zu Gründungen der vergangenen Jahre wie „Correctiv“ oder „Finanztip“ zum Beispiel. Freilich sprechen wir noch von einem relativ kleinen Teil der Medienlandschaft. Aber von einem wichtigen. Und einem, der deutlich wächst.

Auch der Verein ist auf Wachstum angelegt. Doch ist sicher klar geregelt, welche Medienprojekte aus dem mittlerweile bunten Spektrum aufgenommen werden könnten. Konkret gefragt: Wie bewahrt sich das Forum vor Zuwachs aus der populistischen oder gar rechten Ecke?

Die Aufnahmen entscheiden sich an unseren Bewertungskriterien. Es gibt große Unterscheide zwischen Hobbybloggern, rechtspopulistischen Geld-Abzocke-Portalen und kritischem, unabhängigen Journalismus. Und wir haben, auch für unser Siegel für gemeinwohlorientierten Journalismus Qualitätsmerkmale definiert. Da geht es sowohl um Transparenz als auch um journalistische Mindeststandards. Dazu zählen Kriterien wie die Achtung der Menschenrechte und der Würde des einzelnen Menschen. Und da würden rechtspopulistische Gründungen sehr schnell rausfallen.

Bevor wir ausführlich darauf kommen, zunächst die Frage nach Berechtigung und Lebensfähigkeit des gemeinnützigen Journalismus als dritter Säule neben privatwirtschaftlichen Medien und öffentlich-rechtlichem Rundfunkt. Wie bewerten Sie die?

Milliarden an Spendeneinnahmen zeigen, dass viele Menschen in Deutschland bereit sind Geld für Zwecke zu geben, die ihnen wichtig sind. Vielen Menschen ist gemeinwohlorientierter Journalismus ein solches Anliegen. Mit solcher Art Journalismus lassen sich Projekte verwirklichen, die sich kommerziell nicht lohnen und die vielleicht auch nicht von öffentlich-rechtlichen Sendern abgedeckt werden. Besonders große Chancen bestehen zum einen im kleinen, lokalen Bereich, wo parallel bei den kommerziellen Medien gerade große Einschnitte zu beklagen sind. Zum anderen bei speziellen Interessensgebieten, die sonst kaum abgedeckt werden. Ich arbeite selbst bei „Investigate Europe“. Wir machen tiefgehende Recherchen, die sich unmöglich nur durch den Verkauf von Artikeln finanzieren lassen. Da ist eine Finanzierung durch Spenden und Zuschüsse unverzichtbar. In anderen Ländern, in der Schweiz oder in Frankreich etwa, ist man da übrigens mit erfolgreichen Projekten wie „Republik.ch“ oder „Mediapart.fr“ schon wesentlich weiter.

Wie könnte gemeinnütziger Journalismus die Medienentwicklung insgesamt denn befördern oder vorantreiben?

 

Oliver Moldenhauer ist einer von drei Vereinsvorsitzenden des Forums Gemeinnütziger Journalismus und Co-Geschäftsführer des Rechercheportals „Investigate Europe“. Foto: Barbara Sigge

Gemeinwohlorientierter Journalismus hat potenziell die Möglichkeit, länger und tiefer zu recherchieren. Wenn die Geldgeber*innen von einer Idee überzeugt sind, die sie unterstützen wollen, erwarten sie gar keine kurzfristigen Informationsschnipsel als Gegenwert, sondern goutieren große, tiefe Recherchen mit investigativen Ergebnissen – vielleicht nur drei Mal im Jahr. Auch Kooperationen zwischen verschiedenen gemeinnützigen Medien werden so erleichtert, Ergebnisse eher geteilt.

Außerdem sehe ich Potenziale, die Einbindung von Leser*innen auf ein neues Niveau zu heben. Da werden vielfach bereits neue Sachen ausprobiert und Erfahrungen gesammelt. Die Identifikation mit dem Medium wird allgemein wichtiger, um Konsumenten zu überzeugen, ausgerechnet bei diesem Blatt, Sender oder Portal ihr Geld zu lassen und nicht lediglich von kostenfreien Angeboten zu profitieren, die es ja mittlerweile genügend gibt.

Im gemeinwohlorientierten Journalismus gibt es mittlerweile viele Modelle, die auf die komplette Freiwilligkeit der Spender und Rezipienten setzen und dabei ausprobieren, wie kann Communitybuilding finanziert werden, wie schafft man einen direkten Bezug von Leser*innen zur Redaktion bei deren gleichzeitiger Unabhängigkeit? Innovationen gibt es auch im Bereich Crowd-Recherche.

Wie das Prinzip des Commons? Ist Teilen nicht sogar ein konstituierendes Prinzip?

In vielen Bereiche ja, es macht oft die Kooperation einfacher. Man sollte aber nicht die Augen davor verschließen, dass es auch im gemeinwohlorientierten Medienbereich Konkurrenz und Wettbewerb gibt – um die Aufmerksamkeit potentieller Leser*innen, Spender*innen, um Stiftungen und Philanthropen. Es geht schon darum, wahrgenommen und sichtbar zu sein, Aufmerksamkeit zu bekommen.

Dennoch kümmert sich Ihr Verein erklärtermaßen um bessere Rahmenbedingungen für den gemeinnützigen Journalismus generell. Ganz obenan steht die Forderung nach Rechtssicherheit…

Wir beklagen da seit langem, dass in der Abgabenordnung beispielsweise Modellflug als gemeinnütziger Zweck anerkannt ist, Journalismus dagegen nicht.

Warum wäre das wichtig? Gemeinnützigkeit macht viele Dinge einfacher, insbesondere bei der Finanzierung durch Stiftungen, aber auch für Kleinspender. Es gibt ja heute bereits viele journalistische Projekte, die gemeinnützig sind, doch die müssen immer den Umweg über andere im Gesetz anerkannte Bereiche gehen: Bildung, Verbraucherschutz, Völkerverständigung. Das ist legitim, aber immer auslegungsfähig. Die Finanzämter bewerten das unterschiedlich, Rechtssicherheit besteht nicht. Deshalb wollen wir die Aufnahme des gemeinnützigen Journalismus in die Abgabenordnung oder zumindest in den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO). Ein solcher gemeinnütziger Status ist dabei immer an Bedingungen geknüpft.

Etwa?

Keine Person darf aus gemeinnützigen Projekten Gewinn ziehen. Die häufig geäußerte Befürchtung, dass auch Zeitungen wie „Bild“ unter die Kategorie des gemeinnützigen Journalismus fallen könnten, ist schon damit ausgeräumt. Eigentümer*innen könnten bei Gemeinnützigkeit keine Profite aus der unternehmerischen Tätigkeit vereinnahmen.

Und wo stehen Sie jetzt? 2020 gab es eine Bunderatsinitiative von Nordrhein-Westfalen für die Gemeinnützigkeit von Non-Profit-Journalismus. Ein Ergebnis hat sie nicht gebracht. Gerade hat der Bundestag einen entsprechenden Antrag der Grünen abgelehnt.

Das stimmt. Im vergangenen Jahr wurde die Abgabenordnung reformiert. Leider ist gemeinwohlorientierter Journalismus dabei nicht aufgenommen worden. Am 7. Mai 2021 wurde im Bundestag ein Antrag von Bündnis90/Die Grünen über die Aufnahme des Journalismus als gemeinnützigen Zweck in die Abgabenordnung abgestimmt. Dieser wurde bei Unterstützung durch die Linke leider mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und AFD abgelehnt.

Wir sind aber weiter dran. Auch das Land NRW erwägt, die Initiative erneut einzubringen. Entscheidend werden aber die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl sein. Spätestens dann müssen Entscheidungen fallen. Deshalb fragen wir die Parteien jetzt im Wahlkampf bereits, wie sie sich dazu stellen. Gerade für investigativ arbeitende  Journalist*innen ist es kein Zustand, wenn sie ständig unter dem Damoklesschwert eines Entzugs der Gemeinnützigkeit arbeiten müssen. Wir brauchen einfach Rechtssicherheit.

Bleibt aber die Frage nach der genauen Definition…

Die wollen wir im Zusammenhang mit unserem Siegel klären, das wir für gemeinnützigen Journalismus vergeben werden. Wir fokussieren uns auf drei Säulen: Erstens den redlichen Umgang mit Recherchen und Veröffentlichungen, zweitens Transparenz und drittens Selbstlosigkeit. Bei ersterem orientieren wir uns am Pressekodex, speziell solchen Kriterien wie Achtung der Menschenwürde, Bekenntnis zu Demokratie und Grundgesetz, faire und sorgfältige Recherche… Damit ist auch hier klar, dass rechte oder andere zweifelhafte Portale unser Siegel schon deshalb nicht bekommen würden, weil sie die Bedingungen nicht erfüllen.

Hinzu käme Transparenz hinsichtlich der Personalstruktur, Mittelherkunft und Entscheidungsstrukturen. Die Selbstlosigkeit schließlich ist ja fundamentaler Teil und notwendige Bedingung der Gemeinnützigkeit: Alle finanziellen Überschüsse müssen in die Redaktion investiert werden, Gehälter sind begrenzt, Gewinnentnahmen verboten.

Dennoch ist Gemeinnützigkeit allein noch kein Geschäftsmodell.

Das stimmt, selbst mit einem Gemeinnützigkeitsstempel kann man noch keinen gemeinnützigen Journalismus finanzieren. Wir agieren aktuell in zwei Richtungen: Zum einen haben wie die ursprünglich vorgesehene Journalismusförderung des Bundes kritisiert, die 220 Millionen Euro umfassen sollte und die sehr einseitig auf Printjournalismus gerichtet wäre. Dagegen hatten die Krautreporter eine Klage angekündigt. Das sehen wir ganz genauso: Es ist nicht zeitgemäß und unfair, ja wahrscheinlich sogar verfassungswidrig, wenn man eine bestimmte Art von Journalismus fördert und andere nicht. Doch ist das nun erst mal vom Tisch.

Und die andere Richtung?

Wir überlegen, wie Förderung stattdessen gehen kann. Interessant ist da die sogenannte News Match-Initiative aus den USA, wo sich Geldgeber zusammenschließen, die aufstockendes Founding betreiben. Sie fördern direkte Leserbeiträge, indem sie Spenden verdoppeln oder auf jede Zuwendung, die von Einzelpersonen oder Stiftungen an journalistische Non-profit-Organisationen gegeben wird, noch einen definierten Betrag obendrauf legen. Das scheint uns eine ganz sinnvolle Möglichkeit zu sein, ohne direkte redaktionelle Einflussnahme das zu fördern, was die Bürgerinnen und Bürger wirklich haben wollen und wozu sie auch von sich aus zu spenden bereit sind. Das Modell finden wir spannend und wollen es auf Deutschland übertragen.

Ginge das in die Richtung „bürgernaher, nachhaltiger Finanzierungsmodelle“, die Ihr Verein speziell auch im Lokaljournalismus anstrebt?

Durchaus. Die Bürger sollen eine einfache, komfortable Möglichkeit bekommen, die Medien, die sie gut finden, vor Ort direkt zu unterstützen. Das kann man durch technische Lösungen fördern, aber eben auch über finanzielle Lösungen, etwa die Aufstockung von Spenden.

Kommen wir zurück auf Ihr Siegel. Es soll demnächst an den Start. Es braucht aber auch ein Verfahren, wie es künftig vergeben werden soll. Wie sieht es konkret damit aus?

Wir liegen mit beidem in den letzten Zügen. Das Siegel kommt in Kürze. Hinsichtlich der Vergabe wird es zweistufig zunächst eine Begutachtung durch sachkundige Experten aus dem wissenschaftlichen Bereich geben und danach noch einen abschließenden Beschluss durch andere gemeinwohlorientierte Organisationen. Wir sind jetzt dabei, für alles die organisatorischen Grundlagen zu schaffen und optimistisch, dass wir das Verfahren im Laufe des Sommers starten können.

Und wenn das geschafft ist, was macht das Forum weiterhin?

Wir bleiben Ansprechpartner, was die Frage der Rahmenbedingungen für gemeinnützigen Journalismus, die Rechtssicherheit und die Förderung angeht. Wir werden uns aktiv um ein „News Match Germany“ bemühen. Und wir werden den Erfahrungsaustausch zwischen den gemeinwohlorientierten journalistischen Organisationen weiter vorantreiben.

Wird auch die für den April 2020 geplante und Corona zum Opfer gefallene Konferenz nachgeholt?

Es wird ganz sicher Treffen und Konferenzen geben, hoffentlich demnächst auch wieder offline…


Das Forum Gemeinnütziger Journalismus

hat sich mit zehn Gründungsmitgliedern – unter anderem „Correctiv“, „Hostwriter“, „Netzpolitik.org“, „Kontext:Wochenzeitung“ und „taz Panther Stiftung“ – im Januar 2021 als Verein gegründet. Als Ziele gelten die Förderung der Volks- und Berufsbildung, des demokratischen Staatswesens sowie des bürgerschaftlichen Engagements zugunsten dieser gemeinnützigen Zwecke.

Dem Verein steht ein Beirat aus Expert*innen und Unterstützer*innen zur Seite. Ihm gehören etwa Stephanie Reuter, Geschäftsführerin der Rudolf Augstein Stiftung, Medienwissenschaftler Stephan Weichert, aber auch Lars Hansen als ver.di-Vertreter an.

Das Forum hat „Leitlinien“ veröffentlicht, die einer Begriffsschärfung dienen sollen. In der Präambel heißt es:

„Demokratie braucht kritischen Journalismus. Der gemeinnützige Journalismus spielt dabei in unserer Zeit eine immer wichtigere Rolle. Das Siegel des Forums Gemeinnütziger Journalismus möchte Orientierung geben, was gemeinnützigen Journalismus ausmacht.

Wenn eine Organisation Journalismus im Sinne des Gemeinwohls betreiben will und dafür Steuerbegünstigungen bekommt, so kann die Gemeinschaft im Gegenzug bestimmte Standards erwarten. Mit dem Siegel des Forums Gemeinnütziger Journalismus werden diese Standards definiert.

Die Anforderungen des Siegels ruhen auf drei Säulen:

  1. Redlicher Umgang mit Recherchen und Veröffentlichungen
    Hier orientieren wir uns am Pressekodex des Deutschen Presserats.
  2. Transparenz
    Hier orientieren wir uns an den Kriterien der Initiative Transparente Zivilgesellschaft.
  3. Selbstlosigkeit
    Hier orientieren wir uns an der Abgabenordnung, dem zentralen Steuergesetz.“

Ausführlich unter: http://forum-gemeinnuetziger-journalismus.de/leitlinien/

 

 

 

 

 

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