Digitale Film- und TV-Produktion auf dem Vormarsch
Die Zukunft von Film und Fernsehen ist digital. Ideales Betätigungsfeld für Kreative und Technikfreaks. Fachleute zweifeln nicht, dass alle Bereiche – von der Bildaufnahme über die Produktion, Postproduktion und den Vertrieb zunehmend von der neuen Technik erobert werden. Unterschiedliche Prognosen gibt es bestenfalls über die Zeitspanne, bis der Quantensprung restlos vollzogen sein wird.
Praktisch hat die „digitale Revolution“ in der Filmbranche seit mehr als einem Jahrzehnt einschneidende Veränderungen in Technik, Produktionsorganisation und Berufsbildern bewirkt. Wie schnell der Prozess fortschreiten wird, ob und wann geschlossene digitale Produktionskreisläufe erreicht werden, hängt von der Qualität des technischen Equipments ab und ist zudem eine höchst ökonomische Frage. Technisch bietet eine zunehmend digitale Produktion den Vorteil, dass Daten- und damit Qualitätsverluste, die bei der herkömmlichen analogen Filmproduktion bis zu 50 Prozent betragen können, zunehmend minimiert werden. Und natürlich, dass Bearbeitungsmethoden, Effekte und Tricks möglich sind, von denen die Pioniere des Mediums nicht einmal träumen konnten. Ein Fernsehteam macht am Ort eines Geschehens Aufnahmen, überträgt diese auf den Server der Sendeanstalt, im digitalen Newsroom können Redakteure und Cutter an ihren Arbeitsplätzen das Material weiterverarbeiten und sogar in die ganze Welt verbreiten, noch bevor das Reportageteam zurück ist.
Spezial- und Regelfälle
Diesen denkbaren geschlossen-digitalen Produktionszyklus hält Kameramann Jörg Geißler, im Bundesverband Kamera aktiv, dennoch für einen „Spezialfall“ der aktuellen Berichterstattung: „In der normalen Filmproduktion sehe ich das Szenario auch in absehbarer Zeit nicht so“. Tatsächlich überwiegt – obwohl auf dem Weltmarkt mehrere Kameras mit ausschließlich digitalem Innenleben zur Verfügung stehen – noch das Drehen mit Film. „StarWars“ oder andere spektakuläre Hollywood-Science-Fiction-Produktionen und einzelne digitale Pilotprojekte hierzulande, „Tatort“-Folgen oder Daily-Soap-Produktionen mit Video, weisen in eine Richtung, bilden aber noch längst nicht die Regel. Allerdings wird konventionelles 16- oder 35-Millimeter-Material bereits heute vor dem Schnitt digitalisiert, am Rechner weiterverarbeitet und mit zahlreichen anderen elektronischen Elementen kombiniert. Durchschnittlich 20 Prozent rein digital erzeugte Anteile – Computergrafiken, Animationen, visuelle und Toneffekte, elektronische Musik – sind heute bei der Filmproduktion Standard, besagen Schätzungen. In solchen „Hybrid-Produktionen“ kommt analoges Material noch vor, wird zu einem bestimmten Produktionszeitpunkt jedoch im Kopierwerk oder bei spezialisierten Firmen gescannt und in binäre Daten umgewandelt. Solange die Bilder auf den Kinoleinwänden noch mit traditionellen Filmprojektoren zum Laufen gebracht werden, steht am Ende bislang die Rückbelichtung des „digitalen Intermediate“ auf Zelluloid und dessen massenhafte Kopie für den Vertrieb. Das Berufsbild von Kameraleuten habe sich durch die Digitalisierung „überhaupt nicht“ verändert, weil einem Maler vergleichbar lediglich „ein anderer Pinsel, ein anderes Werkzeug“ verwendet werde. Den kreativen Charakter der Tätigkeit ändere das nicht grundsätzlich, behauptet Jörg Geißler. Damit weist er speziell auf den szenisch-schöpferischen Aspekt seiner Profession hin. Ein gut ausgebildeter, an analoger und digitaler Technik geschulter Profi wird sicher „die eine wie die andere Technik beherrschen“. Doch schließt die Tätigkeit eines „Directors of Photography“ (DoP), wie der bildgestaltende Kameramann im angelsächsischen Sprachraum genannt wird, nicht nur die dramaturgisch-optische Arbeit beim eigentlichen Drehen ein. Er übernimmt Verantwortung – so auch das vom Bundesverband Kamera erarbeitete Berufsbild – für „alle Stadien der Filmherstellung“. Von „frühen Vorgesprächen bis zur Abnahme der ersten fertigen Filmkopien ist der Kameramann einer der am längsten beschäftigten Mitarbeiter“ einer Filmproduktion. Dass er sich im Zuge der Digitalisierung mit neuen Techniken der Nachbearbeitung, mit anderen Arbeitszusammenhängen beschäftigen muss, stellen nicht nur Stars der Zunft wie Oscar-Preisträger Andrew Lesnie unter Beweis. Er war als DoP beim „Herrn der Ringe“ auch für die gesamte Zeit der Postproduktion verpflichtet.
Hochspezialisiert, aber einsamer
Der eigentliche Inhalt der Filmmontage habe sich durch den digitalen Schnitt nicht geändert und bleibe eine dramaturgische Arbeit, betonen auch die Cutter. Ihr Arbeitsplatz bildet seit Jahren eine „Schnittstelle“ zwischen den verschiedenen Produktionstechniken und Medien und hat sich technisch grundlegend gewandelt. Längst sitzen sie an keinem Schneidetisch mit Bändern und Rollen mehr, sondern beherrschen einen Rechner, drei Bildschirme, Tastatur, Maus und viele Zuspielgeräte. Dass z. B. der Ton nicht mehr auf ein perforiertes Band umgespielt werden muss, sondern direkt elektronisch abgerufen werden kann, bedingt einerseits, dass sich Filmeditoren viel stärker mit der Technik des Tons beschäftigen müssen. Andererseits wird nach dem Bildschnitt der Tonschnitt nicht mehr von ihnen, sondern von „Soundeditoren“ gemacht. Das „Sounddesign“ erfolgt nicht mehr im Filmschneideraum, sondern in spezialisierten Tonstudios. Eine stärkere Spezialisierung der Editoren selbst auf eine bestimmte Filmsparte – Spiel- oder Dokumentarfilm, Werbung, aktuelle Berichterstattung – ist in der Praxis damit zu erklären, dass sich auch die Anforderungen mit den technischen Möglichkeiten weiter ausprägen.
Die Personal-Spezialisierung werde von der Produktionsseite auch als Einsparpotenzial gesehen, weiß Ursula Höf vom Bundesverband Filmschnitt. Die Montagezeiten seien dadurch kürzer geworden, „das heißt, man muss mehr Filme machen für seinen Lebensunterhalt, was auch mehr Stress bedeutet und andere gesundheitliche Risiken als ‚Bildschirmschaffende‘ einschließt“. Mit der Einführung der Schnittcomputer trauen sich mehr Männer an den Beruf des Filmeditors. Aber: „Die Arbeit im Schneideraum ist einsamer geworden durch den ‚Verlust‘ des Assistenten“, dessen Aufgaben sich grundlegend verändert haben. „Zeiten zum Nachdenken und Reflektieren“ müssten im veränderten Produktionsablauf viel bewußter eingeplant werden. Als positiven Effekt und kreatives Plus der digitalen Bearbeitung sieht sie dagegen „viel breitere Möglichkeiten, mit verschiedenen Bildträgern zu arbeiten und Einfluss zu nehmen auf das endgültige Bild“.
Kein Lernen mehr vom Meister
Am vielschichtiger und länger gewordenen Herstellungsprozess nach dem Dreh – der sogenannten Postproduktion – sind inzwischen diverse Spezialisten und spezielle Dienstleister beteiligt. Das stellt höhere Anforderungen an Planung und Logistik. Der Postproduktionsmanager ist einer der neu entstandenen Berufe, der diesen Neuerungen Rechnung trägt. Aber auch die inzwischen entwickelten Berufe Mediengestalter Bild / Ton, Film- und Video-Editor, die Sounddesigner und -editoren sowie Online-Editoren sind Berufe, die erst durch die Digitalisierung nachgefragt wurden. Ganz zu schweigen vom boomenden Bereich der digitalen Animation.
Neben der Neuetablierung von Ausbildungsberufen gehen andere verloren, auch durch Umstrukturierungen in der Ausbildungslandschaft. „Wer heute mit einem Kameradiplom von der Hochschule kommt, hat zuvor fast nie Assistenzerfahrung gesammelt. Es gibt auch keine Ausbildung für staatlich geprüfte Kameraassistenten mehr“, betont Jörg Geißler. Er verweist auf die Verantwortung der Berufsverbände, die Qualifikation junger Kollegen streng im Blick zu behalten. Auf die Bedeutung von Weiterbildungskursen Filmmontage an der Internationalen Filmschule in Köln macht Ursula Höf aufmerksam. Cutterassistenten filmgeschichtliche und dramaturische Kenntnisse zu vermitteln sei dringlich, seit sie nicht mehr in direktem Kontakt mit Ihren „MeisterInnen“ lernen können. Auch Studiengänge Filmmontage an der HFF Konrad Wolf in Babelsberg oder der Filmakademie Ludwigsburg würden immer wichtiger.
Pausen am Bildschirm
Die Gewerkschaft trage nicht nur bei der Entwicklung neuer Berufsbilder und Ausbildungsordnungen Mitverantwortung, sie müsse sich auch um die veränderten Arbeitsbedingungen kümmern. „Wir versuchen, in den Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende eine Pausenregelung für Bildschirmarbeit einzubauen“, so Ursula Höf.