„Fluch und Segen liegen nahe beieinander“ konstatierte der Bremer Medienwissenschaftler Leif Kramp zur „Medienarbeit heute und morgen“ – Thema der 6. ver.di-Medientage am Wochenende in Berlin am Wannsee. Es ging um „krassmediale“ Veränderungen in Berufsbildern und Anforderungen und damit verbunden neue Arbeitsweisen und Geschäftsmodelle. Junge Journalist_innen fühlten sich oftmals wie die „Eier legende Wollmilchsau“, wenn von ihnen immer mehr und neue Kompetenzen in Produktion und Marketing erwartet würden, so Leif Kramp. Es gebe einen „wachsenden Bedarf an digital erfahrenen, profilierten, experimentierfreudigen Kommunikationsprofis – mit Durchhaltevermögen.“
Doch das Berufsbild weist in der Wahrnehmung des Publikums Brüche auf – entlang der Generationen. Die einen wollen Informationsvermittler à la Hajo Friedrichs, den „Anchorman der Herzen“, der Journalismus als „Predigt“ zelebrierte. Die anderen wollen den „nahbaren Kommunikator auf Abruf“, verkörpert durch den Blogger LeFloid, der ein ganz anderes Verständnis von Journalismus hat, wie sein Interview mit Angela Merkel zeigte. Journalist_innen werden mit neuen Rollenerwartungen konfrontiert: Moderator (66,1%) und Blogger, Kommunikator (56%).
Diese Transformationen bedeuten auch neue dialogische Kommunikationsformen etwa durch die Einführung von Leseranwält_innen bei Zeitungen und die Nutzung unterschiedlicher Medienensembles, wobei das Smartphone als Endgerät mit 90 Prozent bei den 12- bis 19-Jährigen dominiert. Das bestätigen erste Ergebnisse der „Millennials“-Studie, in der die Mediennutzung der Geburtsjahrgänge 1981 bis 2000 erforscht wird: Die Kommunikation findet in geschlossenen WhatsApp-Gruppen statt, das Handy wird gleich nach dem Aufstehen gecheckt, die Erwartungen der peer group fördern ein Gefühl des Getriebenseins, das Geld reicht gerade für den Handyvertrag, ansonsten sind die Millennials „zahlungsunwillig“ und wollen kein Geld für Zeitungen ausgeben, zumal sie online das finden, was sie an Informationen suchen, mit Datenschutz wird sorglos umgegangen. Der Trend geht hin zur Verschmelzung von Messaging- und Informationsdiensten.
Doch der Anpassungsprozess in den Redaktionen „ ist zäh und teuer“, so Kramp. Redakteur_innen, die zum Wandel der Arbeitsstrukturen und zur Einbeziehung des Publikums befragt wurden, teilte Kramp in drei Typen ein: vor allem jüngere „innovative Optimisten“ (50%), „distanzierte Skeptiker“ (31%) und 19% „desillusionierte Pragmatiker“. Sein Fazit: „Die Jungen müssen`s richten!“ Sie würden zwar eingestellt, aber dann oft „durch die Redaktionsstruktur ausgebremst“, so dass notwendige Innovationen wie „flexible Projektentwicklung und plattformübergreifendes Arbeiten“ erschwert würden.
Anforderungen: Digitaler Journalismus braucht Interaktion
Wegen der Verschmelzung von sozialer und digitaler Lebenswelt müsse man sich z.B. neue Konzepte fürs Smartphone überlegen. Digitaler Journalismus brauche Interaktion, die Entwicklung vom Produkt hin zum Prozess. In Deutschland sei das oftmals aber kein journalistisches Projekt, sondern betreffe lediglich den Vertriebskanal von Informationen. Es gehe um „Präsenz auf möglichst vielen Kanälen“. Kramp prognostizierte: WhatsApp sei für Jugendliche die Nr. 1, während Facebook und Twitter bevorzugt von Älteren genutzt würden. Die Redaktionen müssten flexibel reagieren – besser noch: selbst gestalterisch tätig werden! In der digitalen Medienumgebung sei Journalismus immer schwerer erkennbar und verliere deshalb an Wertschätzung. Es gelte, die „Marke“, das Profil des Journalismus zu stärken, indem durch „Eisbrecher“ Aufmerksamkeit und Bindung zum Publikum hergestellt werde.
Arbeitsweisen: Twitter als Recherche- und Beteiligungstool
Als eine neue Möglichkeit interaktiver Informationsvermittlung stellte Twittertrainerin Christina Quast den Kurznachrichtendienst vor. „Twitter funktioniert wie eine Nachrichtenagentur“, denn er sortiere die 140-Zeilen-Texte samt Videos, Bilder und Links chronologisch und thematisch. Der Unterschied: Alles ist ungefiltert und muss noch verifiziert werden.
„Twitter is live, public, engagement“ (Mark Little, Vizepräsident von Twitter Europa). Als Echzeit-Dienst eigne Twitter sich als Newsticker, erläuterte Quast. „Zeit online“ erstellte z. B. ein Minutenprotokoll zum Anschlag auf den Brüsseler Flughafen am 22. März 2016. Auch zur Berichterstattung über Live-Events wie Konzerte eigne sich Twitter genauso wie zur Rekonstruktion vergangener Geschehnisse – zum History Telling. Sie selbst habe z. B. die Ereignisse von 9/11 anhand der Tweets von Ari Fleischer nacherzählt. Auch TV-Sendungen könnten durch Twitter begleitet werden. So lieferten die „Ruhr-Nachrichten“ Zusatzinfos zum „Tatort“ aus Dortmund. Hillary Clinton kündigte ihre Präsidentschaftskandidatur zuerst über ein Video auf YouTube und Twitter an. Der Dienst hat bei politischen Themen die größte Reichweite. Das Tweetdesk, eine Art Armaturenbrett ermögliche eine Suche nach Themen, Usern oder nach Tweets, die retweeted wurden. 69% der Twitterer seien unter 35 Jahre alt.
„Ich wurde ein besserer Journalist“, kommentierte Mark Little die „Engagement“-Leistung von Twitter, denn durch die stärkere Beteiligung des Publikums müsse er zuhören und könne andere Fragen stellen. Einige Beispiele: Die „Ruhr Nachrichten“ erfuhren durch einen Leser-Tweet von einem Brand in einem Dönerimbiss. Als das Recherchenetz Correct!v das Gebührensystem von Sparkassen durchleuchten wollte, twitterten Nutzer vor Ort die Preisaushänge ihrer Geldinstitute. Twitter ermöglicht es auch, Überschriften mit Leser_innen abzustimmen und bietet mehr Transparenz bei der Berichterstattung.
Geschäftsmodelle: Kreativität – öffentlich finanzieren oder privat vermarkten
Tanja Schmoller von der Gebrüder Beetz Filmproduktion demonstrierte die Bandbreite digitalen Storytellings von cross- bis transmedial, wobei inhaltliche und technische Grenzen ausgetestet werden. Da ist zunächst „Make Love“, ein crossmediales Aufklärungsprojekt in Web, Radio und TV, das 2013 in Kooperation mit öffentlich-rechtlichen Sendern entstand. Wobei MDR und SWF, Partner der ersten beiden Staffeln, die Videos, die zeigen, „wie man Lieben lernen kann“, aus Jugendschutzgründen zwischen 6 und 22 Uhr sperrten. Nach dem Wechsel zum ZDF läuft zurzeit die 4. Staffel des mit 4,8 Millionen Abrufen überaus erfolgreichen Projekts. Transmedial angelegt ist „Supernerds“ – Theaterstück, Live-TV-Event und suddenlife-Gaming zum Thema Überwachung, das 2015 in Kooperation mit dem WDR und dem Schauspiel Köln entstand. Für den „interaktiven Überwachungsabend“, der zeigte, wie es sich anfühlt, bespitzelt zu werden, registrierten sich 15.000 Menschen, so Schmoller, die weitere Projekte vorstellte – teils ernst, teils heiter („Falcianis SwissLeaks“, „Kunstjagd“, „Tankstellen des Glücks“).
Das 30köpfige Team der Produktionsfirma finanziert die von Kreativität sprudelnden Filmprojekte mit vielen externen Partnern. Gibt es eine Idee, so Schmoller, fragen wir uns, „Stehen wir dahinter?“, dann entwickeln wir ein Konzept, suchen Partner und die richtigen Plattformen für die Inhalte. Geld kommt zumeist von öffentlich-rechtlichen Sendern.
Die größte Video-online-Plattform 2016 ist YouTube und ihre Protagonist_innen sind „die Popstars der Generation digital“, sagte Stephan Schilling von Divimove, einem Berliner Medienunternehmen, das 2012 als Multi-Channel-Network startete und mittlerweile zu 51 % zu Fremantlemdia (RTL Group) gehört. Solche MCN sind Unternehmen, die YouTuber entdecken, fördern und vermarkten. YouTube-Stars erreichen Millionen Fans, weil diese sich mit ihnen identifizieren können.“Sie haben die gleichen Probleme in Schule, Elternhaus und beim ersten Date“, so Schilling. In Deutschland sind das z. B. Sally, eine ehemalige Grundschullehrerin mit einem Kochkanal oder die Freekickerz, drei Jungs, die Fußballvideos zeigen.
Schilling zeigte an einem WWF-Spot mit dem Veganer und Naturfreund Simon Unge („Marke muss zum YouTuber passen“) und einem Video, dass actionreich für Iglo-Fischstäbchen wirbt („YouTuber wollen vor allem unterhalten“) wie Unternehmen Online-Video-Plattformen und Social Influencer wie YouTuber für ihre Markenkommunikation nutzen. Mit Journalismus auf YouTube Geld verdienen sei „nicht einfach“, schätzte Schilling ein. Und LeFloid? Auch wenn viele Jugendliche ihn als Journalisten wahrnehmen, mache er doch Unterhaltung. Wie viel verdienen die YouTube-Stars? Von den 1.300, die einen Vertrag mit Divimove haben, könnten „10 Prozent gut davon leben“, so Schilling.
Medienschaffende als Netzwerker_innen, Blogger_innen oder journalistische Onliner
Wie Medienschaffende sich durch Netzwerke selbst vermarkten können, thematisierte Regina Wallner vom Institut für Berufs- uns Innovationsforschung e. V. (IBF). Es gelte “Profil zu zeigen, zur Marke zu werden“, um in Zeiten sinkender Festanstellung als Solo-Selbständige finanziell zu überleben und die von Digitalisierung geprägte Arbeit durch Kooperationen zu bewältigen, etwa bei der Analyse von Big Data.
„Lebe Berlin“ heißt der Blog von Lisa Neumann, einer jungen Mutter mit Bachelorabschluss in PR/Marketing. „Ich schreibe das, was ich denke und fühle“, sagte sie. Sie habe keinen journalistischen Anspruch, sondern es gehe ihr um persönliche Glaubwürdigkeit, wenn sie einen Kinderwagen oder ein Picknick mit Deliveroo in Szene setzt. Als „Markenbotschafterin“ bekommt sie Produkte kostenlos und eine Provision, wenn der Verkauf über ihre Blogseite läuft. Markenhersteller und Agenturen engagieren Blogger_innen, weil sie direkten Kontakt zur Zielgruppe haben. Wenn es um die Reichweiten geht, seien diese mitunter blauäugig, verriet Neumann, denn Followerzahlen könnten auch gekauft werden.
Jörg Luibl, Chefredakteur von „4players“, einem online-Spielemagazin, beschrieb das Spannungsfeld zwischen journalistischem Anspruch und Finanzierung. 2000 als Startup gegründet, wechselte das Magazin zweimal den Besitzer und gehört jetzt zur Computec Media GmbH. „4Players“ bewertet Computerspiele nach journalistischen Kriterien. Wenn das Testurteil schlecht ausfällt, haben sie die „Publisher im Nacken“, die dann mit Entzug von Werbung drohen, mit der das online-Magazin sich wiederum finanziert. Für die Spielehersteller ist es mittlerweile „cooler“, mit Netplayern auf YouTube zu kooperieren, die sich beim Spielspaß filmen lassen. Seit 2006 habe sich ein „inzestiöses System“ entwickelt: „PR-Manager gehen davon aus, dass man Spieletester kaufen kann.“
Journalismusfinanzierung durch Nutzer_innen und die Öffentlichkeit
Christian Hasselbring, Chef des Business Development beim Micropayment-Anbieter LaterPay stellte das Bezahlmodell vor, das sowohl Verlage (Bsp. „Hamburger Morgenpost“) als auch einzelne Publizist_innen (Bsp. Ingo Storl, „Der Selbstversorger“) nutzen können. Ausgehend davon, dass der digitale Markt aus vielen kleinen Zielgruppen besteht, sollten auch journalistische Angebote aufgesplittet werden – ein paar Cents für einen Artikel, ein Zeitpass oder ein Monatsabo für alle Texte. Kassiert wird erst nach dem Lesen. Die Nutzer_innen sollen so ans Bezahlen gewöhnt werden. LaterPay liefert die notwendige Software und bekommt15 Prozent vom Umsatz. Micropayment-Anbieter Blendle, der auch M-Texte für registrierte Nutzer_innen offeriert, kassiert 30 Prozent.
Ein Plädoyer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hielt die Medienfachjournalistin Brigitte Baetz in ihrem Vortrag zum Rundfunkbeitrag als „Garant für unabhängige Information“. Wer sonst versorgt alle Bürgerinnen und Bürger zuverlässig, ist relativ staatsfern und unabhängig von ökonomischen Verwerfungen, fördert Kultur und ist einer der wichtigsten Arbeitgeber für Journalist_innen? Zwei Prozent von der Haushaltsabgabe erhalten zudem die Landesmedienanstalten, die den privaten Rundfunk kontrollieren und – so fragte Baetz: „Wer schaut denn der Presse auf die Finger, wenn sie es selber nicht mehr tut?“
In der anschließenden Diskussion gab es Widerspruch: öffentliche Gelder fließen in teure Sportrechte, saturierte Hierarchen schließen unbekümmerte Verträge (Bsp. Gottschalk), technische Innovationen gehen mit faktischen Honorareinsparungen daher, die Sender lassen sich durch Verlage und Politik unter Druck setzen. Dennoch war man sich darin einig, dass viele Innovationen von Öffentlich-Rechtlichen gefördert werden und der Einsatz der Gelder eine „Aushandlungssache“ ist.
Mut zum Ausprobieren
„Wer Journalismus liebt, der braucht Mut“, resümierte dju-Bundesvorsitzender Uli Janßen: Mut zum Ausprobieren und Experimentieren, zur Selbstreflexion, auch kaufmännischen Mut, Offenheit für neue Arbeitsfelder. Bei aller Wertschätzung müssten die Grenzen zu PR transparent bleiben, um Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des Journalismus zu sichern. Und mit Verweis auf die aktuellen Tarifverhandlungen sagte Janßen: “Ordentliche Bezahlung ist Grundlage für guten Journalismus.“
Die Vorträge und Handouts der Referent_innen können auf der Seite der dju im PDF-Format heruntergeladen werden: https://dju.verdi.de/medientage