Interview mit Jörg Armbruster, Leiter Ausland/Europa SWR und Moderator des „Weltspiegel“
M | Ist die Auslandsberichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Quotenkiller?
JÖRG ARMBRUSTER | Nein, auf keinen Fall. Das merken wir auch am „Weltspiegel“. Der „Weltspiegel“ hat kontinuierlich um die zehn Prozent Marktanteil. Damit können wir nicht zufrieden sein, ein bisschen mehr wäre sicher besser. Aber von Quotenkiller kann keine Rede sein.
M | Größere Dokumentationen zu Auslandsthemen werden häufig zu mitternächtlicher Stunde nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesendet, falls sie nicht gleich bei Phoenix landen. Fehlt es an einer Lobby fürs Ausland?
ARMBRUSTER | Na ja, es stimmt nicht, dass solche Programme gleich bei Phoenix landen. Die werden erst in der ARD oder in den Dritten Programmen gesendet. Gerade die Dritten Programme profilieren sich mit der Auslandsberichterstattung. Der SWR hat seinen wöchentlichen „Auslandsreporter“, auch der BR und der WDR verfügen über eine ähnliche Programmstrecke. Die späte Sendezeit ist das Schicksal aller Dokumentationen, egal ob Inland oder Ausland. Ich selbst wünsche mir auch eine frühere Ausstrahlung, habe aber keinen Einfluss darauf.
M | Ihr BR-Kollege Thomas Morawski sieht das Fernsehen da, wo es ums Ausland geht, als eine Art „Flaschenhals“. Die Berichterstattung bleibe weitgehend auf Nachrichten beschränkt, statt Hintergrundinfos gebe es einen „Kessel Buntes“. Was halten Sie von dieser Kritik?
ARMBRUSTER | Die teile ich nicht. Schauen Sie sich unseren „Weltspiegel“ an. Wir machen sicher auch bunte Themen, aber genauso gibt es harte Politikthemen, etwa die Georgien- und Nahost-Berichterstattung. Diese Themen stoßen beim Zuschauer nicht immer auf eine Riesenresonanz, aber wir halten sie für notwendig und machen sie. Den Vorwurf, die Berichterstattung liefere nur einen „Kessel Buntes“, kann ich nicht nachvollziehen.
M | Die ARD rühmt sich – vermutlich zu Recht – des größten Korrespondentennetzes der Welt. Die Studie „Deutsche Auslandskorrespondenten“ verweist allerdings auf die Existenz beträchtlicher weißer Flecken.
Südamerika und Afrika etwa stoßen in den Heimatredaktionen nicht gerade auf überbordendes Interesse. Ist am Vorwurf des „Eurozentrismus“ was dran?
ARMBRUSTER | Natürlich kann man über Afrika viel mehr berichten, als es heute der Fall ist. Das gilt auch für Lateinamerika, obwohl wir gerade mit unseren beiden Korrespondenten vom SWR sehr viele und sehr gute Stücke aus Lateinamerika machen. Aber sicher gibt es immer noch graue Flecken, die noch intensiver bearbeitet werden können. Das diskutieren wir auch immer wieder in den Auslandskonferenzen.
M | Der ehemalige ZDF-Nahostkorrespondent Ulrich Tilgner hat eine angeblich zu starke Regierungstreue mancher deutscher Medien bei der Berichterstattung über Krisenregionen wie etwa Afghanistan kritisiert. Wie beurteilen Sie die Leistung von „embedded“ Reportern?
ARMBRUSTER | Für Afghanistan kann ich das nicht beurteilen, weil ich noch nie da war. Ich war selbst „embedded“ bei den Amerikanern. Das ist eine Form der Berichterstattung, die ich für durchaus legitim halte. Sie wird aber dann zum Problem, wenn sie nur „embedded“ stattfindet und nicht noch andere unabhängige Informationsquellen mit benutzt werden, aber das scheint doch auch in Afghanistan der Fall zu sein.
Die Berichterstattung aus Krisen und Kriegsregionen aus der Ferne zu beurteilen, halte ich für sehr heikel. Daher vertraue ich auch den Korrespondenten vor Ort, die sagen: Ich kann es nur so machen.
M | Warum gibt es eigentlich bis heute keinen festen deutschen Korrespondenten in Afghanistan? Schließlich wird doch – um den ehemaligen Verteidigungsminister Peter Struck zu zitieren – „unsere Freiheit auch am Hindukusch verteidigt“…
ARMBRUSTER | (lacht): Ich weiß nicht, ob unsere Freiheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Aber diese Frage müssen Sie dem Mitteldeutschen Rundfunk stellen. Der ist zuständig für Afghanistan.
M | Auslandsberichterstattung orientiert sich meist an den drei K’s: Krisen, Kriege, Katastrophen, manche fügen noch ein viertes K für Krankheiten hinzu.
Ist es nicht verständlich, dass das Publikum angesichts einer solchen „Negativberichterstattung“ auf die Dauer solcher Themen überdrüssig wird?
ARMBRUSTER | Das tun wir ja gerade nicht. Gerade beim „Weltspiegel“ achten wir darauf, dass unsere Sendungen nicht nur aus den berühmten K’s besteht, sondern in der Mischung auch Land-und-Leute-Stücke enthalten, Alltagsstücke. Das lässt sich vielleicht noch steigern.
Aber es gibt eben auch Perioden, wo man über Krisen und Kriege berichten muss, wie etwa jetzt in Georgien.
M | Vor den Olympischen Spielen in Peking war die ZDF-Moderatorin Marietta Slomka eine Woche lang mit einer Art Filmtagebuch aus China auf dem Bildschirm präsent. Ist so etwas legitim oder handelt es sich dabei eher um einen besorgniserregenden Trend zur Boulevardisierung der Auslandsberichterstattung?
ARMBRUSTER | Wenn das die künftige Form der Auslandsberichterstattung wäre und es nur noch so gemacht würde, dann hätte ich meine Probleme damit. Aber wenn das einmalig im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen gemacht wird, dann ist das legitim.
Und wenn das in vier Jahren in England wieder passiert, fände ich es auch nicht weiter problematisch. Es darf nur nicht die Regel werden.
M | Sie plädieren ja auch für mehr Alltagsgeschichten zum besseren Verständnis einer andersartigen Kultur und bedauern zugleich, dass solche Stücke in der Auslandsberichterstattung nur wenig Chancen haben …
ARMBRUSTER | … in Zeiten von Krisen und Kriegen! Das ist mir ganz wichtig. Denn in solchen Zeiten werden normale Geschichten natürlich überlagert von Krisen-und-Kriegsgeschichten. Das ist leider so, wegen der begrenzten Sendezeit.
M | Nimmt der Aktualitätsdruck im Nachrichten- und Auslandsjournalismus zu?
ARMBRUSTER | Eindeutig ja. Deswegen müssen die Büros auch so mit Manpower und Technik ausgerüstet werden, damit sie diesem Druck standhalten können.
M | Einige Korrespondenten klagen über die Agenturhörigkeit ihrer Heimatredaktionen. Exklusiv angebotene Themen werden abgeschmettert. Was bei dpa oder AP nicht gelaufen ist, könne wohl nicht relevant sein. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
ARMBRUSTER | Ich würde es nicht Agenturhörigkeit oder -gläubigkeit nennen. Man diskutiert natürlich über Agenturmeldungen, gerade über Opferzahlen oder über Ereignisse. Der Korrespondent – das darf man nicht vergessen – ist nicht überall. Auch er ist auf Agenturen angewiesen. Aber ich kann nicht sagen, dass ein exklusives, besonders gutes Thema von mir abgelehnt wurde, nur weil die Kollegen von ARD Aktuell es noch nicht in den Agenturen gelesen hatten. Begriffe wie Agenturhörigkeit sind Totschlagargumente.
M | Wie verändert sich das Anforderungsprofil an Korrespondenten durch die Digitalisierung? Vielfach sind die Heimatredaktionen über die Ereignisse im Ausland ja wirklich schneller informiert als der Korrespondent vor Ort.
ARMBRUSTER | Der Korrespondent ist kein Einzelkämpfer. Er ist auf seine Mitarbeiter vor Ort angewiesen, aber ebenso auf die Kollegen in der Heimatredaktion und bei ARD Aktuell, die ihn informieren, die ihn vielleicht auch ein bisschen führen. Als ich selbst in Bagdad im Palestine Hotel saß, konnte etwas im Südirak passiert sein, was ich selbst noch nicht mitbekommen hatte. In einer solchen Situation war ich darauf angewiesen, dass mich meine Kollegen von ARD Aktuell darauf aufmerksam machten. Diese Kooperation dürfte in den nächsten Jahren noch wichtiger werden als sie heute schon ist.
M | Der WDR-Rundfunkrat hat unlängst angeregt, Auslandsthemen verstärkt auch in Sendungen wie dem ARD-„Presseclub“ oder „Anne Will“ aufzugreifen. Ist das wünschenswert und realisierbar?
ARMBRUSTER | Zunächst mal wird es hoffentlich vor den Europawahlen in diesen Sendungen verstärkt zu europäischen Themen kommen. Ich finde das nicht verkehrt, sondern würde es begrüßen.