Mehr Freie in die Personalräte

Jörg Schönenborn, Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung, ARD-FreienKongress Foto: Taimas Ahangari

Dem Rundfunkbeitrag droht eine Nullrunde, die wegen der hohen Inflation eine Budgetkürzung bedeutet. Man müsse sich „gemeinsam den Herausforderungen stellen“, so WDR-Intendant Tom Buhrow bei der Eröffnung des diesjährigen ARD-Freienkongresses in Köln. Freie prägen das Programm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, doch wenn es ums Geld geht, sind sie die Manövriermasse. Das wollten die über 200 Teilnehmenden aus ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht länger hinnehmen. Sie fordern mehr Mitbestimmung.

Eingeladen hatte der ARD-Freienrat, der etwa 18.500 feste „arbeitnehmerähnliche“ und freie Mitarbeitende im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) vertritt. In zwei hochkarätig besetzten Podien und sechs intensiven Paneldiskussionen ging es neben der Arbeitssituation von Freien um medienpolitische Fragen zur Rolle des ÖRR für die Demokratie. Wenn die Programmqualität nicht auf der Strecke bleiben soll, müssten die Freien stärker an der Reform der ARD beteiligt werden. Bei Finanzierungsfragen sollten die „Intendanten offensiver vorgehen“ und „nicht auf den Anruf aus der Staatskanzlei warten“, so Stimmen von Kongressteilnehmenden.

Christoph Reinhardt, Vorsitzender der RBB-Freienvertretung kritisierte, dass Freie – mit Ausnahme der Kolleg*innen beim SWR, wo es einen Bestandsschutz-Tarifvertrag gibt – als „Tagelöhner“ nicht nur unsicher beschäftigt seien, sondern auch bedeutend weniger verdienten als Angestellte. „Aber Geld ist nicht alles“, so Reinhardt, es mangele auch an Wertschätzung. Warnende Stimmen aus dem Teilnehmendenkreis wurden laut: Freie Mitarbeitende beim ÖRR hätten eine „hohe intrinsische Motivation“, aber „es gibt Schmerzgrenzen“. In Zeiten des demografischen Wandels, wenn viele feste und freie Beschäftigte in Rente gehen, sollten die Anstalten konkurrenzfähig bleiben, denn die Kompetenzen von Freien, die sich regelmäßig weiterqualifizieren, seien auch bei privaten Medienunternehmen und Agenturen gefragt.

Mit Blick auf die Bedienung mehrerer Ausspielkanäle – Audio, Video, Online – kritisierte die stellvertretende Vorsitzende des WDR-Personalrats und Kongressmoderatorin Stephanie Hajdamowicz: „Wir machen mehr Arbeit für weniger Geld.“ Ihre Personalrats-Kollegin Anja Arp brachte es auf den Punkt: „Wir sind zu einer Art eierlegenden Wollmilchsau geworden.“ Doch bei den aktuellen Verhandlungen über einen neuen, an die digitale Welt angepassten Honorarrahmen drohte den WDR-Freien in einigen Bereichen eine 30prozentige Honorarkürzung. Dank massiver Proteste in den Landesstudios und Informationen über die realen Beschäftigungssituationen sei es gelungen, den „unannehmbaren Vorschlag“ abzuwenden und neu weiterzuverhandeln, so Arp.

Personalräte: „Einmalige Chance, mitzubestimmen“

Beim WDR sind 10 von 23 Personalratsmitgliedern Freie. Auch bei Radio Bremen, HR, SWR, SR, NDR, DW und ZDF sitzen feste Freie im Personalrat. In den anderen Rundfunkanstalten gibt es Freien-Vertretungen. Feste Freie sollten in den Personalräten aller ARD-Sender vertreten sein, forderte Hajdamowicz, die auch zum Vorstand des ARD-Freienrats gehört. Für die Landesrundfunkanstalten gilt das Landespersonalvertretungsgesetz. Mehrländeranstalten können sich auf das Bundespersonalvertretungsgesetz berufen, das 2021 so novelliert wurde, dass es in der Regelung für die Deutsche Welle auch für arbeitnehmerähnliche Beschäftigte gilt. Auf dieser Grundlage kamen nicht nur bei der DW, sondern auch beim NDR Freie in den Personalrat. „Ab dem kommenden Jahr voraussichtlich auch beim RBB“, so Hajdamowicz: “Wir gehen davon aus, dass die Änderung auch für die Freien des Deutschlandradios durchschlägt und fordern, dass endlich auch die MDR-Länder und Bayern den Weg freimachen.“

Die gesetzliche Vertretung für Feste und Freie in Beschäftigungsfragen bringt „einmalige Chancen, mitzubestimmen“, so Personalrätin Hajdamowicz, die auch beratend im Rundfunkrat sitzt: „Wir mischen mit!“ In der Gesprächsrunde wurde deutlich, dass Freie besser in den Sender integriert werden und nun auch die vielen nicht-journalistischen Kolleg*innen, die im Personalrat dominieren, Verständnis für die Arbeit in den Studios bekommen. Außerdem könnten sie Kolleg*innen so besser zu ihrem Recht verhelfen. Zum Beispiel hätten jüngere Journalist*innen hingenommen, 10,11 statt 8 Stunden im Schichtdienst ohne zusätzliche Bezahlung zu arbeiten. Das sei sofort korrigiert worden, als der Personalrat mit der Redaktionsleitung darüber sprach – ohne Namen zu nennen. In Tarifverträgen festgelegte Honorare seien „keine unverbindlichen Preisempfehlungen“, erklärte Manfred Kloiber vom DLR-Freienrat, sondern gesetzlich verbindlich und einklagbar.

Relevanten Rundfunk gibt’s nicht „zum Schnäppchenpreis“

 „Wir müssen unbequem bleiben – in Tarifrunden und Medienpolitik“, so Matthias von Fintel, ver.di-Bereichsleiter für Medien, Journalismus und Film. Er kritisierte eine abnehmende medienpolitische Rückendeckung für den ÖRR, obwohl die gesellschaftliche Anerkennung sehr hoch sei. In der Debatte bekämen die Befürworter eines Programmabbaus die Oberhand, trotz der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die Erfüllung des Rundfunkauftrags finanziell ausreichend abzusichern. Für Mehraufgaben, etwa den Aufbau der Mediathek als starke öffentliche Plattform, brauche man auch mehr Geld. Das Publikum müsse besser über das umfangreiche Angebot informiert werden. Gewerkschafter von Fintel kritisierte, dass der Online- und Digitalausbau auf Kosten des Personals ohne zusätzliche Ressourcen betrieben wird. Die Mitarbeitenden dürften aber keine weiteren Reallohnverluste erleiden, sodass es bei weniger Geld auch Programmeinschnitte geben werde.

WDR-Verwaltungsdirektorin Katrin Vernau meinte, beim Kampf um höhere Budgets müsse man die Kommission zur Ermittelung des Finanzbedarfs KEF überzeugen und „auch zeigen, dass wir aus eigener Kraft heraus sparen können“– etwa durch Zusammenlegung von Verbrauchermagazinen unterschiedlicher ARD-Anstalten. Wichtig sei, nach Ausgleich zu suchen und dabei fair zu handeln. Mit der Einrichtung der geplanten ARD-Kompetenzcenter für Klima, Verbraucher und Gesundheit, die alle Sender beliefern, würden Aufträge wegfallen und „wir Freie werden gegeneinander ausgespielt“, gab eine Kongressteilnehmende vom HR zu bedenken. Da helfe nur gute Vernetzung.

In der abschließenden Podiumsdiskussion waren sich alle einig, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unverzichtbar für die Demokratie ist. WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn betonte die Integrationsfunktion der Rundfunkanstalten, die einzelne Gruppen, aber auch die Gesellschaft als Ganzes ansprechen. So gebe es etwa Social-media-Kanäle für Gehörlose. Seit 2019 baue man die Mediathek aus, um konkurrenzfähig gegenüber kommerziellen Plattformen zu werden. Das führe aber zu einer Ressourcenkonkurrenz mit dem linearen Angebot der Landesstudios und einer Entregionalisierung. Als Landessender vor Ort sei der WDR geschätzt, als „Institution“ werde er kritisch gesehen.

Freienvertretungen müssen „dicke Bretter“ bohren

„Der RBB schwelt noch in den Köpfen“ der Menschen, meinte der nordrhein-westfälische CDU-Politiker Florian Braun. „Brauchen wir wirklich so viel Geld“, werde gefragt oder: „Gehört die Übertragung von Fußballweltmeisterschaften zum öffentlichen Auftrag?“ Auch die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur von den Grünen meinte, man müsse in der Politik immer Prioritäten setzen und zeigte sich skeptisch bezüglich des Rundfunkbeitrags: „Es wird Zumutungen geben!“ Als Moderator Stefan Tiyavorabun vom SWR und ARD-Freienrat fragte, warum mittlerweile sieben Ministerpräsidenten forderten, auf eine Beitragserhöhung zu verzichten, antwortete Publix-Gründerin Maria Exner, über Nullrunden für den ÖRR werde diskutiert, „um der AfD bei Wahlen das Wasser abzugraben“. DJV-Vorsitzender Frank Überall warnte Politiker*innen, „wenn die KEF eine Erhöhung empfehlen sollte, kein Öl ins Feuer zu gießen und ein Wahlkampfthema daraus zu machen.“

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Ausführlichere Informationen über den ARD-Freienkongress gibt es unter: http://www.ard-freie.de/

Medienpolitische Lobbyarbeit, aber auch die Förderung von Medienkompetenz sei notwendig, um das Beitrag zahlende Publikum vom Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu überzeugen. Rundfunkhäuser müssten sich öffnen und zeigen, wie Journalist*innen arbeiten, so Exner. Und zeigen, was die Arbeit freier Programm-Mitarbeitender wert ist – dafür engagieren sich die Freienvertretungen, auch wenn es „dicke Bretter“ zu bohren gilt. Das schafft die RBB-Freienvertretung mit ihrem Newsletter, den sie seit fünf Jahren wöchentlich herausbringt – mit großer Wirkung. Dafür erhielt sie den Wanderpreis „Das dicke Brett“ des ARD-Freienrates, den das jüngste Beispiel überzeugte: Bei den Tarifverhandlungen versuchte der RBB, eine Kappungsgrenze für Honorarerhöhungen so zu verändern, dass bei freien Mitarbeiter*innen 400.000 Euro gespart würden. Nach einem Bericht darüber sei ein solcher Shitstorm losgegangen, dass der Sender das Vorhaben nicht umsetzte.

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