Menschenrechte und Pressefreiheit

Pressefreiheit ist ein Grundrecht weltweit! Demonstration von Unterstützern des Internetportals Netzpolitik.org 2015 in Berlin gegen die staatsanwaltlichen Ermittlungen. Archivfoto: Britta Pedersen/dpa/Bildfunk

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So steht es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet wurde. In diesem Jahr wird der 75. Jahrestag dieser Erklärung gefeiert. Um die faktische Geltung der Menschenrechte steht es jedoch nach wie vor nicht zum Besten. Das erleben auch Journalist*innen, nicht nur wenn sie selbst über Menschenrechtsverletzungen berichten.

Am 30. November fiel vor dem Oberlandesgericht in Celle ein historisches Urteil. Wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verhängte das Gericht eine lebenslange Haftstrafe gegen den Ex-Soldaten Bai L.. Er war im Auftrag des ehemaligen Präsidenten Gambias Yahya Jammeh unter anderem am Mord des gambischen Journalisten Deyda Hydara beteiligt. Der nun abgeschlossene Prozess war der erste, der sich auf der Basis des Weltrechtsprinzips mit Menschenrechtsverletzungen befasste, die während der Ära Jammeh in Gambia begangen wurden. Dieses Prinzip gilt für die schwersten Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht. Es war die Grundlage für die Untersuchung und gerichtliche Aufarbeitung dieser Verbrechen in Deutschland, unabhängig davon, wo sie begangen wurden und unabhängig von der Nationalität der Tatverdächtigen oder Opfer.

„Es passiert nicht oft, dass derartige Verbrechen verurteilt werden“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF).

Mohammed bin Salman, der Kronprinz von Saudi-Arabien, habe sich bislang noch nicht für die Beauftragung des Mordes am Journalisten Jamal Kashoggi im Jahr 2018 in einer Istanbuler Botschaft verantworten müssen. Er hofft, dass das aktuelle Urteil im Fall Hydara die Ermittlungen gegen bin Salman beflügeln helfe.

„Wenn wir die Menschenrechte und die Menschenrechtsverteidiger schützen wollen, müssen wir die Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen beenden“, fordert Mihr.

Auch demokratische Regierungen nutzten zu selten die Möglichkeiten des Völkerstrafrechts. Häufig praktizierten sie stattdessen eine Politik des Shake Hands mit Diktatoren und Feinden der Pressefreiheit.

Digitale Rechte sind Menschenrechte

Für Mihr ist die Verteidigung der Menschenrechte im 21. Jahrhundert unmöglich ohne die Verteidigung digitaler Rechte. Derzeit seien weltweit mindestens 515 Journalisten in Haft. Die meisten seien bei ihrer Berufsausübung digital überwacht worden – oft mithilfe von Spionage-Software aus Deutschland und anderen EU-Staaten. Journalisten, die Korruption oder Menschenrechtsverletzungen von Regierungen untersuchten, liefen ein hohes Risiko, mit Pegasus, FinFisher oder anderen Spionage-Programmen attackiert zu werden. Weltweit arbeiteten Geheimdienste daran, Menschenrechtsverteidiger ins Visier zu nehmen und Journalist*innen mitsamt ihren Quellen auszuspähen. Leider sei auch nach jahrzehntelanger Debatte über Segen und Fluch des Internet das Problem der digitalen Überwachung immer noch kein Gegenstand der Menschenrechtsdebatte.  Mihr bekräftigt die RSF-Forderung nach einem Exportverbot für Spyware.

Die Rolle unabhängiger Medien

Mary Lawdor, Un-Sonderberichterstatterin zur Situation von Menschenrechtsverteidiger*innen, hebt die fundamentale Bedeutung freier und unabhängiger Medien hervor. Medienberichterstatter*innen würden eingeschüchtert, bedroht, verleumdet, willkürlichen Verhaftungen, gerichtlichen Schikanen, körperlicher Gewalt ausgesetzt, manchmal sogar getötet. Sie verweist auf den Fall der französischen Investigativreporterin Ariane Lavrilleux, die im September dieses Jahres ins Visier staatlicher Repression geraten war. Zum Verhängnis wurde ihr die Untersuchung über die Komplizenschaft der französischen Regierung an schweren Menschenrechtsverletzungen durch die ägyptische Armee. Verbrechen, die ohne ihre Arbeit vermutlich niemals ans Licht gekommen wären.

In Vietnam verbüßten derzeit Dutzende unabhängiger Journalisten langjährige Gefängnisstrafen, weil sie Verstöße gegen die Menschenrechte speziell in Umweltfragen im eigenen Land dokumentiert hätten. Als drittes Beispiel nennt Lawdor die gewaltsame Attacke auf die preisgekrönte russische Journalistin Jelena Milaschina im Juli dieses Jahres – Folge ihrer mutigen Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien.

Europäischen Journalisten-Föderation warnt

Im Vergleich zu anderen Weltregionen ist Europa immer noch ein sicherer Ort für Journalist*innen. „Aber ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern sich Tag für Tag“, sagt Renate Schroeder, Direktorin der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF). Zur Bewahrung der Pressefreiheit verdienten die Medienschaffenden solidarischen Rückhalt der Gesellschaft, egal ob es sich um Freelancer, Mitarbeiter*innen öffentlich-rechtlicher Medien, Investigativreporter*innen, Digital- oder Lokaljournalist*innen handle. Speziell der Ukraine-Krieg habe die Organisation erschüttert. Im Verbund diverser Bündnisorganisationen und der Unesco seien sechs Solidaritätszentren errichtet worden.

„Der Journalismus in Europa wird von einem kollektiven Burnout bedroht“, konstatiert Schroeder.

Die Medienbranche stehe sowohl wirtschaftlich als auch politisch unter Druck, und zwar nicht nur von Seiten der üblichen Verdächtigen, den illiberalen Regierungen Ungarns, Polens und neuerdings wieder der Slowakei. Selbst in Ländern wie Frankreich, Griechenland, Italien sei die Pressefreiheit bedroht, “ganz zu schweigen von der nie dagewesenen Machtfülle der großen Tech-Plattformen“. Journalisten würden in Rechtsstreitigkeiten, die sogenannten SLAPPS involviert und bei der Arbeit behindert. Neben Überwachung durch Spähsoftware litten sie unter Zensur oder Selbstzensur.

Menschenrechte auf allen Ebenen

Noch immer seien fünf brutale Morde an Journalist*innen allein in den EU-Staaten nicht aufgeklärt. Oft versäumten es die Regierungen, die rechtlichen Arbeitsbedingungen der Medien zu gewährleisten. Nicht selten setzten private Medienunternehmen nicht nur ihre ökonomischen, sondern auch ihre politischen Interessen durch. Interessen, die nicht die Interessen der Gesellschaft seien. Wo aber der politische Wille zur Regulierung von Fehlentwicklungen auf nationaler Ebene fehle, bedürfe es internationaler oder europäischer Instrumente. „Darum“, so Schroeder, “kämpfen wir auf europäischer Ebene für einen starken Media Freedom Act (EMFA) und seine Implementierung im nationalen Recht hoffentlich aller 27 Mitgliedsstaaten.“


Mehr zum Thema: RSF erfolgreich für die Pressefreiheit

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

RBB will Fehler analysieren

Der RBB räumte bereits schwerwiegende Fehler bei der Berichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ein. In einer internen Sondersitzung soll nun ein weiteres Vorgehen geklärt werden. Um den Aufklärungsprozess „konstruktiv zu begleiten“, habe der rbb-Programmausschuss für kommenden Montag eine Sondersitzung einberufen, so der Sender. Darin soll es offenbar um die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Beratungsfirma Deloitte gehen.
mehr »

Filmtipp: Dietrich Bonhoeffer

Das unter anderem mit August Diehl und Moritz Bleibtreu sehr gut besetzte Drama setzt einerseits ein Denkmal für den Widerstandskämpfer. Andererseits ist es umstritten, weil Dietrich Bonhoeffer im Zusammenhang mit dem Film durch rechtsnationale amerikanische Evangelikale instrumentalisiert wird. Zum US-Start waren die Nachfahren des im KZ hingerichteten deutschen Theologen entsetzt, wie sein Vermächtnis „von rechtsextremen Antidemokraten" und „religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht" werde. Inhaltlich ist die Aufregung unbegründet. Trotzdem ist der Film nur mit Abstrichen sehenswert.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »