„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So steht es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet wurde. In diesem Jahr wird der 75. Jahrestag dieser Erklärung gefeiert. Um die faktische Geltung der Menschenrechte steht es jedoch nach wie vor nicht zum Besten. Das erleben auch Journalist*innen, nicht nur wenn sie selbst über Menschenrechtsverletzungen berichten.
Am 30. November fiel vor dem Oberlandesgericht in Celle ein historisches Urteil. Wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verhängte das Gericht eine lebenslange Haftstrafe gegen den Ex-Soldaten Bai L.. Er war im Auftrag des ehemaligen Präsidenten Gambias Yahya Jammeh unter anderem am Mord des gambischen Journalisten Deyda Hydara beteiligt. Der nun abgeschlossene Prozess war der erste, der sich auf der Basis des Weltrechtsprinzips mit Menschenrechtsverletzungen befasste, die während der Ära Jammeh in Gambia begangen wurden. Dieses Prinzip gilt für die schwersten Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht. Es war die Grundlage für die Untersuchung und gerichtliche Aufarbeitung dieser Verbrechen in Deutschland, unabhängig davon, wo sie begangen wurden und unabhängig von der Nationalität der Tatverdächtigen oder Opfer.
„Es passiert nicht oft, dass derartige Verbrechen verurteilt werden“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF).
Mohammed bin Salman, der Kronprinz von Saudi-Arabien, habe sich bislang noch nicht für die Beauftragung des Mordes am Journalisten Jamal Kashoggi im Jahr 2018 in einer Istanbuler Botschaft verantworten müssen. Er hofft, dass das aktuelle Urteil im Fall Hydara die Ermittlungen gegen bin Salman beflügeln helfe.
„Wenn wir die Menschenrechte und die Menschenrechtsverteidiger schützen wollen, müssen wir die Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen beenden“, fordert Mihr.
Auch demokratische Regierungen nutzten zu selten die Möglichkeiten des Völkerstrafrechts. Häufig praktizierten sie stattdessen eine Politik des Shake Hands mit Diktatoren und Feinden der Pressefreiheit.
Digitale Rechte sind Menschenrechte
Für Mihr ist die Verteidigung der Menschenrechte im 21. Jahrhundert unmöglich ohne die Verteidigung digitaler Rechte. Derzeit seien weltweit mindestens 515 Journalisten in Haft. Die meisten seien bei ihrer Berufsausübung digital überwacht worden – oft mithilfe von Spionage-Software aus Deutschland und anderen EU-Staaten. Journalisten, die Korruption oder Menschenrechtsverletzungen von Regierungen untersuchten, liefen ein hohes Risiko, mit Pegasus, FinFisher oder anderen Spionage-Programmen attackiert zu werden. Weltweit arbeiteten Geheimdienste daran, Menschenrechtsverteidiger ins Visier zu nehmen und Journalist*innen mitsamt ihren Quellen auszuspähen. Leider sei auch nach jahrzehntelanger Debatte über Segen und Fluch des Internet das Problem der digitalen Überwachung immer noch kein Gegenstand der Menschenrechtsdebatte. Mihr bekräftigt die RSF-Forderung nach einem Exportverbot für Spyware.
Die Rolle unabhängiger Medien
Mary Lawdor, Un-Sonderberichterstatterin zur Situation von Menschenrechtsverteidiger*innen, hebt die fundamentale Bedeutung freier und unabhängiger Medien hervor. Medienberichterstatter*innen würden eingeschüchtert, bedroht, verleumdet, willkürlichen Verhaftungen, gerichtlichen Schikanen, körperlicher Gewalt ausgesetzt, manchmal sogar getötet. Sie verweist auf den Fall der französischen Investigativreporterin Ariane Lavrilleux, die im September dieses Jahres ins Visier staatlicher Repression geraten war. Zum Verhängnis wurde ihr die Untersuchung über die Komplizenschaft der französischen Regierung an schweren Menschenrechtsverletzungen durch die ägyptische Armee. Verbrechen, die ohne ihre Arbeit vermutlich niemals ans Licht gekommen wären.
In Vietnam verbüßten derzeit Dutzende unabhängiger Journalisten langjährige Gefängnisstrafen, weil sie Verstöße gegen die Menschenrechte speziell in Umweltfragen im eigenen Land dokumentiert hätten. Als drittes Beispiel nennt Lawdor die gewaltsame Attacke auf die preisgekrönte russische Journalistin Jelena Milaschina im Juli dieses Jahres – Folge ihrer mutigen Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien.
Europäischen Journalisten-Föderation warnt
Im Vergleich zu anderen Weltregionen ist Europa immer noch ein sicherer Ort für Journalist*innen. „Aber ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern sich Tag für Tag“, sagt Renate Schroeder, Direktorin der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF). Zur Bewahrung der Pressefreiheit verdienten die Medienschaffenden solidarischen Rückhalt der Gesellschaft, egal ob es sich um Freelancer, Mitarbeiter*innen öffentlich-rechtlicher Medien, Investigativreporter*innen, Digital- oder Lokaljournalist*innen handle. Speziell der Ukraine-Krieg habe die Organisation erschüttert. Im Verbund diverser Bündnisorganisationen und der Unesco seien sechs Solidaritätszentren errichtet worden.
„Der Journalismus in Europa wird von einem kollektiven Burnout bedroht“, konstatiert Schroeder.
Die Medienbranche stehe sowohl wirtschaftlich als auch politisch unter Druck, und zwar nicht nur von Seiten der üblichen Verdächtigen, den illiberalen Regierungen Ungarns, Polens und neuerdings wieder der Slowakei. Selbst in Ländern wie Frankreich, Griechenland, Italien sei die Pressefreiheit bedroht, “ganz zu schweigen von der nie dagewesenen Machtfülle der großen Tech-Plattformen“. Journalisten würden in Rechtsstreitigkeiten, die sogenannten SLAPPS involviert und bei der Arbeit behindert. Neben Überwachung durch Spähsoftware litten sie unter Zensur oder Selbstzensur.
Menschenrechte auf allen Ebenen
Noch immer seien fünf brutale Morde an Journalist*innen allein in den EU-Staaten nicht aufgeklärt. Oft versäumten es die Regierungen, die rechtlichen Arbeitsbedingungen der Medien zu gewährleisten. Nicht selten setzten private Medienunternehmen nicht nur ihre ökonomischen, sondern auch ihre politischen Interessen durch. Interessen, die nicht die Interessen der Gesellschaft seien. Wo aber der politische Wille zur Regulierung von Fehlentwicklungen auf nationaler Ebene fehle, bedürfe es internationaler oder europäischer Instrumente. „Darum“, so Schroeder, “kämpfen wir auf europäischer Ebene für einen starken Media Freedom Act (EMFA) und seine Implementierung im nationalen Recht hoffentlich aller 27 Mitgliedsstaaten.“