Die Unterstützung für Medienschaffende in der Ukraine und für mutige russische Journalist*innen seit Beginn des Angriffskrieges durch Russland, standen im Fokus der Arbeit von Reporter ohne Grenzen (RSF) Deutschland 2022. Das vergangene Jahr fiel in den Berichtszeitraum, mit dem sich die Mitgliederversammlung der NGO am 6. Dezember befasste. Es ging einher mit einem hohen Spendenaufkommen und einer wachsenden Zahl von Mitarbeitenden. Turnusmäßig wurde der Vorstand neu gewählt.
Hilfe für die Berichterstatter*innen und ihre Angehörigen in Gaza kommt in diesen Tagen von RSF durch die Versorgung etwa mit Stromaggregaten und Powerbanks. Nachdrücklich fordert die Organisation von den ägyptischen und israelischen Behörden die Öffnung des Grenzübergangs in Rafah, an dem Medienschaffende feststecken, die aus dem Norden fliehen mussten. Bislang sind nach RSF-Informationen im Gazastreifen 58 palästinensische Medienschaffende bei israelischen Angriffen getötet worden, 14 von ihnen bei der Ausübung ihrer Arbeit. In diesem Krieg seien bisher so viele Journalist*innen getötet worden wie in keinem anderen Krieg des 21. Jahrhunderts, betonte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
Hilfe für Journalist*innen im Exil
Nicht vergessen seien die Repressionen gegen Medienschaffende in Belarus, so Mihr. Sie seien durch den russischen Krieg gegen die Ukraine eher in den Schatten getreten. Jedoch unterdrücke das Regime Lukaschenko seit Amtsantritt massiv unabhängigen Journalismus. Etwa 500 Medienschaffende sind aus Belarus geflohen, mindesten 35 Journalist*innen seien inhaftiert. Mihr verwies in diesem Zusammenhang auf den im April 2022 gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung gegründeten European Fund für Journalism in Exile (JX Fund). Seither „wurden neun Medien aus Belarus, sechs Medien aus der Ukraine und 36 Medien aus Russland bei ihrem Neuanfang im Exil unterstützt. Insgesamt 1409 Medienschaffende konnten so in 25 Exilländern ihre Arbeit fortsetzen“, heißt es im RSF-Jahresbericht 2022.
Auch auf dem Gebiet des Völkerrechts ist RSF aktiv. Fast 20 Jahre nach dem Mord an dem gambischen unabhängigen Journalisten Deyda Hydra kam es im April 2022 vor dem Oberlandesgericht Celle zum Prozess gegen einen Tatverdächtigen nach dem Weltrechtsprinzip. Es ermöglicht die Untersuchung und Verfolgung schwerster Verbrechen nach dem Völkerrecht, unabhängig vom Ort der Tat und der Staatsangehörigkeit Beschuldigter oder Opfer. RSF hat den Prozess beobachtet und vor Ort begleitet. Am 31. November wurde der Angeklagte Bai L. (Az.: 5 StS 1/22) vom 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach 62. Verhandlungstagen wegen Mordes in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Tötung in drei Fällen, darunter des Journalisten Hydra, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Digitale Überwachung
Online-Überwachung ist seit langem ein weiteres wichtiges Thema für RSF. Vorstandsmitglied Matthias Spielkamp hob das im Juli 2022 gestartete Digital Security Lab (DSL) hervor. In diesem Digitalforensischen Labor sorgen Expert*innen dafür, dass Journalist*innen, die den Eindruck haben, dass sie überwacht werden, prüfen lassen können, ob das tatsächlich der Fall ist. Das sei ein aufwendiges Verfahren und konnte, auch in Zusammenarbeit mit Partnern wie Amnesty International, gemeinsam strukturiert werden – „ein Teamerfolg“. Seit Anfang dieses Jahres seien von etwa 300 Journalist*innen Daten verarbeitet und auf, zum Beispiel Spionagesoftware, untersucht werden, so Spielkamp.
Als Erfolg wertete Spielkamp auch das Vorgehen von RSF gemeinsam mit Partnerorganisationen gegen die FinFisher-Unternehmensgruppe, die inzwischen Insolvenz angemeldet hat. Bereits 2019 hatten die Organisationen Strafanzeige gegen einen Geschäftsführer erstattet. Am 3. Mai 2023 hat die Staatsanwaltschaft München gegen vier Verantwortliche Anklage erhoben. Ihnen wird vorgeworfen durch den Verkauf von Überwachungssoftware an Nicht-EU-Länder vorsätzlich gegen Genehmigungspflichten für Dual-USE-Güter verstoßen und sich damit strafbar gemacht zu haben.
Aufgrund der zahlreichen Unterstützer*innen konnten die Einnahmen von RSF 2022 durch Spenden – darunter aus dem Erbschaftsfundraising –, Fördermittel für den JXFund, Verkäufe des Buches „Fotos für die Pressefreiheit“ und vielem mehr erneut gesteigert werden und erreichten mehr als 5,5 Millionen Euro. Dazu kommen die Mitgliedsbeiträge der inzwischen fast 3500 Mitglieder von RSF, etwa die Hälfte davon sind Fördermitglieder. Der deutlichste Spendenanstieg ist dabei im Zuge des Krieges gegen die Ukraine zu verzeichnen gewesen. Folgerichtig sind fast eine Million Euro zur Unterstützung von Journalist*innen in den JXFund geflossen.
Wechsel im Vorstand von RSF
Mit großer Zustimmung dankte die Mitgliederversammlung der Arbeit des Geschäftsführers Christian Mihr und dem ehrenamtlich arbeitenden Vorstand sowie den inzwischen 54 Mitarbeitenden in der deutschen Sektion von RSF. Alle fünf Ehrenamtlichen wurden wieder gewählt. Michael Rediske, der zu den Gründern von Reporter ohne Grenzen in Deutschland vor bald 30 Jahren zählt, trat als langjähriger geschäftsführender Vorstand in die zweite Reihe zurück. Seine Position hat nun Martin Kaul neben Katja Gloger übernommen. Weitere Beisitzer*innen sind Gemma Pörzgen und Matthias Spielkamp.
Großer Dank galt vor allem Christian Mihr, der zwölf Jahre als Geschäftsführer Reporter ohne Grenzen in Deutschland geprägt hat. Er wird ab dem 1. Februar als Stellvertretender Generalsekretär dem neu gebildeten vierköpfigen Geschäftsleitungsteams von Amnesty International in Berlin angehören. „Christian Mihr hat als Person und mit seinem Team entscheidend dafür gesorgt, dass RSF heute in Deutschland zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Stimmen gehört – nicht nur für die Pressefreiheit, sondern auch für die Sicherung der Freiheitsrechte im digitalen Raum“, heißt es bei RSF.