Mit am Tisch sitzen und selber bestellen

Kurzweilige Diskussion über "Vielfalt in den Medien": Manfred Hattendorf, Abteilungsleiter Film und Planung beim SWR; Kabarettistin und Schauspielerin Idil Nuna Baydar; SWR-Moderator Stephan Lenhard; Schauspieler, Produzent, Choreograph und Tänzer Eugene Boateng sowie Dieu Hao Do, Regisseur, Initiative Vielfalt im Film (v.l.n.r.) Foto: SWR/Patricia Neligan

„Wir brauchen Teilhabe, nicht nur Teilnahme – das ist mehr, als nur dabei zu sein!“ Dieses Fazit zog Anna Koktsidou, SWR-Beauftragte für Vielfalt und Integration aus den Diskussionen beim jüngsten Medienforum Migration Mitte der Woche. In den konstruktiven Gesprächsrunden ging es um Identitätsfragen, Rassismus, ausgrenzende Sprache, Karrierechancen, Vorbilder, Diversitätsquoten und die Rolle der Medien für das „Wir“ der Einwanderungsgesellschaft.

Wie diese Teilhabe im Sinne einer inklusiven Gesellschaft gelingen kann, loteten bunt besetzte Runden aus Menschen mit verschiedenen (Migrations-)biografien aus. Über 100 Interessierte verfolgten die Podiumsgespräche im Internet. Beim Thema Deutschsein nannten die Diskutant*innen der ersten Runde recht unterschiedliche Reaktionen auf die Frage nach ihrer Herkunft: genervt oder erfreut, je nachdem, ob die Frage als ausgrenzend (impliziert „Du bist anders“) oder neugierig, interessiert („kann mein Wissen über Russlanddeutsche verbreiten“) empfunden werde.

Die „deutsche Identität“ sei im Wandel hin zu einer postmigrantischen Gesellschaft, in der es „die Deutschen“ und „die Migranten“ nicht mehr gebe, war sich die Runde einig. Doch insbesondere viele Ältere hätten Angst vor Veränderungen und deshalb zähle sie auf die jüngere Generation, so die schwarze Jurastudentin Perla Londole, die sich in der Black Communty Foundation Mainz engagiert. Von den Medien wünschte sie sich eine weniger oberflächliche Berichterstattung über Rassismus und mehr Vorbilder. So habe die Netflix-Serie um die Anwältin Annalise Keating sie ermuntert, Juristin zu werden. Auf einen konstruktiven Journalismus mit vielfältigen Perspektiven und mehr Zeit für Recherche setzte Rudaba Badakhshi von der Migrantinnen-Selbstorganisation DaMigra in Sachsen. Die Journalistin Ira Peter kritisierte sprachliche Ausgrenzungen. Deutsche aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, die sie in ihrem Podcast „Steppenkinder“ thematisiert, fühlten sich angegriffen, wenn sie als „Deutsch-Russen“ oder „Deutsch-Kasachen“ bezeichnet würden. Der Frankfurter Bühnenpoet und Autor Dalibor Marković meinte, die Berichterstattung gehe in die „richtige Richtung“ – hin zu mehr Vielfalt und Normalität.

Karrierewege stoßen an gläserne Decken

Doch für Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind die Aufstiegswege noch „hart und beschwerlich“, so Sozialwissenschaftlerin Sabrina Zajak, die Ergebnisse einer Studie zur  Repräsentanz in der bundesdeutschen Elite referierte. Obwohl Menschen mit Einwanderungsbiografie 26 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind sie in Führungspositionen nur mit neun Prozent vertreten, wobei die Hälfte von ihnen aus Westeuropa stammt. Da Ausgrenzung bereits in der Schule beginne, sollten dort Freundschaften und Kontakte gefördert werden. Um den Übergang ins Erwerbsleben zu erleichtern, sei eine von Rassismus freie Rekrutierung angezeigt. Aufstiege könnten durch Netzwerke unterstützt werden und weitere Datenerhebungen zur Repräsentanz.

In der anschließenden Diskussion berichteten Muhterem Aras, Grüne Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg und Salvatore Ruggiero, Marketingexperte bei der SCHOTT AG in Mainz, dass sie in ihrer Schulzeit Glück hatten und von Lehrer*innen, Freundeskreis, Familie und Nachbarschaft gefördert wurden. Sylvie Nantcha, CDU-Politikerin und Bundesvorsitzende von „The African Network of Germany“ kam als Germanistik-Studentin nach Deutschland und erlebte bei der Wohnungssuche und später am Arbeitsplatz Rassismus. Nachdem sie die Graduiertenakademie der Universität Freiburg aufgebaut hatte, wurde die Leitungsposition mit einer Deutschen besetzt. “Als schwarze Frau mit drei Kindern war ich ein Problem“, so Nantcha. Nun kämpft sie politisch dafür, dass „Türen geöffnet werden“. Der vierte in der Runde war SWR-Intendant Kai Gniffke, der als „alter, weißer Mann“ zwar nie gegen eine gläserne Decke stieß, aber als Kind nach dem Umzug von der Großstadt aufs Land erlebte, „wie es ist, nicht dazu zu gehören“.

Diversity spiele in der Wirtschaft wegen der globalisierten Strukturen bereits eine große Rolle, so Ruggiero. Teamgeist und Lebenslauf seien wichtiger als Abschlüsse. Da in den Medien noch Nachholbedarf besteht, will Gniffke ein Viertel aller Stellen in Moderationsteams, bei Azubis, Volontär*innen und Führungskräfte-Nachwuchs mit Menschen besetzen, die eine Einwanderungsbiografie haben: „Wir ziehen das jetzt durch, auch wenn der Vorwurf kommt, die Qualitätsstandards würden gesenkt!“ Der SWR habe schließlich den Auftrag, die gesellschaftliche Realität abzubilden und dazu gehöre, „die gläserne Decke zu zerdeppern“. Die beiden Politikerinnen betonten, dass Diskriminierung und Rassismus nicht immer als „individuelle Erfahrung“, sondern als strukturelle Probleme betrachtet werden müssen und da werde es „auch Streit um Positionen geben“, so Aras: „Wir wollen nicht nur am Tisch sitzen, sondern auch selber bestellen, was wir essen wollen.“

Strukturen für mehr Vielfalt in den Medien schaffen

Das wollten auch die Medienschaffenden, die über Vielfalt im Film diskutierten: Mehr Rollenvielfalt, andere Geschichten. Die Menschen dafür gibt es, aber sie kommen nicht zum Zuge, kritisierte der Regisseur Dieu Hao Do, der die erste repräsentative Studie zu Diversität vor und hinter der Kamera vorstellte. Fazit: Die Hälfte der Befragten haben Diskriminierung, 81 Prozent aller Frauen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt – die meisten bereits bei Vorgesprächen. Zwei von drei der Betroffenen meldeten die Übergriffe nicht und diejenigen, die das doch machten, kritisieren, dass es oft keine Konsequenzen für die Täter*innen gab. Obwohl die Diskriminierten durchaus über Besetzungs- und Gestaltungsmacht bei den erzählten Geschichten verfügen, bleiben die Filme klischeehaft. Das betrifft besonders die Darstellung von arabischen und muslimischen Menschen. Die meisten Befragten (83 Prozent) plädierten für Diversitätsquoten, um mehr Vielfalt zu befördern.

Befragt nach ihren eigenen Diskriminierungserfahrungen reagierten die Podiumsteilnehmer*innen mit Migrationsbiografie abwehrend. Betroffenheitsgeschichten erzähle sie lieber im vertrauten Kreis, wo sie nicht von Weißen angezweifelt werden, die doch auch „betroffen sind – aus Täterperspektive“, konterte Kabarettistin Idil Nuna Baydar. Dieu Hao Do stimmte ihr zu, auch er gehe beim Teilen von Rassismuserfahrungen selektiv vor und der schwarze Schauspieler Eugene Boateng wollte „ungern darüber reden“. Manfred Hattendorf, Abteilungsleiter Film und Planung beim SWR, der „weiße, privilegierte Mann“ in der Runde, möchte sich den „Fettnäpfchen stellen, in die ich tappe.“

Während Hattendorf bei der Suche nach Wegen zu mehr Vielfalt auf redaktionelle Selbstverpflichtung setzte, plädierten die Diskutant*innen mit Migrationsbiografie für Quoten. Das gehe schneller als die Eigeninitiative, die sie selbst erfolgreich machte, so Baydar. Mit ihrer Kunstfigur als aufmüpfige Kreuzberger Türkin Jilet Ayse habe sie auf YouTube „relativ schnell Reichweite“ und viel positives Feedback bekommen: „Du sprichst mir aus der Seele!“ Rassismus wurde ein wichtiges Thema. Und Integration hält sie für „Blödsinn“: „Wir sind hier aufgewachsen, wie lange soll die Integration noch dauern? Bekommen wir am Ende einen Stempel?“

Boateng erzählte, er sei oft „der einzige dunkelhäutige Typ am Set“ und wollte nicht mehr den „Drogendealer im Görlitzer Park“ spielen, sondern zusammen mit seinen Leuten selbst aktiv werden, um authentische Geschichten zu entwickeln. Umso überraschter sei er gewesen, als er vom SWR das Drehbuch von „Borga“ erhielt, das Migration aus ghanaischer Perspektive erzählt und von dem weißen Deutschen York-Fabian Raabe geschrieben wurde. Mit seiner Rolle dort identifiziere er sich 100prozentig, da er sein Wissen über Ghana einbringen und den Film mit produzieren konnte. Solche Filme seien inspirierend für Menschen, sie lieferten Vorbilder und öffneten Türen. Als er die Schauspielschule besuchen wollte, hätten seine Leute ihn noch ausgelacht: „Willst du Heiner Lauterbach werden?“

Filmemacher Dieu Hao Do forderte, neue „Strukturen für Teilhabe“ zu schaffen, denn das sei eine Win-Win-Situation für Menschen mit Migrationsgeschichte und die Mehrheitsgesellschaft. Über  gelungene Teilhabe diskutierte das letzte Panel, in dem es um diejenigen ging, die seit 2015 nach Deutschland geflüchtet sind. „Geschichten von Migration“ erzählt auch die digitale Ausstellung „Meine kleinen Schätze“, bei der sich Menschen mit selbst gewählten Gegenständen fotografieren ließen. So hält Anna Koktsidou das Basilikum ihrer griechischen Kindheit und den Kaffeefilter ihrer deutschen Heimat in Händen. Bärbel Röben

Hinweis: Mitschnitte der Tagung sind Ende der Woche unter sr.de/medienforum abrufbar.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »