Mit Gelassenheit wider den Klickterror

Landesjournalistentag 2017 der dju Baden-Württemberg: Fabian Prochazka, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim, berichtet über die Studie „Vertrauen in Journalismus im medialen Strukturwandel“
Foto: Joe E. Röttgers

Medienkritik online: Was Nutzer_innen am Journalismus kritisieren und wie eine Online-Redaktion mit Leserkommentaren umgeht, war Thema des Landesjournalistentags 2017 der dju Baden-Württemberg am 18. November in Stuttgart. „Zwischen Hass und berechtigter Kritik – Leserkommentare in sozialen Medien“ lautete der etwas sperrige Titel der Veranstaltung, die Gelegenheit bieten sollte, den redaktionellen Alltag an den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung zu spiegeln.

Das Vertrauen des Publikums in Journalismus sei für das Funktionieren einer demokratischen Öffentlichkeit essenziell, stellte Fabian Prochazka, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim, in seinem Impulsreferat fest. Umso beunruhigender sei die wachsende Medienskepsis, die in den Lügenpresse-Vorwürfen gegenüber journalistischen Medien gipfele. In Leserkommentaren würden den Medien Manipulationsversuche, voreingenommene Berichterstattung und Arroganz gegenüber dem Publikum vorgeworfen.

Prochazka berichtete über die Erkenntnisse eines aktuellen Forschungsprojekts der Uni Hohenheim zum „Vertrauen in Journalismus im medialen Strukturwandel“. Danach zeige sich die steigende Skepsis gegenüber Journalist_innen und ihrer gesellschaftlichen Rolle vor allem bei Personen, die das Internet besonders häufig nutzen. Die Mehrzahl derer, die Kommentare verfassen, sei „eher älter, männlich, überdurchschnittlich politisch interessiert und unzufrieden“, so Prochazka. Allerdings seien sie keinesfalls repräsentativ. Lediglich etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung verfassten laut Befragungen Kommentare und Leserbriefe.

Laut der Studie seien die Hauptvorwürfe gegen den Journalismus „mangelnde Sachgerechtigkeit“ (21,4 %) und „Parteilichkeit“ (20,9%). Mit Abstand folgten „unvollständig“ (11,1 %), „mangelnde Vielfalt“ (11,1 5) und „Boulevardisierung“ (6,2 %). Begründet wird die Kritik mit „Abhängigkeit“ (Journalist_innen ließen sich von Politik, Regierung und Wirtschaft instrumentalisieren), „Kompetenzdefiziten“ und „wirtschaftlichem Druck“. Trotz einer allgemein zu konstatierenden Vertrauenskrise in die Medien und einem rasant vonstattengehenden, umfassenden medialen Strukturwandel, sei das Vertrauen in die Medien jedoch seit Jahren gleichbleibend stabil, wenn auch auf niedrigem Niveau. Wobei es Anzeichen für eine Polarisierung gebe. „Durch das Internet verändert sich die Informationsstruktur. Es gibt viel mehr Quellen, die alternative Darstellungen bieten. Die Qualität der Quellen ist jedoch äußerst unterschiedlich. Durch die Vielzahl der Quellen werden Fehler offensichtlicher“, so Prochazka.

„Mehr Transparenz“, war in der Diskussion etwa ein Vorschlag, wie der Journalismus auf die intensivere Medienkritik reagieren könnte. Weiter wurde empfohlen, den Mainstream aufzubrechen, eigene Positionen zu definieren, in einer Selbstreflexion die Rolle der Medien zu hinterfragen und den Leserdialog neu zu denken.

Dass dies in der Praxis nicht ganz so einfach umzusetzen ist, zeigte im zweiten Teil der Veranstaltung Daniel Laufer von der Online-Redaktion der Badischen Zeitung. Er berichtete vom Umgang mit Leserkommentaren auf den Social-Media-Kanälen seiner Redaktion.

Wie schwierig es sein kann, bei bestimmten Artikeln die Kommentare zu moderieren, verdeutlichte Laufer etwa am Beispiel eines Vorfalls in Freiburg. Er schilderte, wie die Berichterstattung über die Tötung einer Studentin und den aktuell laufenden Prozess dazu sehr viele Menschen bewegt habe. Doch seien zahlreiche Reaktionen von unbändigem Hass geprägt gewesen. „Aufhängen das Schwein“, „Todesstrafe“, „Weg mit dem Abschaum“, so Laufer, lauteten die „noch harmloseren Kommentare“. „Wir sind kaum nachgekommen, den ganzen Dreck wegzulöschen“, berichtete Laufer.

Unter Bezugnahme auf das Buch „Thinking, Fast and Slow“ von Daniel Kahneman erklärte Laufer Unterschiede zwischen zwei Arten des Denkens: Dem schnellen, instinktiven und emotionalen System 1 und dem langsameren, Dinge durchdenkenden und logischeren System 2. Bei jemandem, der zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit im Zug oder in der Straßenbahn etwas Ungeheuerliches liest, komme System 1 zum Tragen: ohne groß nachzudenken, werde ein Hasskomentar „geliket“. Facebook ermögliche Kommentare auf niedriger Schwelle, sodass Leute, die keine Ahnung haben, trotzdem reagieren, berichtete Laufer. Eine kleine Minderheit könne so zu Wortführer_innen hochstilisiert werden. Manche Kommentare redaktionell zu kommentieren, würde sie wichtiger machen als sie sind und im Facebook-Ranking nur nach oben schieben. Andere Möglichkeiten seien, sie einfach zu löschen oder auffällige Nutzer_innen zu sperren.

Inwiefern Kampagnen durch Bots angeheizt werden, dafür gebe es keine hieb- und stichfesten Belege, stellte Laufer klar. Tatsache sei, dass es 250 Millionen Fakeprofile gibt, dass in Bangladesch Klickfarmen arbeiten und dass die Online-Ausgabe der Badischen 700 Fans in Myanmar hat. Woher dies komme und was daraus abgeleitet werden könne, konnte selbst der Referent nur mit Achselzucken beantworten.

Eine Botschaft des Nachmittags war: Sich nicht dem Klickterror unterwerfen zu lassen, sondern Gelassenheit zu bewahren und egal ob im Online- oder im Printbereich journalistische Tugenden zu pflegen.

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