Die einen setzen weiter auf Sensibilisierung, die anderen wollen die Machtfrage stellen, um mehr Vielfalt in bundesdeutsche Medien zu bringen. Kontrovers und empathisch waren die Debatten auf der Bundeskonferenz der Neuen deutschen Medienmacher (NdM) in Berlin. Mit Blick auf den wachsenden Rechtspopulismus warnte Vorsitzende Sheila Mysorekar: „Der politische Kontext ist schwieriger geworden. Es geht inzwischen um mehr als Vielfalt, es geht um Verantwortung, die wir als Medienmacher alle haben.“
Unter dem Motto „Vielfalt verteidigen: Wir wären dann so weit“ entwickelten die etwa 80 Konferenz-Teilnehmenden ein Positionspapier, das in einer Podiumsdiskussion – teilweise recht provokativ – dem „Praxis-Test“ unterzogen wurde. „Heute leben mehr als 20 Prozent Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland – eine wachsende demographische Gruppe, die derzeit von deutschen Medien kaum angesprochen wird“, kritisieren die Neuen deutschen Medienmacher und stellen Forderungen auf, in denen es vor allem darum geht, Menschen mit Migrationsbiografie als „Teil des deutschen Alltags und nicht nur als Problem“ zu zeigen.
„Mut zu neuen Zielgruppen“, verlangen sie von den Medienhäusern. Ein Diskussionsteilnehmer erinnert an die Ängste der Verlage, durch eine andere Berichterstattung über gesellschaftliche Vielfalt deutsche Stammkundschaft zu verlieren und fragt: „Doch was sagen Menschen mit Migrationsgeschichte, wenn Rassisten als ‚besorgte Bürger’ zunehmend Beachtung finden?“ „Schluss mit der Monopolisierung des „besorgten Bürgers“, lautet eine weitere Forderung. Nicht nur die Sorgen vom rechten Rand seien ernst zu nehmen – auch über die Sorgen von mehr als 20 Prozent der Bevölkerung, die von Rassismus bedroht werden, müsse berichtet werden. Eine ausgewogenere Berichterstattung und mehr konstruktiver Journalismus seien notwendig: „Nicht immer wieder AfD-Mitglieder befragen, sondern verstärkt Problemlösungen diskutieren“, verlangte NdM-Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz.
Pro und Contra eine Quote
Besonders kontrovers diskutiert wird eine Quote. Die Haltungen dazu sind recht unterschiedlich, als politisches Druckmittel halten sie mittlerweile fast alle für notwendig. Eine Optimistin setzte noch auf Sensibilisierung der Entscheidungsträger_innen. Die Forderung, auf die sich alle einigen können, heißt dann: „Es ist Zeit, über eine Quote zu reden!“ Viele – besonders jüngere – Journalist_innen wollen nicht als „Quotenmigranten“ gelten. Eine meint: “Ob mit oder ohne Quote, ich wäre sowieso die „Quotenkanakin“. Zu den Quoten-Befürworter_innen gehört Konstantina Vassiliou-Enz, die daran erinnerte: „Eine Quote greift ja nur bei gleicher Qualifikation.“ Eine andere Kollegin: „Mit zunehmendem Alter und nach 18 Jahren Erfahrung im deutschen Journalismus bin ich für die Quote.“ Raul Krauthausen von Leidmedien: „Die Quote ist eine Machtfrage. Es geht darum, den anderen Privilegien wegzunehmen.“ Migrationsforscher Klaus Jürgen Bade mit Blick auf die Erfahrungen mit der Frauenquote: „In diesem Land geht nichts ohne Politisierung. Die Quote erzwingt eine politische Diskussion. Sie ist ein Signal: Wir sind da und wir fordern etwas!“
Die Quote soll bei Entscheidungsträger_innen ansetzen, die auch für Personalrekrutierung zuständig sind und Auswahlkriterien festlegen. Journalistenschulen etwa fragten bei Bewerber_innen vor allem deutsches Bildungsbürger-Wissen ab, kritisiert ein Journalist und wird bestätigt: „Warum muss man alles über Kaiser Barbarossa wissen, aber nichts über den Ramadan?“ NdM-Vorsitzende Sheila Mysorekar: „Man kann Einstellungskriterien ändern, ohne das Niveau zu senken.“ Interkulturelle Kompetenz solle als Professionalisierungsmerkmal journalistischen Handwerks verstanden werden und müsse bei der Einstellung, aber auch in Aus- und Weiterbildung eine größere Rolle spielen. Die NdM fordern „interkulturelle Kompetenz in der Ausbildung!“
Den „Praxistest“ für das Positionspapier in der Podiumsdiskussion moderierte taz-Redakteur Jan Feddersen, der selber meinte: „Eine Generation Quote wäre gut“. Die Podiumsteilnehmenden äußerten sich mehrheitlich kritisch.„Ich bin gegen eine Quote“, meinte Schiwa Schlei, stellvertretende Chefredakteurin bei „Funkhaus Europa“, wo etwa zwei Drittel des Redaktionspersonals in den Musikredaktionen „keinen deutschen Background hat“. Wer Arabisch spricht, ist noch lange kein Experte für die Region.“
Gebraucht würden handwerklich versierte Journalist_innen und nicht solche, die wegen ihrer Sprachkenntnisse einen Karrieresprung machten.
Schlei:„Wir möchten Typen haben, neue Perspektiven!“
Seit März suche sie nach talentierten, weltoffenen jungen Leuten für ihre Redaktion, erklärt Laura Himmelreich, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins VICE, bei dem 40 Prozent des Personals „ausländisch“ seien, darunter „überdurchschnittlich viele Amerikaner“. Für die Recherche wäre es auch gut, wenn die Bewerber_innen Türkisch oder Arabisch sprechen könnten. Am wichtigsten seien aber Talent und Persönlichkeit. Bei der Personalsuche wäre sie durch eine Quote noch mehr eingeschränkt, bewertete Himmelreich das Gleichstellungsinstrument als Arbeitgeberin.
Ohne Vorurteilsfilter berichten
Bei der Deutschen Welle sei die „Belegschaft sehr international, aber die Chefs sind alles weiße Deutsche“, informierte die dort arbeitende Sheila Mysorekar, die in der Quote „ein nützliches politisches Instrument“ sieht. Mit Blick auf die Ausbildung müsse man fragen, wer wird rekrutiert und nach welchen Kriterien? Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der WeltN24-Gruppe, berichtete: „Bild hat drei Türken, die Welt keinen.“ Aber die Chefredaktion sei sich des Problems bewusst, dass „man die bessere Reportage von einer AKP-Demo in Köln schreibt, wenn man Türkisch spricht.“ Er sieht eine Quote kritisch, denn er finde „Ethnopluralismus grundfalsch.“
Eine Kontroverse entzündet sich an der NdM-Forderung nach einer kultursensiblen Berichterstattung, als Yücel sagt, die Regierung Erdogan werfe der deutschen Presse mangelnde Kultursensibilität vor, weil sie ein türkisches Gesetzesvorhaben kritisierte, nach dem Vergewaltiger straffrei bleiben, wenn sie das Opfer später heirateten. Sheila Mysorekar stellte klar, dass kultursensibel nicht heißt, Menschenrechtsverletzungen zu relativieren, sondern „ohne Vorurteilsfilter, differenzierter über Menschen zu berichten“. Im Fall „Köln“ habe der Kölner Stadtanzeiger z.B. „bemerkenswert ruhig und unaufgeregt“ über die Silvesternacht berichtet und nicht sofort nordafrikanische Männer unter Generalverdacht gestellt. Denn damit sei der Diskurs ja von rechten Kräften instrumentalisiert worden.
Vielfalt in der Berichterstattung verteidigen kann man aber nur, wenn sich diese Diversität auch in den Redaktionen findet. „Wir wollen ja Journalisten mit Migrationshintergrund einstellen, aber es bewerben sich keine!“ Diesen immer wieder von Medienhäusern geäußerten Satz kontern die NdM im siebten Jahr ihres Bestehens auf dem Bundeskongress mit einer druckfrischen Broschüre „Wir wären dann so weit“, in der sie zehn Argumente für mehr Vielfalt sowie Best-Practice-Beispiele präsentieren.