Journalistenausbildung in Deutschland vor hohen Ansprüchen
Die Digitalisierung bringt technische Innovationen mit sich, befördert aber auch gesellschaftliche Umbrüche. Wie gut stellt sich die Journalistenausbildung in Deutschland darauf ein? Seit 2013 diskutiert die Initiative Qualität im Journalismus darüber, Anfang dieses Jahres gab es dazu Kontroversen und Debatten im Internet. „M” hat mit Journalistikprofessor Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt gesprochen.
M | Was sind die konträren Standpunkte in dieser Debatte?
Klaus Meier | Die Debatte ist nicht extrem konträr. Die Frage ist vor allem, wie baut man Innovationsfähigkeit in die Journalistenausbildung ein. Generell ist unumstritten, dass die alten journalistischen Tugenden nicht über Bord geworfen werden. Es kommen nur neue Aspekte hinzu wie der Umgang mit einem aktiven Publikum, mit Social Media, Digital Storytelling oder generell die Frage, wie man Redaktionen innovativer machen kann. Das ist auch eine Frage der Unternehmerkompetenz: etwa wie in einem Medienhaus selbst alternative Geschäftsmodelle befördert werden oder wie man die Volontäre befähigt, später freiberuflich zu arbeiten oder mit einer neuen Idee ein Unternehmen zu gründen.
Wie innovationsfähig sind Hochschulen und Medienbetriebe? Eine Kritik lautet, das Studium sei zu praxisfern.
Diesen Vorwurf hat man schon vor Jahrzehnten formuliert. Es hat sich sehr viel getan in der Entwicklung der Journalistik-Studiengänge, die Theorie und Praxis miteinander verknüpfen; den Erfolg belegen die Absolventenstudien. Bei der Frage der Innovationsfähigkeit sind Studiengänge im Vorteil, die forschungsnah ausbilden, sich also mit Entwicklungen und Trends in den Medien systematisch beschäftigen. Man steckt nicht in der täglichen Routine des Volontariats drin, sondern hat mehr Zeit für Reflexion sowie für Entwicklung und Evaluation von neuen Ideen. So habe ich zum Beispiel vor kurzem eine Masterarbeit betreut, die zusammen mit „jetzt.de” von der Süddeutschen Zeitung einen Snapchat-Kanal entwickelt hat.
Wie stark sind Hochschulen denn mittlerweile auf Medienkooperationen und Stiftungsgelder angewiesen?
Das unterscheidet sich vermutlich von Standort zu Standort. Die Hochschulen, an denen ich tätig war und bin, finanzieren die Lehre komplett selbst. Medienkooperationen gehen wir aus inhaltlichen Gründen ein und nicht aus finanziellen. Die Uni Eichstätt z.B. hat gerade für mehr als 500.000 Euro das Radio- und das TV-Studio erneuert und komplett digitalisiert – aus öffentlichen Mitteln, die zum Teil aus dem Uni-Etat, zum Teil von der Deutschen Forschungsgemeinschaft kommen.
Und das Volontariat – ist das noch zeitgemäß oder wird eine Berufsrealität von vorgestern vermittelt? Paul-Josef Raue, bis 2015 Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, kritisiert: „In den meisten deutschen Verlagen sieht die Ausbildung aus wie vor dreißig Jahren.”
In verschiedenen Befragungen von Volontären und Ausbildern zeigt sich, dass man im Volontariat die Praxis und das Handwerk sehr gut lernen kann – aber nur, wenn das Umfeld entsprechend ist. Es gibt sehr große qualitative Unterschiede in Deutschland. Da kommt es vor, dass Volontäre allein gelassen werden und sie keine Rückmeldungen bekommen, nicht üben und ausprobieren können, dass Vorschläge von ihnen einfach blockiert werden. Auf der anderen Seite gibt es auch Redaktionen, die ganz konkret sagen, unser Nachwuchs ist unsere Zukunft und ganz viel Energie reinstecken in die Ausbildung und den Volontären zur Seite stehen – zum Beispiel mit Mentoring, damit Volontäre auch eigene Ideen ausprobieren und eigene Projekte machen können. Wenn ein Medienhaus aber in alten Strukturen verharrt und Innovationen von der Redaktionsleitung nicht geschätzt werden, dann kann man von Volontären nicht verlangen, dass sie die einzigen Innovatoren in der Redaktion sind. An der Situation der Volontäre kann man wie durch eine Lupe die Kultur eines Medienhauses in Sachen Innovationsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit erkennen.
Wie viele Medienhäuser handeln denn so?
Aus den Befragungen geht hervor, dass die Hälfte es nicht ernst nimmt mit der crossmedialen Ausbildung und Volontäre dort keine Onlineredaktion mitbekommen. Ich schätze aber, dass dagegen in mindestens einem Viertel der Medienhäuser die Innovationskultur befördert wird und Volontäre unterstützt werden. An der Spitze – vielleicht bei einem Zehntel – gibt es Kulturen des Übens und Scheiterns, des Ausprobierens und Experimentierens.
Kommen wir zu den Zielen der Journalistenausbildung. Wird im Studium genauso wie im Volontariat vor allem für die Praxis ausgebildet – einerseits um die Jobchancen der jungen Menschen zu verbessern, aber auch um die Bedarfe der Medienunternehmen zu bedienen?
Ja, man kann das Studium da als Ergänzung zum Volontariat sehen und umgekehrt. Das Journalistik-Studium vermittelt zwar das journalistische Handwerk, aber bei weitem nicht so intensiv in täglicher Routine und dauerhafter Ausübung. Das beste Modell ist m. E., dass man sich Kompetenzen zusammenbaut, die man sich bei vielen Institutionen der Journalistenausbildung vielfältig aneignen kann. Die verschiedenen Ausbildungsformen müsste man besser verzahnen, d. h. hochwertige Volontariate könnten flexibler werden und auf Vorerfahrungen der Auszubildenden aufbauen: Was muss der eine Volontär noch lernen, was der andere schon kann? Und zudem Fach- und Führungskräfte gezielt entwickeln: Angenommen, man stellt fest, man bräuchte in den nächsten Jahren mehr Redakteure fürs Newsdesk, dann könnte man zwei, drei Volontäre dafür stärker trainieren.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den Ausbildungsstätten: Wo liegen die Stärken und Schwächen von wissenschaftlichen Hochschulen und Journalistenschulen?
Journalistenschulen können auf die Herausforderungen der Digitalisierung vor allem mit dem Kennenlernen und Einüben neuer Tools reagieren, zum Beispiel aus dem Bereich des Datenjournalismus oder generell des Digital Storytelling. Das machen wir an Hochschulen natürlich auch, aber meist nicht mit dem großen Aufwand der Journalistenschulen. Die Stärken der Hochschulen liegen eher im Überblick über das große Ganze durch den Umgang mit Studien und eigenen Forschungsarbeiten und vor allem im Entwickeln und Prüfen neuer Formate und Formatideen. In Eichstätt haben wir zum Beispiel Entwicklungsprojekte zu Newsgames, konstruktivem Journalismus, innovativen Radionachrichten – oder zur Verbesserung der Redaktionsorganisation. Und das immer mit Redaktionen als Partnern.
Ist es nicht gerade in der hochschulgebundenen Journalistenausbildung wichtig, nicht nur auf technische Veränderungen durch Digitalisierung vorzubereiten, sondern auch auf gesellschaftliche?
Natürlich. Die gesellschaftliche Orientierung wird zunehmend wichtiger. Man muss angehenden Journalisten in der Ausbildung nicht nur die Aufgabe des Journalismus in der Gesellschaft vermitteln, sondern sie auch befähigen, das weiterzugeben – zumal Journalismus immer mehr unter Druck gerät. Wie reagiert man als Journalist in diesen Debatten mit überzogener Kritik, wie verteidigt man seine eigene Rolle und stellt dem Publikum dar, was der Wert journalistischer Arbeit ist?
Jörg Sadrozinski, Leiter der Journalistenschule in München, illustriert am Beispiel „Panama Papers”, wie wichtig Recherchetechniken in der Ausbildung sind, um gesellschaftliche Missstände aufzudecken, also zu zeigen, dass Journalismus eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe wahrnimmt. Wie werden Hochschulen diesem Anspruch gerecht?
Seminare und Kurse zur Recherche waren schon immer ein wichtiger Baustein der Journalistik. In Eichstätt arbeiten wir z.B. mit Lehrbeauftragten von ProRecherche zusammen, Thomas Schuler und Meinrad Heck, die besonders interessierte Studierende auch schon mal länger fördern und begleiten und in ihr Netzwerk aufnehmen. So waren einzelne Studierende schon an SPIEGEL-Titelgeschichten als Autoren beteiligt. Aber man darf nicht nur die große investigative Recherche im Auge haben. Recherche, Faktencheck ist generell wichtiger geworden. Auch Nachrichten müssen gegengescheckt, Aussagen von Politikern danach geprüft werden, ob die Fakten stimmen. Die kleinen Lügen des Alltags aufzudecken ist noch wichtiger als die großen Skandale – gerade im Zeitalter von sozialen Medien, wo sehr viele Halbwahrheiten, Mythen und Ideologien populistisch verbreitet werden. Hier ist natürlich gerade ein Hochschulstudium mit Anleitung zu wissenschaftlichem Arbeiten hilfreich, wozu schon immer Quellenkritik, Ideologiekritik und skeptisches Fragen – „Stimmt das wirklich?” – gehören.
Was kennzeichnet nun eine gute Journalistenausbildung? Zunächst ein Studium, um zu reflektieren und dann ein Volontariat, um die Praxis zu erlernen – möglichst mit individueller Betreuung?
Ja. Studium aber nicht nur um zu reflektieren, sondern auch um mehr zu wissen über die Welt und die Medien und um Praxis im Freiraum ohne Verwertungsdruck zu üben. Generell bin ich der Meinung, dass es nicht den einen Weg in den Journalismus gibt, sondern vielfältige Wege. Wir müssen noch viel mehr versuchen, den Beruf für alle möglichen Schichten der Gesellschaft offen zu halten. Die nahezu 100prozentige Akademisierung des Berufs kann man auch kritisieren, da der Journalismus sich so von Teilen der Bevölkerung abkoppelt und deren Lebensrealität gar nicht mehr so richtig wahrnimmt. Diversity – Vielfalt von Zugangswegen, von Ausbildungswegen, von Perspektiven in einer Redaktion – ist schon wichtig. Deshalb würde ich sagen, nicht jeder Journalist muss Journalistik studiert und danach ein Volontariat gemacht haben. Aber es ist schon hilfreich, wenn ein größerer Anteil der Journalisten auch Journalistik studiert hat, weil man viele der heute geforderten Kompetenzen im Studium erwerben kann.
Hinweise
Ausbildungskonferenz 2016 Bericht in MMM
Befragung zur Journalistenausbildung von Britta Gossel