Presserat: Sechs Rügen an Bild-Zeitung

Foto: fotolia/Björn Wylezich

Der Deutsche Presserat hat auf seinen Sitzungen vom 7. bis 9. Dezember 110 Beschwerden behandelt, wovon 66 als begründet und 33 als unbegründet erachtet wurden. Zu den Maßnahmen der Selbstkontrolle zählen 15 öffentliche Rügen sowie Missbilligungen und Hinweise. Die Rügen, davon insgesamt sechs an „Bild“, ergingen überwiegend für Verletzungen von Wahrhaftigkeitsgebot und Opferschutz sowie wegen Schleichwerbung. Inzwischen hat der Presserat auch ein Beschwerdeverfahren gegen „Bild“ und „Bild.de“ wegen des Artikels „Die Lockdown-Macher“ eingeleitet, in dem anerkannte Wissenschaftler für Corona-Maßnahmen verantwortlich gemacht werden. (Aktualisiert am 15.12.2021)

„Bild.de“ wurde gerügt für ein Interview mit dem Täter, der vor vier Jahren in Herne einen neunjährigen Jungen und einen Mann getötet hatte. Unter der Schlagzeile „Interview mit einem Kindermörder“ zeigte die Redaktion dessen Selfie mit blutbeschmierter Hand, welches er kurz nach der Tat an einen Freund geschickt hatte. Die Redaktion verstieß damit gegen Ziffer 11, Richtlinie 11.2 des Pressekodex, wonach die Presse Verbrechern keine Bühne bieten darf. Indem sie dem inhaftierten Mörder Gelegenheit gab, sich für seine Taten zu rechtfertigen, sieht der Presserat zudem einen Verstoß gegen Richtlinie 11.5, wonach die Presse keine Verbrecher-Memoiren veröffentlicht.

Das südostbayerische Portal „OVB24.de“ wurde für die Veröffentlichung eines Fotos vom Fundort einer Frauenleiche gerügt. Ein Fotograf hatte nach Beendigung der behördlichen Ermittlungen den Fundort selbst mit Absperrband versehen, offenbar um die Szene dramatischer zu gestalten. Auf die Manipulation hatte der Fotograf die Redaktion hingewiesen. Die übersah den Hinweis aber und veröffentlichte das Foto ohne Angabe zur Manipulation. Der Beschwerdeausschuss bewertete dies als schwere Sorgfaltspflichtverletzung nach Ziffer 2 des Pressekodex.

Mangelnde Sorgfalt gerügt

„Die Aktuelle“ erhielt eine Rüge für die Veröffentlichung einer Fotomontage auf der Titelseite, die die englische Königin vor einem Grabkreuz zeigt. Die dazugehörige Schlagzeile erweckte den Eindruck, dass es sich bei der Montage um ein dokumentarisches Foto der Königin am Grab ihres verstorbenen Gatten handele. In Wirklichkeit war es bei einer königlichen Begutachtung von Pferden auf Schloss Windsor aufgenommen worden. Der Presserat erkannte hier eine Irreführung der Leser, da die Fotomontage nicht den Anforderungen von Ziffer 2, Richtlinie 2.2 des Pressekodex gemäß als solche gekennzeichnet war.

Wegen einer Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex wurden „24Hamburg.de“ und die „Frankfurter Neue Presse Online“ für einen Facebook-Post gerügt. Beide hatten über einen Asteroiden berichtet, der sich in Richtung Erde bewegt. Die Überschriften suggerierten einen Einschlag im Jahr 2022. Im Text hieß es jedoch, dass eine Kollision sehr unwahrscheinlich sei und der Asteroid voraussichtlich an der Erde vorbeifliege. Darin sah der Presserat eine grob falsche und irreführende Darstellung.

Der „Nordbayerische Kurier“ wurde wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 1 und 12 des Pressekodex gerügt. Die Redaktion hatte Erinnerungen eines Bundeswehroffiziers veröffentlicht, der von einem mehrere Jahre zurückliegenden Afghanistan-Einsatz berichtet und dabei diskriminierende Verallgemeinerungen über die dortige Bevölkerung äußert. Der Ausschuss bemängelte die fehlende redaktionelle Distanz. Die Aussagen hätten für die Leserschaft gegenrecherchiert und eingeordnet werden müssen.

Opferschutz und Wahrhaftigkeit missachtet

„Bild.de“ und „Bild.de“ wurden gerügt für die Veröffentlichung von Fotos von Jugendlichen, die bei einem Autounfall gestorben waren. Unter der Überschrift „Drei Freunde sterben nach Disco-Nacht im Feuerwrack“ standen vier Stunden lang Porträtfotos der drei Verunglückten online, ohne dass hinsichtlich aller Opferfotos eine Einwilligung der Angehörigen vorlag. In der gedruckten Ausgabe waren die Opfer zwar verpixelt, aber nach Ansicht des Ausschusses für einen erweiterten Personenkreis noch erkennbar dargestellt. Damit verstieß die Redaktion gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex.

„Bild.de“ wurde für einen Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex gerügt. Unter der Überschrift „Von diesem Richter werden wir zur Kasse GEZwungen“ berichtete die Redaktion über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Anordnung der vorübergehenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Durch die Kombination der Überschrift und einem darunter veröffentlichten Foto des Richters schrieb die Redaktion diesem alleine die Gebührenerhöhung zu, obwohl der Senat und damit ein mehrköpfiges Gremium darüber entschieden hatte.

Schleichwerbung beanstandet

Die „Auto Zeitung“ wurde für die mehrfache Nennung eines Lotterieanbieters in einem redaktionellen Beitrag gerügt. Über dem Beitrag wurde das Logo des Lotterieanbieters, der zudem Werbekunde des Verlags war, veröffentlicht und im Text mehrfach auf ihn hingewiesen. Hier erkannte der Presserat Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex. Gleiches gilt für die „Wilhelmshavener Zeitung“. Hier wurde gerügt, dass sie Listen von Anwaltskanzleien, Ärzten und Immobilien- bzw. Steuerberatern veröffentlicht hatte, bei denen der Eindruck entstehen konnte, es handele sich um redaktionelle Servicedienstleistungen. Die Beiträge waren jedoch bezahlte Anzeigen, die für die Leser nicht als solche erkennbar waren und so Anforderungen der Richtlinie 7.1 des Pressekodex nicht erfüllten.

Presserat prüft Sammelbeschwerde

Der Deutsche Presserat prüft aktuell auch eine Sammelbeschwerde mehrerer Wissenschaftler gegen „Bild“ und „Bild.de“, nachdem die Redaktion am 4. Dezember drei namentlich genannte und mit Fotos gezeigte Wissenschaftler als „Lockdown-Macher“ bezeichnet hatte. Gegen den Beitrag und besonders dessen Überschrift hatte die Humboldt-Universität Beschwerde eingereicht.

Insgesamt lägen dazu inzwischen 94 Beschwerden vor, so Sonja Volkmann-Schluck, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Presserat. Die Beschwerdeführer*innen kritisierten, „Bild“ habe den falschen Eindruck erweckt, dass Wissenschaftler für Corona-Maßnahmen verantwortlich seien, die aber die Politik beschlossen habe. Dies schüre Verschwörungstheorien und sei zudem ein Aufruf zur Hetze gegen die Wissenschaftler.

Der Deutsche Presserat prüfe jetzt, ob er ein Verfahren gegen „Bild“ und „Bild.de“ einleitet. In Frage steht, ob die Redaktion der Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex nachgekommen ist bzw. ob die Berichterstattung dem Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex entspricht.

Aktualisierung: Der Deutsche Presserat hat am 15.Dezember 2021 mitgeteilt, dass ein Beschwerdeverfahren gegen „Bild“ und „Bild.de“ zum Artikel „Die Lockdown-Macher“ eingeleitet wurde.

„Im Mittelpunkt unseres Verfahrens steht die Frage, ob die Redaktion das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 und ihre Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex verletzt hat“, informierte Presserat-Sprecher Sascha Borowski: „Einige Beschwerdeführer stützen sich in diesem Zusammenhang auf die Ziffer 3 des Pressekodex, nach der Behauptungen, die sich nachträglich als falsch erweisen, von der Redaktion korrigiert werden müssen.“

Über den Fall werde der Presserat auf seiner nächsten Sitzung am 24. März 2022 entscheiden.

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